Handbuch des Aktienrechts. Hans-Peter Schwintowski
Indossamentenkette ausgewiesenen Indossatars die (widerlegbare) Vermutung begründet, dass er rechtmäßiger Inhaber der Urkunde ist (sog. Legitimationsfunktion).[17] Dies gilt auch dann, wenn die Indossamentenkette Blankoindossamente enthält oder sogar das letzte Indossament ein Blankoindossament ist.[18] Darüber hinaus erweitert Art. 16 Abs. 2 WG i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 AktG den Gutglaubensschutz dahingehend, dass bei ununterbrochener Indossamentenkette durch das Indossament die Mitgliedschaft auch dann auf den (gutgläubigen) Erwerber übertragen wird, wenn die Aktie dem eigentlich Berechtigten „irgendwie abhanden gekommen“ ist (sog. Transportfunktion).[19] Voraussetzung ist jedoch stets, dass die übertragene Mitgliedschaft besteht.[20]
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Daneben ist aber ebenfalls eine Abtretung von Namensaktien nach §§ 398, 413 BGB zulässig, was sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 68 Abs. 1 AktG („auch“) ergibt.[21] Umstritten ist jedoch, ob neben der Abtretung der Mitgliedschaft auch die Aktienurkunde übergeben werden muss. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur verlangen zusätzlich eine solche Übergabe der Urkunde nach § 929 S. 1 BGB oder ein Übergabesurrogat,[22] wohingegen die überwiegende Ansicht im Schrifttum dies mit Recht für nicht erforderlich hält,[23] denn aus §§ 398, 413 BGB lässt sich das Erfordernis einer Übergabe oder eines Surrogats nicht herleiten. Zu beachten ist indessen, dass die Übertragung allein durch Abtretung zu einer Unterbrechung der Indossamentenkette führt und damit bei weiteren Übertragungen kein Gutglaubensschutz mehr besteht. Im Fall der Abtretung folgt das Eigentum an der Urkunde der Mitgliedschaft analog § 952 BGB. Die Satzung kann nach h.M. eine Übertragung durch Abtretung nicht ausschließen.[24]
2.2.2 Übertragung vinkulierter Namensaktien
2.2.2.1 Erfasste Rechtsgeschäfte
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§ 68 Abs. 2 AktG macht eine Ausnahme vom Grundsatz der freien Übertragbarkeit von Aktien, indem er Satzungsregelungen gestattet, durch die die Übertragung von Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden wird (vinkulierte Namensaktien).[25] Die Vinkulierung führt dazu, dass Aktien ohne Zustimmung der Gesellschaft nicht wirksam übertragen werden können. Dies betrifft ausweislich des Wortlauts von § 68 Abs. 2 S. 1 AktG lediglich das dingliche Rechtsgeschäft. Die bloße Verpflichtung zur Übertragung kann demgegenüber wirksam begründet werden.[26] Eine – der Zustimmung der Gesellschaft bedürfende – Übertragung liegt nur im Falle der Einzelrechtsnachfolge vor. Der Wechsel der Inhaberschaft durch Gesamtrechtsnachfolge bedarf grundsätzlich nicht der Zustimmung der Gesellschaft.[27] Ebenfalls von der Vinkulierung erfasst sind sonstige Verfügungen über Aktien, wie bspw. die Verpfändung und die Einräumung eines Nießbrauchs.[28] Dies gilt nicht für die Pfändung vinkulierter Namensaktien im Wege der Zwangsvollstreckung, da andernfalls Vermögenswerte der hoheitlichen Vollstreckung entzogen werden könnten.[29]
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Sehr problematisch ist hingegen die Behandlung von Gestaltungsvarianten, die im Ergebnis zur Umgehung der Vinkulierung führen. Dies kann einerseits durch schuldrechtliche Gestaltungen geschehen, die einer Verfügung über die Aktie wirtschaftlich nahe kommen.[30] Zum anderen könnte aber auch an umwandlungsrechtliche Alternativen zur individuellen Übertragung von Aktien oder an die Übertragung der die Aktien haltenden Gesellschaft[31] gedacht werden. Insoweit ist die Rechtslage weitgehend ungeklärt, so dass bei einer Vinkulierung von Aktien immer auch an flankierende Vertragsgestaltungen gedacht werden sollte. Insoweit bieten sich namentlich Ausschlussklauseln in der Satzung der AG, Aktionärsvereinbarungen oder – soweit es sich bei Aktionären wiederum um juristische Personen handelt – Vinkulierungsklauseln bei der Aktionärin an.[32]
2.2.2.2 Rechtsfolgen fehlender Zustimmung
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Wird eine Verfügung über vinkulierte Aktien ohne Zustimmung der Gesellschaft vorgenommen, ist diese zunächst schwebend unwirksam.[33] Dieser Schwebezustand wird mit Erklärung der Gesellschaft beendet.[34] Wird der Übertragung zugestimmt, wirkt diese zurück auf den Übertragungsvorgang; im Falle der Verweigerung wird die Verfügung endgültig unwirksam. Selbst wenn die Zustimmungsverweigerung später widerrufen und eine Zustimmung erteilt würde, müsste das dingliche Rechtsgeschäft dann erneut vorgenommen werden.[35] Anderes gilt hingegen dann, wenn die Zustimmungserteilung missbräuchlich verweigert worden ist.[36] In diesem Fall entfaltet die Zustimmungsverweigerung keine Rechtswirkungen, so dass der Schwebezustand nach wie vor fortbesteht.[37] Da die Grenze zwischen bloß rechtswidriger und missbräuchlicher Zustimmungsverweigerung nur schwer bestimmt werden kann, sollte aber auch in solchen Fallgestaltungen allein aus Vorsichtsgesichtspunkten das Verfügungsgeschäft erneut vorgenommen werden.
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Die Zustimmung bzw. ihre Verweigerung sind jeweils als Willenserklärungen der AG zu qualifizieren.[38] Dies hat zur Folge, dass auch diejenige Zustimmungserklärung bzw. Zustimmungsverweigerung Wirksamkeit entfaltet, die entgegen der internen Entscheidung[39] ausgesprochen wurde.[40]
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Wird die Zustimmung verweigert, ist – da das Kausalgeschäft wirksam bleibt – der Aktionär dem Käufer gegenüber weiterhin zur Übertragung der Anteile verpflichtet.[41] Die Verweigerung der Zustimmung durch die Gesellschaft macht ihm seine Leistung jedoch unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB). Der Käufer kann vom Aktionär unter den Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB entweder Schadensersatz statt der Leistung verlangen oder nach §§ 326 Abs. 5, 323, 346 ff. BGB – ggf. jeweils i.V.m. §§ 453, 435, 437 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BGB[42] – vom Vertrag zurücktreten. Der Aktionär haftet dem Käufer jedoch nicht, wenn die Vinkulierung dem Käufer bei Vertragsschluss bekannt war (§ 442 BGB analog bzw. § 254 BGB).[43] In jedem Fall verliert der Aktionär gem. § 326 Abs. 1 BGB den Anspruch auf den Kaufpreis. Regelmäßig empfiehlt sich für den veräußerungswilligen Aktionär, das Kausalgeschäft unter die aufschiebende Bedingung der Zustimmung der Gesellschaft zu stellen.
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Bei pflichtwidriger Verweigerung der Zustimmung durch die Gesellschaft steht dem betroffenen Aktionär und dem Erwerber als Prozessstandschafter ein klagbarer Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zu.[44]
2.2.2.3 Erteilung der Zustimmung, Entscheidung über die Zustimmung bzw. Zustimmungsverweigerung
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Sind die Aktien vinkuliert,[45] bedarf ihre Übertragung der Zustimmung der Gesellschaft. Insoweit ist zwischen der internen Willensbildung und der Erklärung der Zustimmung bzw. Zustimmungsverweigerung zu differenzieren. Während die Erklärung der Zustimmung bzw. Zustimmungsverweigerung immer dem Vorstand in vertretungsberechtigter Zahl obliegt, kann die Satzung die Entscheidung über die Zustimmungserteilung auch auf den Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung verlagern (vgl. § 68 Abs. 2 S. 3 AktG). Wird keine solche Regelung in der Satzung getroffen, ist der Vorstand – insoweit allerdings als Gesamtorgan[46] – auch für die Entscheidung über die Zustimmung zuständig (§ 68 Abs. 2 S. 2 AktG). Die zu erteilende Zustimmung erfolgt durch empfangsbedürftige Willenserklärung und kann sowohl vorher in Form der Einwilligung (§ 183 BGB) als auch nachher als Genehmigung (§ 184 BGB) – und zwar ausdrücklich oder konkludent – erteilt werden. Haben Veräußerer oder Erwerber die Gesellschaft zur Zustimmung aufgefordert, ist diese innerhalb einer angemessenen Frist zu erklären oder zu verweigern, wobei die Zustimmung nach Ablauf der Frist als verweigert gilt.[47] Eine Begründung für die Entscheidung der Gesellschaft ist nur erforderlich, wenn die Gesellschaft die Zustimmung verweigert und die Satzung die Gründe für