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geht dahin, sich vor den etwaigen juristischen Folgen seiner Behandlungstätigkeit zu schützen. Indem der Arzt bei Diagnose und Therapie „auch die eigenen forensischen Gefahren bedenken und als indizierende wie kontraindizierende Faktoren ins Kalkül ziehen“ muss, droht „aus der verrechtlichten eine defensive Medizin [zu werden], die aus Scheu vor der Klage zu viel untersucht oder zu wenig an Eingriffen wagt“.[34] „Überängstlichkeit“ und „entscheidungshemmender Immobilismus“ sind die Folgen.[35]
2.
„Ein solcher Wandel wird sich langsam und fast unmerklich vollziehen, zum Schaden der Gesamtheit und zum Schaden des einzelnen Kranken“, der „die Auswirkungen des ärztlichen Sicherheitsbedürfnisses zu spüren bekommt“.[36] Er ist letztlich der Leidtragende dieser Tendenz, die teils bewusst, teils unbewusst vor dem Hintergrund der zivil- und strafrechtlichen Haftungskonsequenzen das Denken und Handeln des Arztes bestimmt und manchmal rational, oft irrational seine innere Einstellung zum Kranken prägt. Dienst nach Vorschrift, fehlende Risikobereitschaft, Unsicherheit und Unselbstständigkeit, Absicherung durch Formulare und Verantwortungsscheu sind äußere Zeichen einer solchen Haltung, bei der der Arzt zugunsten der eigenen Sicherheit sein ärztliches Gewissen und das Wohl des Patienten zurückstellt und sich mehr an der Empfehlung seines Rechtsanwalts orientiert.[37] Die Verrechtlichung der ärztlichen Tätigkeit“ führt also „nicht zwangsläufig zu einer besseren medizinischen Versorgung“.[38] Anstelle der erstrebten Sicherung des jeweiligen bestmöglichen Behandlungsstandards beschleunigt sie ggf. nur den unheilvollen Weg in die defensive Medizin mit all ihren negativen Auswirkungen auf die Therapie,[39] für die Kosten unseres Gesundheitssystems und für die Weiterentwicklung der Medizin im Ganzen.[40]
Ärztliches Handeln kann sich allerdings selbstverständlich auch nicht im rechtsfreien Raum abspielen; es muss rechtlicher Kontrolle unterliegen und der Arzt steht wie jeder andere Bürger „unter dem allgemeinen Gesetz“.[41] Dennoch erscheint die Frage berechtigt, ob der Schutz der Patienten vor unsorgfältigen oder gar selbstherrlichen Ärzten[42] weiter in dem Umfang wie gegenwärtig gerade mit strafrechtlicher Verfolgung und Sanktion angestrebt werden sollte. Zum einen darf die Wirksamkeit des Strafrechts auf dem medizinischen Sektor nicht überschätzt, zum anderen darf seine oft zu scharfe und deshalb zu viel zerstörende Kraft nicht unterschätzt werden. Sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Anwendungspraxis der Strafverfolgungsorgane muss der Rückgriff auf das Strafrecht vor dem Hintergrund seiner Eingriffstiefe und -streuung maßvoll bleiben.
Kein geringerer als der berühmte Strafrechtler Binding[43] hat vor dem „Expansionsdrang“ des Strafrechts gewarnt, seinen „fragmentarischen Charakter“ betont und die Selbstbeschränkung des Strafgesetzgebers angemahnt. Auch im Gesundheitswesen muss die Subsidiarität des Strafrechts anerkannt und die staatliche Strafgewalt die ultima ratio[44] bleiben. Dies gilt unter anderem deshalb, weil mit dem Entzug der Zulassung als Vertragsarzt oder der Approbation insbesondere berufsrechtliche Sanktionen denkbar sind. Bedeutsam ist die Subsidiarität insoweit nicht nur für den Umgang mit der zukünftigen Gesetzgebung oder der Bewertung jüngerer Strafgesetze. Auch unter dem Gesichtspunkt der Präzisierungspflicht gemäß Art. 103 Abs. 2 GG[45] müssen die Staatsanwaltschaften und Gerichte vielmehr sowohl bei allgemeinen Delikten wie den §§ 222, 229 StGB als auch bei den spezielleren Vorschriften der §§ 299a, 299b StGB absichern, dass sich die Rechtsanwendung nicht unter der Hand nochmals weiter von den tragenden Gründen der Kriminalisierung und den geschaffenen Tatbestandsmerkmalen entfernt. So ist es bei den §§ 222, 229 StGB geboten, die Fahrlässigkeit ggf. ausschließende Therapiefreiheit des Arztes effektiv zu achten und eine von Rückschaufehlern geprägte Grundhaltung der Verfolgungsorgane zu vermeiden.[46] Für die Korruptionsdelikte sind beispielsweise die vom Gesetzgeber schon für die Ermittlungspraxis gezogenen Grenzen zu achten.[47] Erst recht darf die staatliche Durchsetzungsmacht nicht missbraucht werden, um (hohe) Zahlungen gemäß § 153a StPO zu erpressen.[48]
Darüber hinaus wird eine Entkriminalisierung in Teilbereichen vorgeschlagen, auch um moderne Methoden des Risiko- und Qualitätsmanagements zu ermöglichen, welche die Furcht vor Strafe bisher behindere.[49] Insbesondere wird darüber nachgedacht, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes für die fahrlässige Körperverletzung auf grobe Behandlungsfehler zu begrenzen,[50] das Delikt als absolutes Antragsdelikt auszugestalten und die leicht fahrlässige Verletzung ausschließlich dem zivilrechtlichen Schadensersatz und Schmerzensgeld vorzubehalten, so wie dies in einer ganzen Reihe von Ländern, z.B. den USA, Frankreich und Österreich der Fall ist.[51] Eine optimale und realistisch zu verfolgende Lösung dürfte darin indes nicht liegen. Eine verfassungs- oder konventionsmäßige Pflicht zur Bestrafung in jedem Einzelfall besteht zwar tatsächlich nicht.[52] Die Neuregelung, für die eine politische Durchsetzbarkeit absehbar fehlt, dürfte aber als „Ärzteprivileg“ wahrgenommen werden, das Patienten eher beunruhigt und Misstrauen sät. Ermittlungsverfahren könnten noch immer mit der – für den Staatsanwalt ohne Sachverständige kaum zu beurteilenden – Behauptung eingeleitet und fortgeführt werden, es sei ein grober Aufklärungs- oder Behandlungsfehler vorgefallen. Vorzugswürdig dürfte es sein, bereits de lege lata die ausschlaggebende Sorgfaltswidrigkeit selbst zu präzisieren[53] und die vollständige Übernahme der oft allzu weiten Aufklärungspflichten des Zivilrechts in das Strafrecht aufzugeben[54] (siehe Rn. 339 f.).
3.
Fragt man nach den Gründen für die Haftungsausweitung und damit für den steilen Anstieg der zivil- und strafrechtlichen Verfahren gegen Ärzte in den letzten 30 Jahren, so gibt es keine monokausale Erklärung, vielmehr sind die Ursachen für die Ausweitung im klassischen Arztstrafrecht vielgestaltig, teils ineinander verwoben und voneinander abhängig.[55] Sie liegen – von der existenziellen Bedeutung vieler Sachverhalte abgesehen – im Bereich der Medizin selbst, in der grundlegenden Änderung der inneren Einstellung des Patienten zum Arzt, d.h. der gesellschaftlichen Verhältnisse, und schließlich – damit zusammenhängend – im Wandel der höchstrichterlichen Judikatur und Gesetzgebung.
a)
Der atemberaubende Fortschritt der Medizin mit seiner ungeahnten Ausweitung der Behandlungsmethoden und der Perfektionierung der Technik lässt den Arzt heute „mit weit aggressiveren und damit […] risikoreicheren Methoden als früher“ arbeiten.[56] „Die Eingriffe werden immer komplizierter, die Anforderungen an die technischen Fertigkeiten und den zeitlichen Aufwand der Ärzte immer höher“.[57] Mit der Größe des Risikos wächst jedoch nicht nur die Quote des schicksalshaft bedingten ärztlichen Misserfolgs, sondern notwendigerweise „auch die Rate ärztlicher Fehlleistungen“.[58]
b)
Als Folge der „Leistungsexplosion“ der Medizin nehmen zugleich die Möglichkeiten der Fehleranalyse, Kontrolle und somit Aufdeckung etwaiger persönlicher oder sachlicher Unzulänglichkeiten zu.[59] Diese Entwicklung wird von der problematischen Fehleroffenlegungspflicht des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB noch verstärkt.
c)
Die immer komplizierter werdende Organisation und wachsende Arbeitsteilung in der Medizin vermehren die Probleme der Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegepersonal.[60] Denn: „Je größer die Zahl der an Diagnose und Therapie beteiligten Ärzte, Techniker und Hilfskräfte, je komplizierter und gefährlicher die apparativen und medikamentösen Mittel, je komplexer das arbeitsteilige medizinische Geschehen in einem großen Betrieb, desto mehr Umsicht und Einsatz erfordern die Planung, die Koordination und die Kontrolle der klinischen Abläufe“.[61] Fortschreitende Spezialisierung und Subspezialisierung, Substitution und Delegation in der Medizin erhöhen die Zahl der Schnittstellen und damit die Möglichkeiten organisatorischer Versäumnisse in Gestalt von Koordinations-, Kommunikations-, Kontroll- und Auswahlfehlern.
d)
Hinzu kommt die Personalknappheit: Der dadurch ausgelöste ständige Zeit- und Arbeitsdruck im Alltag der Patientenversorgung (euphemistisch: „Arbeitsverdichtung“) erzeugt Stress, Unsicherheit, Übermüdung und Konzentrationsmängel – Umstände, die ein Fehlverhalten insbesondere bei Berufsanfängern begünstigen.
e)
Die Anonymität der „Apparatemedizin“, die UnpersönlichkeitСкачать книгу