Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
nach einer Sportverletzung am rechten Kniegelenk in Allgemeinnarkose operiert und nach einem komplikationslosen Operations- und Anästhesieverlauf im Aufwachraum an den Monitor angeschlossen, wo ein erfahrener Pfleger für ihre Überwachung zuständig war.
Da die Patientin über heftige Schmerzen im Wundbereich klagte, erhielt sie vom zuständigen Pfleger zunächst 5 mg Morphin und 45 Minuten später wegen wiederkehrender Unruhe und weiterhin starker Schmerzen erneut, verteilt über einen Zeitraum von einer Stunde, von einem anderen Pfleger je 10 mg Morphin, insgesamt also in knapp zwei Stunden 35 mg Morphin. 35 Minuten nach der letzten Morphingabe schlug der Blutdruckmonitor Alarm; es kam zu einem Atem- und Kreislaufstillstand und schließlich zum Tod der Patientin. Das Pulsoxymeter hatte aus nicht geklärter Ursache keinen Alarm gegeben.
Der hinzugezogene anästhesiologische Gutachter führte aus, dass ein Atem- und Kreislaufstillstand nicht plötzlich eintritt, sondern sich sukzessive entwickelt. Deshalb wurde gegen den zuletzt tätigen Pfleger ein Strafbefehl über 90 Tagessätze erlassen (und rechtskräftig),[230] da er die Patientin nicht engmaschig genug persönlich überwacht habe. Das Pulsoxymeter, so hatte der Gutachter festgestellt, sei nur ein „ergänzendes Hilfsmittel“, das die persönliche Kontrolle durch Augenschein nicht ersetzen könne.
Der Gutachter erhob aber auch gegen den Chefarzt der Abteilung einen Vorwurf, da Opiate als Wiederholungsdosen vom Assistenzpersonal stets nur nach Rücksprache mit einem Arzt gegeben werden dürften. Insoweit fehle hier angesichts des selbstständigen Tätigwerdens der Pflegekräfte eine klare organisatorische Regelung mit entsprechenden Hinweisen und Pflichten für die nichtärztlichen Mitarbeiter.
Ob diese Ansicht richtig ist, wird man im Falle eines „eingespielten“ Teams von Ärzten und Pflegekräften, insbesondere erfahrenem Personal, bezweifeln dürfen und ist auch noch nicht entschieden. Aber lehrreich ist der Fall allemal: Jedenfalls bedarf es im Krankenhaus vor allem auch perioperativ einer adäquaten Organisationsstruktur, die die konsequente persönliche Überwachung der Patienten im Hinblick auf mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen der Schmerzmittel sicherstellt und bei der Gabe von Opiaten oder anderen „gefährlichen“ Medikamenten die vorherige Rücksprache der Pflegekraft beim Arzt voraussetzt.[231]
(2) Die sekundären Sorgfaltspflichten des Chefarztes
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Zu den so genannten sekundären Sorgfaltspflichten des Chefarztes gehört insbesondere die gewissenhafte Auswahl seiner Mitarbeiter, ihre Anleitung, Information, Fort- und Weiterbildung, ihre laufende Überwachung[232] und die Überprüfung ihrer fachlichen und persönlichen Qualifikation[233]. Der Leitende Arzt muss den sich aus der Zusammenarbeit mehrerer Personen ergebenden Gefahren von Qualifikations-, Koordinations- und Kommunikationsmängeln entgegenwirken und diese, sobald erkennbar, abstellen. Erfüllt er oder der sonst hierfür verantwortliche Arzt insoweit seine Pflichten, darf er fachlich fähigen und persönlich zuverlässigen Mitarbeitern vertrauen, das heißt, deren Versagen im Einzelfall kann ihm nicht angelastet werden. Ein Verstoß gegen diese Sorgfaltspflichten impliziert dagegen ein eigenes Fehlverhalten, das „in erster Linie dem ausbildenden Arzt, aber auch dem Chefarzt“[234] als Verschulden anzurechnen ist.
(3) Der Vertrauensgrundsatz bei ärztlicher Zusammenarbeit im Über- und Unterordnungsverhältnis
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Wie sich der Vertrauensgrundsatz im Bereich der vertikalen Arbeitsteilung und zwar sowohl bei ärztlicher Zusammenarbeit im Über-/Unterordnungsverhältnis als auch beim Zusammenwirken von Ärzten und medizinischen Assistenzberufen auswirkt, zeigen die nachstehenden Beispiele. Ein sorgfältig ausgesuchter Mitarbeiter, „der sich jahrelang bewährt hat, muss grundsätzlich nicht besonders überwacht werden, solange er auf seinem (eigenen) Fachgebiet arbeitet“[235]. Bei einem jüngeren, noch in der Weiterbildung befindlichen Arzt ist dagegen die persönliche Zuverlässigkeit, die ärztliche und menschliche Qualifikation vom Chefarzt der Abteilung durch geeignete Kontrollmaßnahmen immer wieder zu überprüfen. Umgekehrt ist der in Ausbildung befindliche Arzt für einen – möglichen – intraoperativen Fehler nicht verantwortlich, wenn er unter Aufsicht und Anleitung eines (Fach-)Oberarztes operiert hat und keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen elementare medizinische Grundsätze oder eigenmächtiges Handeln des Assistenzarztes vorliegen.[236]
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Danach ist also ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des operierenden Assistenzarztes nicht stets ausgeschlossen. Zwar „darf der noch in Weiterbildung stehende Arzt grundsätzlich darauf vertrauen, dass die für seinen Einsatz und dessen Organisation Verantwortlichen für den Fall von möglichen Komplikationen, zu deren Beherrschung seine Fähigkeiten nicht ausreichen, die gebotene Vorsorge tragen (vgl. Laufs NJW 1995, 1590, 1597)“. Aber auch von ihm ist „die Einhaltung von Sorgfaltspflichten zu verlangen“, wie das OLG Hamm in einem Klageerzwingungsverfahren zutreffend festgestellt hat.[237]
Beispiel:
Im konkreten Fall hatte ein Assistenzarzt unter Assistenz und Kontrolle des Oberarztes bei einem Patienten eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt und dabei fehlerhaft den distalen Hauptgallengang mit einem Clip verschlossen und sehr wahrscheinlich den proximalen Anteil durch die Operation mit dem elektrischen Haken thermisch geschädigt. Da infolge einer Nekrose Gallenflüssigkeit in das freie Abdomen gelangte, kam es in den nächsten Tagen zu vielfältigen Komplikationen und schließlich zu einem Multiorganversagen mit tödlichem Ausgang.
Das OLG sah in der nicht eindeutigen Darstellung und Identifizierung der anatomischen Verhältnisse vor dem Setzen des entscheidenden Schnitts durch den Assistenzarzt einen Behandlungsfehler, der ihm anzulasten sei. Denn „gewisse Qualifikationsanforderungen sind nach Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit der Auffassung des OLG Koblenz (vgl. NJW 1991, 2967) auch an einen Assistenzarzt zu stellen, der unter Aufsicht eines qualifizierten Facharztes operiert. Selbst ein assistierender Facharzt ist nämlich nicht in der Lage, jeden „anfängerbedingten“ Fehler des Operateurs zu verhindern oder die möglicherweise erheblichen Folgen für den Patienten, auch wenn er den Fehler sofort erkennt, in jedem Falle zu beheben. Demgemäß hat der operierende Assistenzarzt vor Setzung eines endgültigen Schnitts im Gewebe und der Heranführung einer thermischen Hakenelektrode an das Gewebe sicherzustellen, dass die anatomischen Verhältnisse nicht verkannt werden und eine eindeutige Identifizierung der betroffenen Strukturen, hier der Gallenwege, stattfindet. Dabei handelt es sich um einen so elementaren Grundsatz, dass die Einhaltung auch ohne weiteres von einem Assistenzarzt, mithin einem Arzt in der Weiterbildung zum Facharzt, auch wenn er sich noch am Beginn der Facharztausbildung befindet, zu verlangen ist; dies gilt, zumal dem Assistenzarzt bei jeglichem Zweifel bereits die Nachfrage und Vergewisserung bei dem anwesenden Oberarzt und sogar die Abgabe der Operationsführung an diesen möglich ist“ und „erst recht“ bei entzündeter Gallenblase.[238]
Da nach Ansicht des OLG Hamm der Patient „bei einer Behandlung lege artis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Todeszeitpunkt überlebt hätte“, beschloss der Senat gem. § 175 StPO die Erhebung der öffentlichen Klage und beantragte gem. § 199 Abs. 2 StPO, das Hauptverfahren zu eröffnen.[239]
(a) Oberarzt – Stationsarzt
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Beispiel:
Gegen 16.30 Uhr war nach Ende des Tagdienstes der Patient stationär im Krankenhaus aufgenommen worden, um eine unbekannte Blutungsquelle zu finden und zu beseitigen. Der rufbereite Oberarzt hatte den Dienst habenden Arzt angewiesen, „einen Beobachtungsbogen zur Kreislaufüberwachung anzulegen, Puls und Blutdruck halbstündlich zu kontrollieren, einen venösen Zugang zu legen, Blutkonserven zu bestellen und bestimmte gerinnungsfördernde Mittel zu verabreichen“ sowie alle Veränderungen im Befinden des Patienten sofort mitzuteilen. Dennoch unterließ es der Assistenzarzt, den Oberarzt von der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten im Laufe der Nacht zu