Recht im E-Commerce und Internet. Jürgen Taeger
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I. Grundsatz der Formfreiheit
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Grundsätzlich unterliegen Rechtsgeschäfte zwischen Privaten keinen Formerfordernissen. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 125 BGB, der die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur ausnahmsweise als Folge vorsieht, wenn es dem Rechtsgeschäft an der durch Gesetz oder nach dem Willen der Vertragspartner gewünschten Form mangelt. Diese Formfreiheit ist ein Ausfluss der Privatautonomie und bedeutet, dass Verträge geschlossen werden können, ohne dass die Vertragspartner dabei eine bestimmte Form beachten müssen. Für einige Rechtsgeschäfte hat der Gesetzgeber indes die Schriftform vorgesehen. So wird beispielsweise in § 766 BGB die Schriftform für die Bürgschaftserklärung verlangt, und § 623 BGB ordnet an, dass Kündigungen von Arbeitsverträgen stets schriftlich zu erklären sind.
1. Funktionen der Schriftform
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Die gesetzliche Schriftform bei bestimmten Rechtsgeschäften soll drei Zwecken dienen. Zum ersten soll dem Erklärenden durch seine Unterschrift bewusst gemacht werden, dass er im Begriff ist, eine rechtlich besonders bedeutungsvolle Erklärung abzugeben (Warnfunktion). Zum zweiten wird durch die Unterschrift die Identität des Ausstellers erkennbar (Identitätsfunktion). Letztendlich trägt die Unterschrift am Ende des Textes als dessen Abschluss zur Klärung des Textinhalts bei (Beweisfunktion).1
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§ 126 Abs. 1 BGB normiert, dass für die gesetzliche Schriftform die Urkunde am Ende eigenhändig vom Erklärenden unterzeichnet werden muss. Im Falle des gegenseitigen Vertrages müssen beide Parteien die Urkunde unterzeichnen (§ 126 Abs. 2 S. 1 BGB). Wird diese Form nicht beachtet, führt dies zur Nichtigkeit des Vertrages (§ 125 BGB).
2. Schriftform und neue Medien
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Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre lassen diese Regelungen als überkommen erscheinen. Zum Abschluss eines rechtsgültigen Vertrages ist es heute oftmals weder nötig, dass sich die Vertragspartner persönlich kennen, noch, dass sie Erklärungen in Papierform erhalten. Digital übermittelte Willenserklärungen, die zum Abschluss eines Vertrages führen können, genügen dem Schriftformerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB naturgemäß nicht.2 Die Vereinfachung, die der Vertragsschluss über das Internet erfahren soll, wird an dieser Stelle für nach dem Gesetz oder dem Willen der Vertragspartner formbedürftige Rechtsgeschäfte unmöglich gemacht.
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In der Literatur herrschte teilweise Streit darüber, wie Willenserklärungen, die auf elektronischem Wege abgegeben werden, einzuordnen sind. So qualifizierte etwa Ebbing eine elektronische Willenserklärung trotz fehlender Verkörperung als Urkunde und regte an, die handschriftliche Unterzeichnung durch Eingabe der Unterschrift über die Tastatur oder durch Anfügen einer Grafikdatei, die die eingescannte Unterschrift enthält, genügen zu lassen; heute würde man über das Unterschreiben mit einem Pen oder dem Finger auf einem Tablet oder Smartphone sprechen.3
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Der BGH lehnte 1993 die Formwirksamkeit einer Bürgschaftserklärung ab, weil diese mittels Telefax übermittelt worden war, § 766 S. 1 BGB aber Schriftform verlange.4 Die eigenhändige Unterschrift sei nur auf dem Originaldokument des Absenders, nicht aber auf der per Fax eingehenden Kopie des Empfängers vorhanden. Durch die Schriftform werde der Schutz des Bürgen bezweckt, und von daher käme eine Übertragung der Rechtsprechung aus dem Prozessrecht zur Einlegung von Rechtsmittelschriften nicht in Betracht.5 Angesprochen war hier die zuvor durch die Instanzrechtsprechung vorbereitete Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes von 1999, wonach fristwahrende Schriftsätze mittels Computerfax eingelegt werden können.6 Wenn diese aus dem Computer des Absenders mit dessen eingescannter Unterschrift zum Faxgerät des Gerichtes gesendet werden, so stünde dies der Schriftform im Prozessrecht nicht entgegen. Zwar gehöre zur Schriftform grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift. Es käme jedoch nur darauf an, dass am Empfangsort – dem Gericht – auf Veranlassung des Absenders durch Ausdruck eine körperliche Urkunde erstellt werde, auf der die Unterschrift des Absenders zu sehen sei. Das Ziel der Verfahrensvorschriften sei nämlich kein Selbstzweck, sondern bestünde in der Wahrung der materiellen Rechte von Prozessbeteiligten, nicht in deren Behinderung. Der Wille des Absenders, den Schriftsatz dem Gericht zuzuleiten, könne nicht ernsthaft bezweifelt werden.
1 Zu den einzelnen Funktionen im Rahmen der die Schriftform anordnenden Tatbestände Wais, JuS 2020, 7; allgemein Musielak, JuS 2017, 949, 952. 2 Noack/Kremer, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 2020, § 126 Rn. 11. 3 Ebbing, CR 1996, 271. 4 BGH, Urt. v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BB 1993, 749. 5 BGH, Urt. v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BB 1993, 749. 6 Gem. Senat, Beschl. v. 5.4.2000