Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
den vorliegend erörterten Zusammenhang insbesondere § 7 Abs. 2 und § 9 StGB von Bedeutung. Danach kann sich ein deutscher Sponsor oder Prüfer, der im Ausland eine klinische Prüfung durchführt, die den Voraussetzungen der §§ 40 ff. AMG bzw. der VO (EU) Nr. 536/2014 nicht entspricht, gemäß § 96 Nr. 10, 11, 21 AMG strafbar machen, wenn die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB; sog. passives Personalitätsprinzip[219]). Für den Tatbeteiligten, der die Studie im Ausland durch eine Tätigkeit im Inland unterstützt, gilt das Strafbarkeitsrisiko gemäß § 96 Nr. 10, 11, 21 AMG hingegen selbst dann, wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist (§ 9 Abs. 1 StGB für die Mittäterschaft und § 9 Abs. 2 S. 2 StGB für die Teilnahme).[220]
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Eine Sonderstellung nehmen bei Arzneimittelstudien Schwangere ein. Nicht zuletzt die Erfahrungen mit dem teratogenen Potential von Thalidomid (Contergan®) haben die Gefahren eines Ausschlusses dieser Personengruppe von der Forschung aufgezeigt. Studien mit Schwangeren könnten dazu beitragen, den Umlauf von Arzneimitteln zu verhindern, deren schädliche Wirkung auf den Fetus ansonsten unerkannt bleiben würde. Zudem begünstigt der uneingeschränkte Ausschluss Schwangerer von der Teilnahme an Arzneimittelstudien Unsicherheiten in Bezug auf die Medikamentengabe. Notwendig und wünschenswert erscheint daher eine Forschung mit Schwangeren, die der besonderen Vulnerabilität[221] dieser Personengruppe Rechnung trägt.[222] In Deutschland ist die Arzneimittelforschung an Schwangeren bislang noch nicht ausdrücklich geregelt.[223] Art. 33 der VO (EU) 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln lässt die Forschung mit Schwangeren jedoch zukünftig unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen zu.[224] Ähnlich enthielt § 20 Abs. 5 Nr. 4 MPG a.F. bislang für die Medizinprodukteforschung eine (in § 41 Nr. 4 MPG a.F. strafbewehrte) restriktive Regelung, welche u.a. die Subsidiarität der Forschung mit Schwangeren hervorhob;[225] einschlägig ist insofern nunmehr Art. 66 der Medizinprodukte-VO (EU) 2017/745.[226] Radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlung dürfen zum Zweck der medizinischen Forschung gemäß § 137 Abs. 1 S. 1 StrlSchV nicht an einer schwangeren Person angewendet werden. Die Verpflichtung, bei der Durchführung klinischer Prüfungen mit stillenden oder schwangeren Frauen besondere Vorsicht walten zu lassen, ergibt sich auch aus Art. 33 der VO (EU) Nr. 536/2014. Die Leibesfrucht ist überdies durch das Kernstrafrecht geschützt; so sind, je nach Konstellation, die §§ 218 ff. StGB einschlägig, die den Abbruch der Schwangerschaft regeln.[227]
2. Einschlägig erkrankte Personen
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Für die Forschung mit einschlägig erkrankten Personen – d.h. mit solchen Personen, die an der Krankheit leiden, zu deren Behandlung das zu erprobende Medikament dienen soll – gelten zum Teil abweichende Vorschriften.[228] In diesem Zusammenhang ist vor allem auf die Modifikation hinzuweisen, welche die in § 40 AMG normierten Anforderungen an die Durchführung klinischer Studien im (noch) geltenden Recht durch § 41 AMG erfahren. Dabei liegt eine wesentliche Einschränkung der für gesunde einwilligungsfähige Personen geltenden Regelungen darin, dass in § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AMG – anders als in § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AMG – fremdnützige Forschung ausschließlich beim Nachweis eines direkten Nutzens für die Gruppe der einschlägig erkrankten Personen (des sog. Gruppennutzens, vgl. Rn. 28, 30) gestattet ist.[229] Daneben ist bei dem hier in Rede stehenden Personenkreis selbstverständlich auch die eigennützige Forschung unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen erlaubt (vgl. § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG). In der VO (EU) 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln findet sich die Bezugnahme auf den Gruppennutzen in den Regelungen zur Durchführung klinischer Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Personen (Art. 31 Abs. 1 lit. g ii), mit Minderjährigen (Art. 32 Abs. 1 lit. g ii) sowie mit schwangeren und stillenden Frauen (Art. 33 lit. b ii, vgl. Rn. 30).
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Die strafrechtliche Bewertung der Forschung mit einschlägig erkrankten Personen richtet sich zunächst nach den Regelungen zum Heilversuch (ausf. Rn. 31). Danach kommt bei mangelhafter Aufklärung oder Behandlungsfehlern eine Verantwortlichkeit des behandelnden Arztes nach den Delikten gegen Leib oder Leben (§§ 211 ff., 223 ff. StGB) in Betracht. Zu beachten ist auch hier, dass § 216 StGB die Tötung auf Verlangen grundsätzlich mit Strafe bedroht;[230] jedoch wird die sog. indirekte Sterbehilfe, bei der mit dem Willen des Betroffenen schmerz- bzw. leidensmindernde Maßnahmen mit lebensverkürzender Wirkung vorgenommen werden, mit unterschiedlicher dogmatischer Begründung vom Anwendungsbereich des § 216 StGB ausgenommen.[231] Bei der Einwilligung in eine mit dem Heilversuch verbundene Körperverletzung ist die in § 228 StGB gezogene Grenze der Sittenwidrigkeit zu beachten, die nach der von der h.M. verwendeten Formel jedenfalls bei Eingriffen überschritten wird, durch die der Betroffene in eine konkrete Todesgefahr gerät.[232] Von Bedeutung für den vorliegenden Kontext ist allerdings die oben (Rn. 57) erwähnte Ausnahme, die für den Fall gemacht wird, dass die Todesgefahr im Rahmen eines ärztlichen Eingriffes eingegangen wird, der seinerseits zum Zwecke der Lebenserhaltung vorgenommen wird; hier wird der Zweck der Behandlungsmaßnahme ausnahmsweise als geeignet angesehen, die Bedeutung der erheblichen Gefährdung zu kompensieren.[233] Für die klinische Prüfung erfährt das Sittenwidrigkeitsurteil i.S.d. § 228 StGB wiederum eine Konkretisierung durch die im AMG bzw. in der VO (EU) 536/2014 vorgesehene Risiko-Nutzen-Abwägung. Im Rahmen von Studien gegen Krebserkrankungen kann aufgrund der potenziellen Wirkung bzw. gravierenden Nebenwirkungen der Chemotherapeutika bereits in Studie I eine Anwendung an gesunden Probanden ausscheiden; hier ergeben sich erhebliche Belastungen für die teilnehmenden Patienten, auf die im Rahmen des Aufklärungsgesprächs eingegangen werden muss.[234]
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Die Gabe von Placebos wird zwar von den einschlägigen Regelwerken nicht kategorisch ausgeschlossen,[235] ist jedoch bei kranken Personen nicht unproblematisch, da der Arzt mit der Übernahme der Behandlung in eine Garantenstellung i.S.d. § 13 StGB gegenüber dem Patienten eintritt,[236] die eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung oder Totschlags durch Unterlassen begründen kann, wenn die Nichtgabe des Verums eine Gesundheitsschädigung oder den Tod des Patienten zur Folge hat (vgl. Rn. 31). Mit Ulsenheimer[237] ist hier im Grundsatz danach zu differenzieren, ob ein Standardmedikament vorhanden ist: Da den Prüfer nach zutreffender Ansicht keine Garantenpflicht zur Verabreichung des Testpräparates trifft,[238] kommt eine (Unterlassungs-)Strafbarkeit aus den Körperverletzungs- und Tötungsdelikten lediglich bei einer Vorenthaltung des (indizierten) Standardmedikaments in Betracht. Da § 630e Abs. 1 S. 1 BGB den Behandelnden dazu verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären, erstreckt sich die Aufklärungspflicht nach zutreffender Ansicht sowohl bei der klinischen Arzneimittelprüfung als auch bei der Placebogabe im Rahmen der Individualtherapie auch auf den möglichen Placeboeinsatz.[239] Der teilweise in diesem Zusammenhang befürwortete[240] Rekurs auf eine mutmaßliche Einwilligung des Patienten scheidet hingegen aufgrund der Möglichkeit der Einholung einer aktuellen Einwilligung regelmäßig aus.[241] Hervorzuheben ist des Weiteren der bereits weiter oben (Rn. 38) angesprochene Grundsatz, dass die Probanden durch den Verzicht auf das Verum keinen Schaden erleiden dürfen;[242] insofern verlangt insbesondere Ziff. 33 DvH einschränkend, dass Patienten „keinem zusätzlichen Risiko eines ernsten oder irreversiblen Schadens ausgesetzt werden (dürfen), welches sich daraus ergibt, dass sie nicht die nachweislich beste Maßnahme erhalten haben“.[243] Im Schrifttum wird allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass auch bei Annahme einer Garantenpflichtverletzung häufig der Kausalitäts- bzw. Vorsatznachweis Probleme bereiten wird.[244] Die Weigerung der Verantwortlichen eines Pharmaunternehmens,