Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer

Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer


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      Wenn Art. 14 I 1 GG das Eigentum als Mittel zum Zweck einer freien Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gewährleistet, meint er nicht nur das sachenrechtliche Eigentum des § 903, sondern auch alle anderen Vermögensrechte[3].

      Art. 14 I 1 GG garantiert neben dem Eigentum des BGB auch die beschränkten dinglichen Rechte[4], außerdem Urheber- und Erfinderrechte[5], Marken und Ausstattungsschutz[6], das Recht am gewerblichen Unternehmen und an der freiberuflichen Praxis[7], ebenso die Mitgliedschaft in der Kapitalgesellschaft[8], sogar einfache Forderungen[9] und Rentenanwartschaften[10].

      Da die öffentliche Hand keine Grundrechte gegen die eigene Willkür haben kann, wird ihr Eigentum nicht verfassungsrechtlich geschützt[11].

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      Nach Art. 14 I 2 GG werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt, und nach Art. 14 II GG soll das Eigentum auch dem Gemeinwohl dienen. Wo aber verläuft die verfassungsrechtliche Grenze zwischen der – entschädigungslos – zulässigen Inhaltsbestimmung des sozialpflichtigen Eigentums und der Enteignung, die nur unter den strengen Voraussetzungen des Art. 14 III zulässig ist?

      Zivilrechtlich bestimmt § 903 nicht nur den Inhalt des Eigentums, sondern stellt es zugleich unter den Vorbehalt des Gesetzes und der Rechte anderer. Beschränkt wird das Eigentum durch die §§ 904-924, die größtenteils davon handeln, was Grundstücksnachbarn tun dürfen und lassen sollen (RN 291 ff.).

      Weit stärker wird das Grundeigentum durch das öffentliche Recht beschränkt: durch das Baurecht, das Naturschutz- und Denkmalschutzrecht, das Straßen- und Verkehrsrecht und vieles andere mehr.

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      Das öffentliche Baurecht besteht aus dem Bauplanungs- und dem Bauordnungsrecht. Rechtsgrundlage des Bauplanungsrechts ist das bundesrechtliche Baugesetzbuch (BauGB), das auch die Stadtsanierung und -erneuerung regelt. Bauleitpläne in Gestalt von Gemeindesatzungen[12] sollen die Bebauung des Gemeindegebiets in geordnete Bahnen lenken. Während der Flächennutzungsplan das Bauprogramm vorerst nur in groben Zügen darstellt, setzt der Bebauungsplan verbindlich Art und Maß der baulichen Nutzung im Planungsgebiet fest, regelt die Größe der Baugrundstücke und reserviert der Gemeinde die erforderlichen Gemeinflächen. Mittels einer Veränderungssperre sichert die Gemeinde die Aufstellung des Bauleitplans.

      Die Bauleitplanung der Gemeinde, die objektives Satzungsrecht setzt[13], greift tief und nachhaltig in die Baufreiheit des Eigentümers ein. Er kann nicht mehr so bauen, wie er es gerne möchte, sondern muss sich an die Vorgaben des Bebauungsplanes halten. Sein Nutzungsrecht wird dadurch empfindlich eingeschränkt. Dennoch muss er diese Beschränkungen in aller Regel entschädigungslos hinnehmen, weil sie lediglich Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen und dem übergeordneten Gemeinwohl dienen[14]. Der Eigentümer muss deshalb auch eine erforderliche Veränderungssperre bis zu mehreren Jahren entschädigungslos hinnehmen[15].

      Selbst die Umlegung von Grundstücken nach dem BauGB oder dem Flurbereinigungsgesetz ist noch keine Enteignung, wenn der Eigentümer in vollem Umfang mit Land entschädigt wird[16].

      Obwohl Streitigkeiten aus dem BauGB öffentlichrechtliche Streitigkeiten sind, gehören sie nicht vor das Verwaltungsgericht, sondern nach §§ 217, 219, 220 BauGB vor die Baulandkammer des Landgerichts, die freilich mit Zivil- und Verwaltungsrichtern besetzt ist.

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      Beispiele

       Inhalt und Schranken des Eigentums im Dienste des Gemeinwohls bestimmen auch:

- die Notwendigkeit einer behördlichen Genehmigung für die Veräußerung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke nach § 9 GrdstVG (BVerfG NJW 67, 619; 69, 1475: Versagung aber nur, wenn die Agrarstruktur nachteilig verändert würde);
- die Unterstellung eines Gebäudes unter Denkmalschutz, soweit sie den Eigentümer nicht unverhältnismäßig belastet (BVerfG NJW 99, 2877; BGH 72, 211; 99, 24; 110, 12; NJW 88, 3201; ferner Stüer/Thorand NJW 2000, 3737: auch zum Naturschutz);
- die Schaffung eines Landschafts- oder Naturschutzgebietes mit Baubeschränkungen und -verboten (BGH LM Art. 14 GG Nr. 60; BVerwG DÖV 76, 204) oder eines Wasserschutzgebiets mit Bauverbot (BGH 60, 145);
- das Verbot des Waldschutzgesetzes, Wald in landwirtschaftliche Nutzung zu überführen (BVerwG MDR 69, 332);
- die Einführung eines Anschluss- und Benutzungszwangs für Wasser, Abwasser und Müllabfuhr durch Gemeindesatzung (BGH 40, 355; 54, 293; BVerwG MDR 60, 435; DÖV 69, 431);
- die Zustandshaftung des Eigentümers für die Beseitigung von Altlasten durch Sanierung des Grundstücks (BVerfG NJW 2000, 2573: auch zu den Grenzen der Zumutbarkeit);
- die Duldung von Erdkabeln und Fernmeldemasten nach § 76 Telekommunikationsgesetz (BVerfG NJW 2000, 798; 2003, 196; BGH NJW 2002, 678);
- die Verkürzung der Nutzungsdauer für Erdbegräbnisse und die Einführung von Gebühren für eine Verlängerung der Nutzungsdauer (BGH 25, 200; BVerwG MDR 74, 961);
- die Herabsetzung des Pachtzinses für Kleingärten (BGH 100, 136; 108, 147);
- der soziale Schutz des Wohnungsmieters vor einer ordentlichen Kündigung nach § 573 (BVerfG NJW 85, 2633) und vor einer Mietzinserhöhung nach § 558 (BVerfG NJW 86, 1669);
- die Beschlagnahme eines PKW als Beweismittel nach § 94 StPO (BGH 100, 335);
- die Tötung tollwütiger Hunde nach dem Viehseuchengesetz (BVerfG 20, 351; BGH 43, 196).
4. Enteignung, enteignender und enteignungsgleicher Eingriff

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      Art. 14 III GG erlaubt die Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.

      Die Enteignung unmittelbar kraft Gesetzes ist eine unliebsame Ausnahme, weil sie den Rechtsschutz verkürzt; sie ist deshalb nur in engen Grenzen zulässig[18]. Normalerweise wird die Enteignung auf


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