Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer

Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer


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Instanz zwischen dem jetzigen und dem früheren unmittelbaren Besitzer feststeht, dass der jetzige Besitzer zum Besitz berechtigt ist[93].

7. Das Verfolgungsrecht des Besitzers einer beweglichen Sache

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      Das Verfolgungsrecht des § 867 ergänzt den Besitzschutz der §§ 859 ff., hält aber nicht, was sein Name verspricht, denn der unmittelbare Besitzer einer beweglichen Sache, die auf ein fremdes Grundstück gelangt ist, darf seine Sache nicht einfach auf dem fremden Grundstück suchen, weil dies verbotene Eigenmacht nach § 858 wäre, sondern hat nur einen Anspruch gegen den Grundstücksbesitzer auf Gestattung, den er mit Klage oder Antrag auf einstweilige Verfügung durchsetzen muss.

      Ein unmittelbares Betretungsrecht gibt § 962 dem Eigentümer eines Bienenschwarms.

      Anspruchsgrundlage ist § 867 S. 1, Rechtsfolge ein Anspruch auf Gestattung, das fremde Grundstück zu betreten, um dort eine bewegliche Sache zu suchen und wegzuschaffen. Die Gestattung ist aber keine Willenserklärung, sondern eine Duldung, vollstreckbar nach § 890 ZPO. Anspruchsberechtigt ist der Besitzer einer beweglichen Sache, Anspruchsgegner ist der Besitzer des Grundstücks, auf das die bewegliche Sache gelangt ist.

      Der Duldungsanspruch erlischt, sobald der Grundstücksbesitzer die bewegliche Sache nicht einfach liegen lässt, sondern in seinen Besitz nimmt. Stattdessen erlangt der frühere Besitzer der beweglichen Sache die Besitzschutzrechte aus §§ 859 ff.

      Als Ausgleich für seine Duldung hat der Grundstücksbesitzer nach § 867 S. 2 Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm durch das Betreten des Grundstücks, durch das Aufsuchen und Wegschaffen der beweglichen Sache entsteht. Dagegen ist der Schaden, den die bewegliche Sache selbst auf dem Grundstück anrichtet, nur unter den Voraussetzungen der §§ 823, 833, 836 zu ersetzen.

      Nach § 867 S. 3 darf der Grundstücksbesitzer seine Duldung, die einen konkreten Schaden befürchten lässt, solange verweigern, bis ihm Sicherheit geleistet ist, es sei denn, der Aufschub gefährde den Duldungsanspruch.

5. Kapitel Der mittelbare Besitz 1. Das gesetzliche System

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      Besitz ist nach § 854 I tatsächliche Sachherrschaft. Gemeint ist der unmittelbare Besitz, die Normalform des Besitzes. Dagegen ist der mittelbare Besitz nach § 868 ein Besitz ohne tatsächliche Sachherrschaft. Seine Entfernung von der Sache vergeistigt ihn zu einem juristischen Kunstprodukt, das sich einer realen Anschauung entzieht.

      Wenn der mittelbare Besitz keine tatsächliche Sachherrschaft ist, was ist er dann? § 868 antwortet mit Beispielen: Mittelbare Besitzer sind der Nießbrauchsbesteller und der Verpfänder, der Vermieter und der Verpächter sowie Personen, die in einem ähnlichen Verhältnis stehen. Sie alle überlassen die tatsächliche Sachherrschaft kraft eines dinglichen oder schuldrechtlichen Vertrags einem anderen: dem Nießbraucher, Pfandgläubiger, Mieter oder Pächter, der unmittelbar besitzt, freilich nur auf Zeit, nach deren Ablauf er die Sache zurückgeben muss.

      Das Recht des einen zum unmittelbaren Besitz auf Zeit und der Herausgabeanspruch des anderen nach Ablauf dieser Zeit sind die Kennzeichen des mittelbaren Besitzes auch für die „ähnlichen Verhältnisse“ des § 868. Da der unmittelbare Besitzer sein Besitzrecht von einem anderen ableitet, vermittelt er diesem anderen einen mittelbaren Besitz. Das Rechtsverhältnis, das die beiden verbindet, heißt Besitzmittlungsverhältnis.

      Auch der mittelbare Besitz genießt nach § 869 den vollen dinglichen Besitzschutz der §§ 861, 862, 867. Nach § 870 kann er durch Abtretung des Herausgabeanspruchs, der ihn begründet, übertragen werden. Und türmt man mehrere Verhältnisse der in § 868 genannten Art übereinander, erhält man nach § 871 sogar mehrfach gestuften mittelbaren Besitz.

      Im Rechtsleben spielt der mittelbare Besitz, so gekünstelt er auch erscheint, eine wichtige Rolle. Denn nach § 930 kann man bewegliche Sachen auch durch Einigung und Begründung mittelbaren Besitzes, nach § 931 durch Einigung und Abtretung des mittelbaren Besitzes übereignen. § 930 aber ist die Rechtsgrundlage für den Erwerb von Sicherungseigentum, das im Wirtschaftsleben das umständliche Pfandrecht des § 1204 längst abgelöst hat.

2. Die Rechtsfolgen des mittelbaren Besitzes

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      Nach § 868 „ist auch der andere Besitzer“; das ist die Rechtsfolge dieser Vorschrift. Gemeint sind der Nießbrauchsbesteller, der Verpfänder, der Vermieter und der Verpächter sowie jeder, der in einem „ähnlichen Verhältnis“ zu einem unmittelbaren Besitzer steht. Da ihm die tatsächliche Sachherrschaft des § 854 I fehlt, ist sein Besitz nur ein mittelbarer.

      Wenn also auch der mittelbare Besitzer ein Besitzer ist, sind alle Vorschriften über den Besitz, die sich nicht auf den unmittelbaren Besitz beschränken, wie es die §§ 854-856 tun, auch auf den mittelbaren Besitz anwendbar[94].

      Zwar sind auch die §§ 858-864 über die verbotene Eigenmacht und deren Rechtsfolgen auf den unmittelbaren Besitz zugeschnitten, denn verbotene Eigenmacht ist nach § 858 I nur die Entziehung oder Störung des unmittelbaren Besitzes ohne Willen des unmittelbaren Besitzers. Aber § 869 S. 1 gibt auch dem mittelbaren Besitzer die Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862, freilich mit einer kleinen, aber logischen Einschränkung: Aus § 861 kann der mittelbare Besitzer nach § 869 S. 2 in der Regel nur auf Herausgabe der Sache an den unmittelbaren Besitzer klagen, damit der eigenmächtig veränderte Besitzstand wiederhergestellt werde. Auf Herausgabe an sich selbst darf er erst dann klagen, wenn der unmittelbare Besitzer den Besitz nicht wieder übernehmen kann oder will. Unter diesen Voraussetzungen hat der mittelbare Besitzer nach § 869 S. 3 auch das Verfolgungsrecht aus § 867. Die Parallele zwischen § 869 S. 2 und § 986 I 2 ist kein Zufall.

      Diese Ansprüche des mittelbaren Besitzers stehen neben denjenigen des unmittelbaren Besitzers[95].

      Dass der mittelbare Besitzer auch Selbsthilfe nach § 859 üben dürfe, sagt § 869 zwar nicht, folgt aber aus § 868.

      Da nur die Entziehung oder Störung des unmittelbaren Besitzes ohne Willen des unmittelbaren Besitzers eine verbotene Eigenmacht nach §§ 858 ff. ist, hat der mittelbare Besitzer keinen Besitzschutz gegen den unmittelbaren Besitzer, denn was mit dessen Willen geschieht, ist selbst dann keine verbotene Eigenmacht, wenn es den mittelbaren Besitz zerstört[96].

      Der mittelbare Besitz erleichtert nach §§ 930, 931 die Übereignung beweglicher Sachen (RN 1123 ff.), vor allem in Gestalt der Sicherungsübereignung (RN 1263


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