Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer

Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer


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nur Besitzdienerin nach § 855, da die Kirchengemeinde ersichtlich auch die Kiste samt Inhalt in Besitz hatte (OLG Celle NJW 92, 2576).

      Verloren geht der durch Besitzdiener vermittelte Besitz dem Besitzer in zwei Fällen:

- wenn der Besitzdiener die tatsächliche Sachherrschaft verliert, sie aufgibt oder auf einen anderen überträgt;
- wenn er seine Dienerrolle verlässt und sich selbst zum unmittelbaren Besitzer aufschwingt, indem er sich weigert, weiterhin Weisungen des Besitzherrn zu befolgen.

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      Der unmittelbare Besitz ist vererblich und geht nach § 857 schon mit dem Erbfall auf den Erben über, auch wenn er die tatsächliche Sachherrschaft noch nicht ausüben kann und vielleicht von seinem Glück noch gar nichts weiß[39].

      § 857 ist eine Ausnahme von § 854 I, der den unmittelbaren Besitz als tatsächliche Sachherrschaft bestimmt. Gleichwohl genießt auch der ererbte Besitz vollen Besitzschutz, nicht zuletzt gegen einen Erbschaftsbesitzer (§ 2018), der die tatsächliche Sachherrschaft ergreift, weil er sich irrig für den Erben hält, denn das ist verbotene Eigenmacht nach § 858 I gegen den Erben, dem die Sache dadurch abhanden kommt.

      Da der Erbe mit dem Erbfall den unmittelbaren Besitz des Erblassers erbt, hat er auch die Eigentumsvermutung des § 1006 I 1 für sich[40].

      § 857 bringt dem Erben aber nicht nur Vorteile, denn mit dem Erbfall gehen auch die Verkehrssicherungspflicht des Besitzers und die Haftung des Eigenbesitzers für einen Gebäudeeinsturz nach § 836 auf ihn über[41].

4. Kapitel Der Schutz des unmittelbaren Besitzes 1. Das gesetzliche System

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      Obwohl der unmittelbare Besitz nach § 854 I keine rechtliche, sondern nur eine tatsächliche Sachherrschaft begründet, wird er nach §§ 859-864 bereits umfassend geschützt, nicht nur gegen eine Besitzentziehung, sondern schon gegen jede Besitzstörung.

      Das Reizwort heißt: „verbotene Eigenmacht“. Verboten ist nach § 858 I jede eigenmächtige Entziehung oder Störung fremden Besitzes, wenn sie nicht ausnahmsweise gesetzlich erlaubt ist[42].

      Eigenmächtig ist jede Entziehung oder Störung fremden Besitzes, die der unmittelbare Besitzer nicht will[43]. Auf verbotene Eigenmacht reagiert das Gesetz geradezu allergisch. Es berechtigt den unmittelbaren Besitzer, sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt zu erwehren (§ 859 I). Kommt er zu spät, darf er sie mit Abwehransprüchen auf Rückgabe des entzogenen Besitzes (§ 861), auf Beseitigung der Besitzstörung (§ 862 I 1) und auf Unterlassung weiterer Störungen (§ 862 I 2) bekämpfen.

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      Der Besitzschutz ist nicht zufällig dem Eigentumsschutz durch die §§ 227, 229, 985, 1004 nachgebildet. Allem Anschein nach anerkennt das Gesetz schon den nackten Besitz, auch wenn er nicht von einem Recht zum Besitz gestützt wird, als schutzwürdiges Rechtsgut. Dagegen besagt es wenig, wenn man den Besitzschutz als Friedensschutz bezeichnet, denn welcher Rechtsschutz dient nicht dem Rechtsfrieden. Aber § 864 drängt den Besitzer zur Eile und befristet die Abwehransprüche aus §§ 861, 862 auf ein Jahr, damit die verbotene Eigenmacht rasch rückgängig gemacht werde. Und § 863 nimmt dem Störer alle Einwendungen aus einem Recht zum Besitz. Zuerst soll der gestörte Besitzstand wiederhergestellt werden, bevor über das bessere Recht zum Besitz gestritten werden darf. Insoweit ist der Besitzschutz schwächer und stärker als der Eigentumsschutz, der zwar unbefristet ist, aber am Recht des Gegners zum Besitz (§ 986) oder zur Störung (§ 1004 II) scheitert.

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      Wer seinen Besitz rechtsgrundlos auf einen anderen überträgt, darf ihn nach § 812 I 1 mit der Leistungskondiktion zurückfordern[44]. Und wer seinen Besitz in sonstiger Weise durch rechtsgrundlose Entziehung verliert, klagt wegen Eingriffskondiktion nach § 812 I 1 auf Herausgabe[45].

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      Denkt man an den gestohlenen Besitz des Diebes, widersteht man der intellektuellen Versuchung, schon den bloßen Besitz als „sonstiges Recht“ nach § 823 I absolut zu schützen[46]. Erst in Verbindung mit einem Recht zum Besitz wird aus der tatsächlichen Sachherrschaft ein „sonstiges Recht“, so der Nießbrauchs- und Pfandrechtsbesitz, aber auch der Miet- und Pachtbesitz[47]. Vielleicht ist auch noch derjenige Besitzer schutzwürdig, der zwar kein Recht zum Besitz hat, dem aber, weil gutgläubig, nach §§ 987 ff. die Nutzungen der Sache bleiben, oder dem die §§ 721, 765a ZPO eine Räumungsfrist zubilligen[48]. Außerdem ist § 858, der die verbotene Eigenmacht ächtet, ein Schutzgesetz nach § 823 II[49]. Auch der Mitbesitzer, der die Sache beschädigt, ist den anderen Mitbesitzern trotz § 866 zum Schadensersatz verpflichtet[50]. Keinesfalls aber darf der unmittelbare Besitzer Ersatz für entgangene Nutzungen verlangen, die ihm von Rechts wegen nie zustanden[51].

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      Dagegen haftet der unmittelbare Besitzer, der den mittelbaren Besitz verletzt, mangels verbotener Eigenmacht nicht aus § 823, wohl aber aus § 280 I 1, wenn er eine Pflicht aus dem Besitzmittlungsverhältnis verletzt[52].

2. Die verbotene Eigenmacht

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      § 858 I definiert die verbotene Eigenmacht als Entziehung oder Störung fremden Besitzes ohne Willen des unmittelbaren Besitzers[53]. Nicht verboten ist die Eigenmacht nur, wenn das Gesetz selbst sie gestattet.

      § 858 I schützt jeden unmittelbaren Besitz, auch den unrechtmäßigen[54] und auch gegen Störer, die ein Recht zum Besitz haben[55]. Verbotene Eigenmacht begeht auch der mittelbar besitzende Vermieter, der nach Ablauf der Mietzeit den Mieter auf die Straße setzt, statt Urteil und Vollstreckung abzuwarten[56]. Keine verbotene Eigenmacht begeht dagegen der unmittelbare Besitzer, der die Mietsache unbefugt, aber willentlich weitergibt[57].

      Die Unterscheidung zwischen Entziehung und Störung fremden Besitzes ist wichtig für die Selbsthilfe des Besitzers (§§ 859) und die Besitzschutzansprüche (§§ 861, 862).

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      Es fällt auf, dass § 858 I eine Besitzverletzung „ohne Willen“ des unmittelbaren Besitzers verlangt, die gesetzliche Gestattung hingegen („… sofern


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