Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen. Kurt Schellhammer

Sachenrecht nach Anspruchsgrundlagen - Kurt Schellhammer


Скачать книгу
- nach dem Umfang der Sachherrschaft den Voll- und den Teilbesitz (§ 865); - nach der Zahl der Besitzer auf gleicher Stufe den Allein- und den Mitbesitz (§ 866); - nach der Willensrichtung des Besitzers den Eigen- und den Fremdbesitz (§ 872); - nach der Rechtsbeziehung zwischen Eigentümer und Besitzer den berechtigten und den unberechtigten Besitz (§§ 986 ff.); - nach der Art des Erwerbs den fehlerfreien und den fehlerhaften Besitz (§ 858 II).

      Im System des BGB ist der unmittelbare, alleinige, berechtigte und fehlerfreie Besitz an einer ganzen Sache der gesetzliche Normalfall, während die übrigen Besitzarten als Sonderfälle auftreten: so der mittelbare Besitz, der durch seine Sachferne schon stark vergeistigt ist; der Teilbesitz, der sich auf den Teil einer Sache beschränkt; der Mitbesitz, den man mit anderen teilt; schließlich der unberechtigte und der fehlerhafte Besitz, die beide der Rechtsordnung widersprechen, der eine, weil ihm ein Recht zum Besitz fehlt, der andere, weil er durch verbotene Eigenmacht erlangt ist.

      Die §§ 854-864 regeln den unmittelbaren Besitz in aller Ausführlichkeit, bevor die §§ 865-872 die Abweichungen nur knapp ansprechen. Auch hier erleichtert das juristische Denken in den Kategorien von Normalfall und Sonderfall, von Regel und Ausnahme das rechtliche Verständnis.

       [Bild vergrößern]

      25

      Dass man die Kleidung besitzt, die man auf dem Leib trägt, oder die Möbel, mit denen man seine Wohnung ausgestattet hat, oder das Auto in der Garage, weiß jeder, auch wenn er den § 854 I nicht kennt. Dagegen versteht es sich nicht von selbst, dass man sein Haus, seine Wohnung oder sein Auto auch dann noch besitzt, wenn man sie vermietet hat. So aber bestimmt es § 868, bezeichnet diese Art von Besitz freilich als „mittelbaren Besitz“.

      Der unmittelbare Besitz, geregelt in §§ 854-864, ist der gesetzliche Normalfall. § 854 I definiert ihn als tatsächliche Gewalt über eine Sache. Obwohl nun der Vermieter von der tatsächlichen Herrschaft über die Mietsache weit entfernt ist, behandelt § 868 auch ihn als Besitzer. Dies hat zur Folge, dass § 869 auch dem mittelbaren Besitzer vollen Besitzschutz nach §§ 859, 861, 862 gegen verbotene Eigenmacht gewährt. Dieser Schutzzweck heiligt das Mittel der Gleichbehandlung, denn der mittelbare Besitz, den der unmittelbare Besitzer (Mieter) kraft eines Besitzmittlungsverhältnisses (Mietverhältnis) einem anderen (Vermieter) vermittelt, ist ein Besitz ohne tatsächliche Sachherrschaft.

      Aber auch der unmittelbare Besitz ist nicht frei von Widersprüchen zur gesetzlichen Definition des § 854 I. So ist nach § 855 der Besitzdiener trotz tatsächlicher Sachherrschaft kein Besitzer, denn unmittelbaren Besitz hat nur der Besitzherr. Und der Erbe erbt den unmittelbaren Besitz des Erblassers nach § 867 schon mit dem Erbfall, obwohl er noch keine tatsächliche Sachherrschaft über den Nachlass haben kann.

      26

      Eine Sache kann man nicht nur ganz, sondern nach § 865 auch teilweise besitzen, freilich nicht zu einem ideellen Bruchteil, sondern nur zu einem realen Teil, der auch ein wesentlicher Bestandteil einer Sache sein kann (Wohnung, Hauswand, Gartenstück), denn der Besitz ist nun einmal kein Recht, sondern nur eine tatsächliche Sachherrschaft. Es gibt zwar Miteigentum zu Bruchteilen (§§ 1008 ff., 741 ff.), aber keinen Bruchteilsbesitz. Umgekehrt kann man an einem wesentlichen Bestandteil einer Sache zwar Besitz (§ 865), aber kein Sondereigentum begründen (§ 93). Von dieser Regel weicht nur das Wohnungseigentumsgesetz ab.

      27

      Eine Sache kann man allein besitzen, man kann den Besitz nach § 866 aber auch mit anderen teilen. Der Mitbesitz ist gewissermaßen das sichtbare Abbild des Miteigentums (§ 1008). Mitbesitzer stehen nebeneinander auf der gleichen Besitzstufe. Keine Mitbesitzer sind der unmittelbare und der mittelbare Besitzer, denn sie stehen auf verschiedenen Besitzstufen. Nach § 866 haben Mitbesitzer, was den Besitzschutz angeht, ein Innen- und ein Außenverhältnis. Gegen Störungen Dritter genießt auch der Mitbesitzer vollen Besitzschutz nach §§ 859 ff., dagegen beschränkt § 866 den Schutz gegen Besitzstörungen durch einen Mitbesitzer; das ist die besondere gesetzliche Rechtsfolge des Mitbesitzes.

      28

      Eigenbesitzer ist nach § 872 derjenige, der eine Sache „als ihm gehörend besitzt“. Wer hingegen eine Sache als einem anderen gehörend besitzt, ist Fremdbesitzer. Maßgeblich ist nicht die Rechtslage, sondern die Willensrichtung des Besitzers. Eigenbesitzer ist nicht nur der Eigentümer, sondern auch der Dieb. Nießbraucher und Mieter dagegen sind Fremdbesitzer, weil sie fremdes Eigentum über sich anerkennen. Die Unterscheidung ist vor allem wichtig für die Eigentumsvermutung des § 1006, denn sie gründet auf dem Erwerb des Eigenbesitzes an einer beweglichen Sache.

      29

      § 854 I definiert den Besitz nicht als rechtliche, sondern als tatsächliche Sachherrschaft. Danach ist der Besitz noch kein Recht, erst das Recht zum Besitz aus Eigentum, Pfandrecht oder Miete macht aus der tatsächlichen auch eine rechtliche Sachherrschaft. Das Recht zum Besitz des Nießbrauchers oder Mieters widersteht nach § 986 sogar dem Eigentum. Ohne Recht zum Besitz hingegen muss man nicht nur die Sache nach § 985 an den Eigentümer herausgeben, sondern haftet unter den Voraussetzungen der §§ 987 ff. auch noch auf Nutzungs- und Schadensersatz.

      30

      Fehlerhaft ist nach § 858 II 1 der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz. Fehlerhaft besitzt nach § 858 II 2 auch der Erbe des Störers sowie jeder andere Besitznachfolger, wenn er bösgläubig ist. Die Rechtsfolge regelt § 861 I mit § 863: Der fehlerhafte Besitz ist dem früheren Besitzer zurückzugeben, ohne dass der fehlerhaft Besitzende sich mit einem Recht zum Besitz verteidigen darf. Fehlerhaft ist also auch der rechtmäßige Besitz, wenn er durch verbotene Eigenmacht erlangt ist. „Fehlerhaft“ und „rechtswidrig“ sind zwei verschiedene rechtliche Kategorien.

3. Kapitel Der unmittelbare Besitz

      31

      Wenn § 854 I den Besitz als tatsächliche Gewalt über


Скачать книгу