Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter
arzthaftungsrechtliche Anspruch kann sich sowohl aus Vertrag als auch aus Delikt ergeben. Die Verletzung einer vertraglichen Pflicht aus dem Behandlungsvertrag wird in der Regel zugleich zu einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, des Lebens, oder auch des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten nach § 823 Abs. 1 BGB führen. Es kommt mithin bei einem Fehlverhalten eines Arztes sowohl eine vertragliche als auch eine deliktische Haftpflicht in Betracht. Haftungsansprüche des Patienten gegen den Behandelnden können auf die eine wie die andere Anspruchsgrundlage gestützt werden; sie bestehen nebeneinander (Anspruchskonkurrenz).[8] Die Schadensersatzsumme verdoppelt sich dadurch freilich nicht.
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Vertrags- und deliktsrechtliche Bezüge überlagern sich: „Für die Reichweite der deliktischen Garantenstellung kann neben dem Fachgebiet und der organisatorischen Rollenverteilung auch die vertraglich übernommene Behandlungsaufgabe von Einfluss sein, wie andererseits faktische Kontrollzuständigkeiten die vertragliche Behandlungsaufgabe mit ausgrenzen.”[9]
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In der Literatur wird gelegentlich behauptet, dass die vertragliche und die deliktische Haftung völlig identisch seien, gleich laufen und demzufolge auf die deliktische Haftung verzichtet werden könne.[10] Dieser Ansicht ist deutlich zu widersprechen; zwischen beiden Haftungsformen bestehen gewichtige Unterschiede.
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Jeder Schadensersatz setzt – was gelegentlich auch von Gerichten übersehen wird – einen Schaden voraus. Das gerät zunehmend aus dem Blick, weil in zu starkem Maße auf den Behandlungsfehler abgestellt wird. Ein noch so übler Behandlungsfehler oder eine grobe Aufklärungspflichtverletzung führen nicht zur Haftung, wenn kein Schaden entstanden ist. Liegt kein Schaden vor, fehlt es also auch an jeder Grundlage für einen Vergleich, zu dem Gerichte aber dennoch aus naheliegenden Gründen durchaus drängen.[11]
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Eine wesentliche Gemeinsamkeit des dualistischen Systems von vertraglicher und deliktischer Haftung besteht in der Geltung des Verschuldensprinzips. Nach geltendem Recht muss stets deutlich bleiben, dass es um das Einstehen für Unrecht, nicht für Unglück geht:[12] „Die reine Arzttätigkeit einer Haftung für besondere Gefahr zu unterwerfen, erscheint absurd. Die medizinische Tätigkeit ist dem Patienten zugewendet. Der Arzt wirkt nicht auf einen gleichmäßigen, sondern auf einen bestenfalls fluktuierenden, regelmäßig sogar reduzierten oder gefährdeten Gesundheitszustand ein. Auch die weitere Verschlechterung liegt zunächst im Risikobereich des Patienten. Dabei hat der Arzt professionelle Standards einzuhalten, mehr nicht.”[13]
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Die rechtsethische Überlegenheit des gleichermaßen das Vertrags- wie das Deliktsrecht beherrschenden Verschuldensprinzips[14] verbürgt berufliche Freiheit. Auch die Rechtsgemeinschaft gewinnt durch die Beibehaltung des Verschuldensprinzips. Nach berechtigter Kritik zog die EU-Kommission den Richtlinien-Entwurf zur Dienstleistungshaftung mit dem Kernpunkt einer Beweislastumkehr für das Verschulden zugunsten des Dienstleistungsempfängers zurück.[15]
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Kritisch anzumerken ist, dass sich das Haftpflichtrecht nicht nur in Deutschland erosionsartig ausweitet,[16] wobei sich die Grenzen zwischen Unrecht und Unglück, zwischen Schadenszurechnung und Schadensverteilung verwischen und verschärfte Verkehrspflichten sowie modifizierte Beweisregeln das freiheitsverbürgende Verschuldensprinzip abschwächen und versteckten Gefährdungstatbeständen den Weg bereiten.[17] Hinzukommt die geradezu periodisch aufflammende[18] Diskussion über Alternativen zum herkömmlichen Arzthaftungsrecht[19].
3. Behandlungsfehlervorwurf
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Unabhängig von dem geschilderten Dualismus der Anspruchsgrundlagen kann die Klage einen Behandlungsfehlervorwurf oder den Vorwurf einer Aufklärungspflichtverletzung zum Gegenstand haben. Beide Vorwürfe können im Prozess auch gebündelt werden. Das muss allerdings in der Klageschrift deutlich werden. Aufklärungs- und Behandlungsfehler in einer Arzthaftungssache sind unterschiedliche Streitgegenstände. Wird mit der Berufung gerügt, ein ärztlicher Eingriff habe „nicht dem Facharztstandard“ entsprochen, wird dadurch der Behandlungsfehlervorwurf noch nicht zum Gegenstand des Berufungsverfahrens[20].
1. Der Behandlungsvertrag
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Die vertragliche Haftung basiert auf dem medizinischen Behandlungsvertrag.[21] Dieser wurde nach ganz herrschender Ansicht und in der zivilrechtlichen Rechtsprechung in der Regel als Dienstvertrag angesehen.[22] Dabei stellte sich das Haftungsrecht weithin als systematisierte Rechtsprechung dar. Dieser Zustand wurde durch das am 26.2.2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz, das die ältere Rechtsprechung gewissermaßen in einem Gesetz bündelte, festgeschrieben.
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Ein Patientenrechtegesetz in dem Sinne, dass unter diesem Titel ein eigenständiges Gesetz existiert, gibt es nicht. Vielmehr handelt es sich um ein sogenanntes Artikelgesetz, dessen Artikel Änderungen anderer Gesetze enthalten. Im Wesentlichen wurden die §§ 630a–630h in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingefügt. Weitere Änderungen betreffen das SGB V. Diese Vorschriften sind für den Patienten von weitaus größerer Bedeutung als für den Arzt im Verhältnis zum Patienten.
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In der jahrzehntelang währenden Diskussion über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes und seine Ausrichtung wurde der Begriff Patientenrechte nicht definiert. Dabei weichen die Vorstellungen über den Inhalt durchaus stark voneinander ab. Unter Patientenrechte können zum einen die Rechte des Patienten in der Behandlung beim niedergelassenen Arzt oder in der Klinik verstanden werden. Das dürften geschätzt bis zu 12 Milliarden Behandlungsfälle (Patientenkontakte) im Jahr sein. Insbesondere die Patientenschutzverbände verstehen unter den Patientenrechten indessen die Rechte des Patienten im Konfliktfall; das dürften 10.000–300.000 Fälle im Jahr sein. Je nach Definition können und werden andere Forderungen an den Inhalt eines Patientenrechtegesetzes gestellt werden. Die Reform hat sich zu recht dafür entschieden, die Arzt-Patienten-Beziehung im normalen Ablauf zu regeln, nicht so sehr die Konfliktfälle. Sie sind allerdings Gegenstand der Beweislastregeln des § 630h BGB.
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Weitaus heftiger als der Inhalt wurde bisher die Frage diskutiert, ob ein solches Gesetz überhaupt notwendig sei, zumal es weithin nur den bestehenden, durchaus ausreichenden Rechtszustand in Gesetzesform gieße[23]. Die Begründung der Bundesregierung lautet, dass die Patienten durch die ausdrückliche Aufnahme ihrer Rechte in das BGB besser über ihre Rechte informiert seien, eine Annahme, die füglich bezweifelt werden kann. Aus Sicht der Ärzteschaft steht ein anderer Gesichtspunkt im Vordergrund, nämlich der, dass es unter einer anderen Regierungskoalition schlimmer hätte kommen können und dass das Vorhandensein des Gesetzes in der aktuellen Fassung wahrscheinlich eine weitere zeitnahe Beschäftigung mit dem Thema – und damit eine Verschlimmerung – verhindern wird. In der Diskussion sind derartige Überlegungen aber immer noch. Eine Reform des Arzthaftungsrechts, eventuell in Form einer Fondlösung, wird immer wieder propagiert.
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§ 630a Abs. 1 BGB normiert den Behandlungsvertrag als Sonderform des Dienstvertrages. Das ergibt sich sowohl aus der Überschrift des Titel 8 – „Dienstvertrag und ähnliche Verträge“ –, dem Wortlaut des § 630a BGB, den Materialien, die sich insoweit auf die ältere einschlägige Literatur berufen[24], als auch ausdrücklich aus § 630b BGB, der zur Lückenfüllung auf die Vorschriften des Dienstvertrages verweist, soweit in den §§ 630a ff. BGB nichts Abweichendes festgelegt ist. Auch die Stellung im Gesetz spricht für dieses Ergebnis und nicht etwa dafür, dass der Behandlungsvertrag dogmatisch zwischen Dienst- und Werkvertrag angeordnet ist[25]. Entsprechendes gilt für den Reisevertrag, der in den §§ 651a BGB geregelt ist, und gleichfalls