Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter
wurde oder nicht. Weiterhin ist erforderlich, dass er ein unrichtiges Gutachten, vorsätzlich oder grob fahrlässig, schriftlich oder mündlich erstattet hat. Ein solches unrichtiges Gutachten liegt vor, wenn er von einem unzutreffenden Sachverhalt (insbesondere fehlerhafte oder unvollständige Befunderhebung) ausgeht, sofern der Sachverhalt nicht durch das Gericht vorgegeben ist, oder er aus dem Sachverhalt falsche Schlüsse zieht.[74] Der Schaden muss durch eine gerichtliche Entscheidung (wie ein Urteil, einen Beschluss oder auch sonstige Zwischenentscheidungen) verursacht worden sein. Das bedeutet, dass eine Haftung aus § 839a BGB ausscheidet, wenn das Verfahren ohne gerichtliche Entscheidung endet. In dieser Konstellation beruht der Schaden nicht auf der gerichtlichen Entscheidung. Das gilt auch dann, wenn die Parteien das Verfahren gerade unter dem Eindruck eines unrichtigen Gutachtens anderweitig, etwa durch Vergleich, beenden. Die gerichtliche Entscheidung muss ihrerseits auf dem unrichtigen Gutachten beruhen, wobei eine Mitursächlichkeit ausreichend ist. Davon ist auszugehen, wenn die Entscheidung dem Gutachten zumindest teilweise folgt und die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie ohne das Gutachten bzw. bei einem anderen Inhalt oder Ergebnis weniger ungünstig für den betreffenden Verfahrensbeteiligten ausgefallen wäre. Ob das der Fall ist, ergibt sich aus den Entscheidungsgründen; in aller Regel aus der Beweiswürdigung.[75] Eine Haftung des Arztes als gerichtlicher Sachverständiger entfällt gemäß § 839a Abs. 2 BGB i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB, wenn es der Verfahrensbeteiligte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Rechtsmittel in diesem Sinne sind Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten richten und bestimmt und geeignet sind, dessen Auswirkungen auf die instanzbeendigende Entscheidung zu verhindern. Dazu zählen u.a. die Beantragung eines weiteren Gutachtens oder Einwendungen gegen das Gutachten.[76] Ersatzfähig ist jeder durch das unrichtige Gutachten und die darauf beruhende Entscheidung adäquat verursachte Schaden, soweit er in den Schutzbereich der verletzten Pflicht fällt.[77] Aktivlegitimiert ist ein am Verfahren, in welchem das Gutachten eingeholt wurde, Beteiligter. Die Beweislast für die Voraussetzungen nach Abs. 1 trägt er als der Geschädigte. Die Beweislast für den Ausschlussgrund nach Abs. 2 trägt der passivlegitimierte Sachverständige.[78] Die im Interesse des Patienten anerkannte Herabsetzung der Substantiierungslast im Arzthaftungsprozess kann nicht auf den Regressprozess gegen den medizinischen Sachverständigen nach § 839a BGB übertragen werden. Demzufolge ist der Regresskläger gehalten, schlüssig darzulegen, dass der Beklagte mindestens grob fahrlässig ein unrichtiges gerichtliches Gutachten erstattet hat[79]. Alles in allem sind die Erfolgsaussichten einer auf § 839a BGB gestützten Klage gering.
IV. Vergleich der vertraglichen und deliktischen Haftpflicht
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Seit den BGB-Reformen[80] sind zudem die vormals bestehenden Unterschiede in der Verjährung[81] vollständig und im Haftungsumfang (vormals § 847 BGB in Bezug auf das Schmerzensgeld) weitgehend beseitigt worden. Die Neuregelung des § 253 Abs. 2 BGB hat den Weg auf Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld auch für die vertragliche Haftung eröffnet.
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Die in der Literatur gelegentlich vertretene Ansicht, die vertragliche und die deliktische Haftung seien völlig identisch ist falsch. Zwischen beiden Haftungsformen bestehen Unterschiede. Zwar gibt es regelmäßig den behaupteten Gleichlauf, er gilt aber nicht in allen Konstellationen.
1. Sorgfaltspflichten und Fehlverhalten des Arztes
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Die einen Schadensersatzanspruch begründenden Verhaltenspflichten (im Wesentlichen: Behandlungs-, Aufklärungs- und Organisationsfehler) unterliegen im vertraglichen wie im deliktischen Haftungssystem den gleichen Voraussetzungen in Bezug auf Art und Umfang. Auch die Rechtsprechung legt die vertraglich geschuldete Pflicht und die im Rahmen der deliktischen Haftung abverlangte Pflicht identisch aus.[82] Die Pflicht des Arztes zur fachlich gebotenen Sorgfalt nach aktuellem Standard, zur Aufklärung des Patienten, zur Dokumentation, zur Gewährung von Einsicht in die Krankenunterlagen gilt vertraglich wie außervertraglich und auch dann, wenn der Arzt ausnahmsweise als Geschäftsführer ohne Auftrag in Anspruch genommen wird. Dem Patienten kommt bei Diagnose und Therapie vertraglich und deliktisch der gleiche Schutz zu. Immer nimmt er Expertenautorität in Anspruch, auf die sich der ärztliche Heilauftrag gründet, der zusammen mit der Einwilligung des Kranken den medizinischen Eingriff legitimiert.[83] „Die einem Arzt bei der Behandlung seines Patienten obliegenden vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten sind grundsätzlich identisch.”[84] Das gilt auch für das Gebot des „primum nil nocere”.[85]
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Die Haftpflicht erfordert in dem dualistischen System von vertraglicher und deliktischer Haftpflicht eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung und eine dadurch verursachte Schädigung des Patienten an Körper und Gesundheit. Die Verletzung der objektiven Sorgfalt muss dabei einen subjektiven Vorwurf begründen. Liegt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung und eine dadurch verursachte gesundheitliche Unbill des Patienten vor, spricht das in aller Regel auch für einen zivilrechtlichen Vorwurf subjektiven Sorgfaltspflichtverstoßes – auch eine Folge des bei § 276 BGB geltenden typisierten und objektivierten Sorgfaltsmaßstabs.[86]
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Da die vertragliche Haftung des Arztes für Behandlungsfehler an die Verletzung von Verhaltenspflichten anknüpft, die in gleicher Weise und mit demselben Inhalt auf den Schutz der Gesundheit des Patienten bezogen sind wie die Pflichten, deren Verletzung zur deliktischen Arzthaftung führt, stimmen die vertraglichen und deliktischen Verhaltenspflichten völlig überein: es besteht „Strukturgleichheit” von vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten. Aus diesem Grund muss auch der Haftungsgrund in gleicher Weise abgegrenzt werden.[87] Dies wurde auch von der Rechtsprechung angenommen. Der BGH hat insoweit ausgeführt, dass die Sanktion des Schadensersatzes auch für die Ansprüche aus verletzten vertraglichen oder nachvertraglichen Pflichten nur für den Fall vorzusehen sei, dass es zur Verletzung eines individuellen Rechtsguts komme. Auch im Rahmen der Vertragsverletzung wegen eines Arztfehlers ist die Feststellung, dass dieser zu einer Gesundheitsbeschädigung des Patienten geführt habe, nach § 286 ZPO zu treffen, soweit es um den ersten Verletzungserfolg geht. Erst die Weiterentwicklung der Schädigung gehört zur haftungsausfüllenden, nach § 287 ZPO festzustellenden Kausalität.[88]
2. Einstehenmüssen für das Fehlverhalten von Hilfspersonen
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Die auf den ersten Blick beträchtlich erscheinende Differenz in Bezug auf das Einstehenmüssen für das Fehlverhalten von Hilfspersonen zwischen den Regelungen des § 278 BGB und § 831 BGB mit der Möglichkeit zur Exkulpation ist in der Praxis von geringem Gewicht. Die Gerichte haben die Exkulpationsmöglichkeit bei § 831 BGB durch hohe Anforderungen sehr erschwert und damit die verschiedenen Einstandspflichten für Hilfspersonen im Ergebnis einander angenähert. Die Rechtsfigur des Organisationsverschuldens schließt im Übrigen Lücken des Deliktsrechts.[89]
3. Haftungsbeschränkungen
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Im Rahmen der Gegenüberstellung der vertraglichen und der deliktischen Haftpflicht könnte sich ein wesentlicher Unterschied über die Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen ergeben. Grundsätzlich gilt zwar, dass eine Freizeichnung von der vertraglichen und deliktischen Haftung weder durch Formularvertrag noch durch Individualvereinbarung möglich ist. Fraglich ist andererseits, ob Ausnahmen zulässig sind. Bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der völligen oder teilweisen Haftungsfreizeichnung bei der Heilbehandlung ist zwischen dem individuell vereinbarten Haftungsverzicht und der formularmäßigen Freizeichnung zu unterscheiden.[90]
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Die individuelle Haftungsfreizeichnung ist wegen Ausnutzung einer Monopolstellung gemäß § 138 BGB sittenwidrig und daher nichtig, wenn der Patient in einem Notfall auf die Hilfe des nächsterreichbaren