Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
1803 zu ratifizieren (wobei die umzuverteilenden Reichsstände als „abwesend“ unbeachtet blieben).[12] Die geistlichen Fürsten und die Reichsklöster verloren sowohl ihre Herrschaftsrechte (Mediatisierung) als auch ihr Vermögen (Säkularisation); und auch die meisten Reichsstädte mussten ihre Selbstständigkeit aufgeben. Größte Nutznießer dieser territorialen Umverteilung wurden die süddeutschen Monarchien.
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Neue Aufgaben
Die großflächige Umverteilung von Herrschaft nach den modernen statistischen Kriterien von Fläche und Bevölkerungszahl weckte Zweifel, ob monarchische Herrschaft noch „von Gottes Gnaden“ kam (bei Napoleon „von Gottes Gnaden und durch die Constitutionen“) und ob auf „brüderliche“ Solidarität innerhalb der traditionellen „Familie“ aller christlichen Herrscher noch Verlass war. Dennoch mussten die neuen Untertanen überall erst für die neuen Dynastien und ihre Staaten gewonnen werden, indem z. B. neue, rationalere, attraktivere Verwaltungsstrukturen und -methoden eingeführt wurden. Hierarchische Steuerung mit Instruktionen und dichten Kontrollen sollte größere Gleichmäßigkeit staatlichen Handelns bringen. Das Verhältnis vor allem der katholischen Kirche zum Staat war neu zu klären. Dabei blieb die Frage nach Entschädigungen für die Verluste an materiellem (Grundherrschaft, Eigenbetriebe und Forsten) und ideellem Vermögen (Bibliotheken und Kunstwerke) aufgeschoben. Das am meisten belastende Problem der Finanzpolitik nach 1803 lag freilich darin, überhaupt die hohen Unterstützungsleistungen für Napoleons kontinental ausgreifenden Pläne aus den alten Landessteuern und den Erträgen der Neuerwerbungen bestreiten zu können.
2. Ende des Alten Reichs und Napoleons Rheinbund ab 1806
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Ende des Alten Reichs
Nach Napoleons Sieg über Österreich in Austerlitz sprach der Frieden von Preßburg 1805 Bayern und Württemberg die volle Souveränität und die Erhebung zum Königreich zum 1. Januar 1806 zu, mit der eigenartigen Verpflichtung, Mitglieder „des deutschen Bundes“ zu bleiben, obwohl doch der „Kaiser von Deutschland und Österreich“ ihrer Souveränität keine Schranken mehr setzen sollte. Die deutschen Herrscher, die schon erfolgreich in die Familie ausgerechnet des Stürzers der Dynastien eingeheiratet hatten, mussten sich am 1. August 1806 vom Reich trennen, als sie zusammen mit Napoleons Familien- und Satellitenstaaten Westphalen und Berg seinem Rheinbund beitraten. Er zielte eindeutig auf die militärische und finanzielle Unterstützung durch deutsche Ressourcen an Geld und Menschen; ein langfristiges wirtschaftliches Projekt wie etwa eine Zollunion war nicht damit verbunden. Am 6. August 1806 legte Kaiser Franz II., der seit 1804 auch schon (als Franz I.) Kaiser von Österreich war, in Wien die Reichskrone nieder und beendete damit die Existenz des Alten Reichs.
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Napoleons Modellstaaten
Als hegemonialer „Protektor“ des Rheinbunds baute Napoleon Pufferstaaten nach Osten auf, die ihm dynastisch eng verbunden waren. Nach dem Frieden von Tilsit 1807 errichtete er für seinen Bruder Jérôme vor allem aus abgetretenen preußischen Gebieten westlich der Elbe das neue Königreich Westphalen (Kassel). Es war ähnlich groß wie das erheblich verkleinerte Preußen. Als Modellstaat sollte es nach innen die Segnungen von revolutionärer Freiheit und Gleichheit bringen, darunter 1808 auch die völlige Emanzipation der Juden, die jedoch eher zögerlich umgesetzt wurde. Anders als im Rheinland blieben Universitäten in Marburg und Göttingen erhalten und nur Rinteln, Helmstedt und Halle wurden geschlossen. Napoleon selbst gab Ende 1807 dem Länderkonglomerat eine Verfassung, die es in acht Departements gliederte. Die neue, hierarchisch-bürokratisch bis in die Fläche durchorganisierte Verwaltung sollte nicht mehr absolutistischer Willkür folgen; der Monarch sollte „das Glück der Völker“ sichern – in Napoleons Kalkül aber vor allem sein Expansionsstreben absichern. Die rationale Gebietseinteilung stieß in den Kantonen als untersten Einheiten an Grenzen. Sie waren unterschiedlich groß, die Hauptorte lagen selten zentral, und im langgestreckten Kanton Stendal musste der Steuereinnehmer jeden Monat alle Gemeinden aufsuchen, die bis über 20 km entfernt lagen – weil diese Struktur an ältere Gerichtsbezirke anknüpfte. Finanzpolitisch wurde ein neues, einheitliches Steuersystem mit einer einzigen Staatskasse und einem einheitlichen Staatsbudget verordnet. Durch Abschaffung aller Binnenzölle entstand ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, in dem die Maße auf das revolutionär-rationale metrische System umgestellt waren.[13] Das alte bayerische Nebenland des Herzogtums Berg (Düsseldorf) mit seinen frühindustriellen Zentren im Wuppertal gab Napoleon 1806 als Großherzogtum an seinen Schwager Joachim Murat, übernahm es aber 1808 selbst in Personalunion. Die Minister amtierten zwar in Düsseldorf, doch der ihnen vorgesetzte Minister-Staatssekretär residierte in Paris.[14] Mit dem Großherzogtum Frankfurt wurde schließlich Karl Theodor von Dalberg, der 1802 abgesetzte Kurfürst und Erzbischof von Mainz, als „Fürstprimas“ des Rheinbunds versorgt.
III. Reformschub für Bayern unter dem Ministerium von Graf Montgelas
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Souveränität im Rheinbund?
Zum Ende des Alten Reichs 1806 erschien in Bayern die anonyme Schrift „Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung“. Im ,souveränen Bayern‘ verfolgte die französische Armee ihren Nürnberger Verleger Johann Philipp Palm und verurteilte ihn noch im August durch ein Kriegsgericht zum Tode. Der deutschen Öffentlichkeit wurde die Instrumentalisierung der deutschen Staaten und ihre Gefährdung durch Napoleon bewusster als zuvor; die frühere Freude über den Fortschritt zu Freiheit und Gleichheit verflog. Bayerns leitender Minister Maximilian Graf Montgelas wollte sein Land nicht zum Objekt rheinbundweiter Gesetzgebung werden lassen, und so entstand in Kenntnis der Verfassung Westphalens die erste bayerische Verfassung von 1808. Sie verankerte die Grundrechte weiter und sah Rechtskodifikationen und eine Nationalrepräsentation aus Höchstbesteuerten vor; wegen der fortdauernden Kriege wurde jedoch nur sehr wenig davon wirklich umgesetzt.[15]
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Lebenszeitbeamte als Gegengewicht zum Minister
Wegweisend wurde vor allem die schon 1805 von Montgelas durchgesetzte Konzeption des Lebenszeitbeamten. 1803 gab der Reichsdeputationshauptschluss den neuen Landesherren auf, „herrenlos“ gewordene Beamte in ihren Dienst zu übernehmen. Schon im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts sahen Reichsgerichte Beamte nicht mehr als persönliches Personal an, sondern als Diener des Staates, die von einem alten wie einem neuen Dienstherrn die Achtung ihres „wohl erworbenen Rechts“ (ius quaesitum) erwarten konnten.[16] In dieselbe Richtung überlegte seit 1796 Montgelas, damals noch als Berater des bayerischen Thronerben, um der Günstlingswirtschaft und offenen Korruption ein Ende zu setzen. Wer nach langer und guter Ausbildung sich dem Dienst am Staat widmete, sollte ein Recht auf angemessene Entlohnung während seines ganzen Lebens erhalten, entsprechend seinem gesellschaftlichen – nicht mehr höfischen! – Rang („a un droit acquis pendant sa vie à une subsistance honnête, proportionnée au rang qu‘il tient dans la société“). Und Montgelas ging in seinem Ansbacher Mémoire noch weiter. Angesichts häufiger Ministerwechsel erwartete er von der Beständigkeit der höheren Beamten die Prinzipienstärke und den Systemgeist, die die Seele einer Verwaltung ausmachen. Aus Vorsicht („prudence“) sei es deshalb angebracht, ein Gegengewicht zu einer zu großen Macht der Minister („un contrepoids à la trop grande puissance des ministres“) zu schaffen, indem die ihnen Vortrag haltenden Ministerialbeamten unabhängig vom Willen oder Unwillen der Minister auf Dauer beschäftigt werden. Und er erwartete, dass die Beamten ihrer einzigartigen Lebenszeitstellung entsprechen, indem sie möglichem Unrecht widerstehen und Intrigen aus ministeriellem Despotismus („despotisme ministériel“) abwehren. Ihre Stellung verband sich mit Pflicht, und hier blitzte eine Verwaltungsethik auf. Politisch tarierte Montgelas Regierung durch die Minister und Verwaltung durch die beratenden Beamten gegeneinander aus – nicht so sehr im Interesse des Monarchen als Person, sondern in dem des Staates, dem es um das „Gute“, das Gemeinwohl geht. Montgelas‘ Begriff „contrepoids“ wurde übrigens im französischen Kontext sowohl in Montesquieus