Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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Ausscheiden sehr bald der Wille der Krone. Am 5. Juni 1823 wurden immerhin Provinzialstände angeordnet; die Mitgliedschaft war aber an Grundbesitz gebunden und die Stände blieben auf Beratung beschränkt.[24]

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      Regierung: Organisationsedikt 1808

      1794 war das Allgemeine Landrecht noch „für die Preußischen Staaten“ erlassen worden, und auch 1807 gab es, anders als in Bayern, noch nicht viele wirklich auf Preußen als einheitlichen Staat bezogene Institutionen – außer dem König. Noch immer herrschte das friderizianische System einer Regierung „aus dem Kabinett“, einem kleinen Beratungsraum im Schloss, wobei der König gerade nicht mit seinen Ministern beriet. Er erhielt deren Anträge vielmehr gefiltert durch die von ihm persönlich ausgewählten, von Karl August von Hardenberg schon 1797 als „halb oder gar nicht unterrichtet“ angesehenen Kabinettssekretäre, bedachte sie bei sich ohne weiteren Austausch, und entschied. Gegen diese Praxis entwarf Freiherr vom Stein das nach seinem Rücktritt durch Hardenberg noch umgearbeitete Organisationsedikt vom 16. Dezember 1808. Die gesamte Verwaltung sollte von einem dem König „unmittelbar untergeordneten obersten Standpunkt“ ausgehen, den Stein in einem kollegial entscheidenden Rat von möglichst wenigen Fachministern sah. Sie sollten die Geschäfte nach „unmittelbar ihnen erteilten Befehlen [des Königs] selbstständig und selbsttätig bei voller Verantwortlichkeit [leiten]“. Die Verantwortlichkeit aller Minister, noch ohne Parlament gedacht, und nicht überall mit der Gegenzeichnung verknüpft, sollte die Intransparenz der alten Kabinettsregierung ablösen. Hardenberg übertrug als Staatskanzler 1810 sich selbst den Vorsitz, verband das mit der Kontrolle des Zugangs aller anderen Minister zum König und beendete so vorläufig die Kollegialität.[25] Das Organisationsedikt enthielt auch den sehr differenzierten Geschäftsverteilungsplan der neuen Fachministerien und es wandelte die Kriegs- und Domänenkammern des Absolutismus in die Mittelbehörden der Regierungen unter einem Präsidenten um. Darüber setzte es in den zehn, dann acht Provinzen Oberpräsidenten, woraus sich die ungewöhnliche, charakteristische Vierstufigkeit der preußischen Verwaltung ergab. Die Oberpräsidenten sollten zunächst als ständige Kommissare des Ministeriums die Regierungen in ihrer Provinz in übergeordneten Fragen koordinieren, ohne dabei Vorgesetzte der Regierungspräsidenten zu werden und sich mit deren „Detailverwaltung“ abgeben zu müssen. Diese Verwaltung kam mit erstaunlich wenig Personal aus; im Jahre 1820 verwalteten das wiederhergestellte Preußen auf der Ebene der Mittelbehörden 598 (und 1852 noch 515) höhere Beamte, wozu auf der Kreisebene noch etwa 325 Landräte kamen.[26]

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      Freiheit in der Universität 1810

      Freiherr vom Stein schlug Wilhelm von Humboldt als Leiter der Sektion für Unterricht und Kultus im neuen Innenministerium vor. In seiner kurzen Amtszeit bestimmte er wesentlich die neuartigen Grundlinien der 1810 gegründeten Universität Berlin. In seinem von der Zensur bis 1851 (!) unterdrückten Manuskript von 1792 über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates bestimmte er ihr Bildungsziel: „Der wahre Zweck des Menschen […] ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung.“ Er grenzte die neue Bildung ganz entschieden gegen die nutzenorientierten praktischen Fächer ab, die in der Aufklärung Zulauf gewonnen hatten, weil sie auf Brauchbarkeit im Alltag zielten. Diese neue Freiheit verlangte individuelle Studierfreiheit, und damit verbunden wollte Humboldt die jungen Männer herausfordern durch „Mannigfaltigkeit der Situationen“. Dem Staat blieb in der Universität als Aufgabe nur, beides zu sichern – durch Lehr- und Lernfreiheit in einer staatlich finanzierten Institution und durch Aufsicht über deren Auswahl von möglichst unterschiedlichen Professoren. Daraus entwickelte sich die für Deutschland im 19. Jahrhundert typische Forschungsuniversität als „staatliche Veranstaltung“ mit weitgehender Selbstverwaltung außer in Berufungsangelegenheiten.[27]

B. Legitimität der deutschen Staaten als fortbestehende Grundlage von Staat und Verwaltung (1815–1866)

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      Tradition alteuropäischer Republiken

      Neben dem vorherrschenden monarchischen Weg der Herrschaft eines Einzelnen gehört zur europäischen politischen Erfahrung auch die von vielen getragene Republik. Aus den ur-demokratischen schweizerischen Landsgemeinden entwickelte sich im 19. Jahrhundert statt eines „Beamtenstaates“ ein „Volksstaat“ mit – inzwischen weitgehend abgebauter – Volkswahl der Beamten auf Zeit, wie Fritz Fleiner den ihm vertrauten Gegensatz zu Deutschland fasste.[28] Davon abgesehen, herrschten im venezianischen Stadtadel, dem Berner Patriziat oder unter den kaufmännisch-städtischen Regenten in den Provinzen der Vereinigten Niederlande oligarchische Strukturen. Republiken lebten nach einer anderen inneren Logik als die Monarchien, was viel mit dem Misstrauen dieser gleichwohl oft familiär verbundenen „Gleichen“ gegeneinander zu tun hatte. Sie besetzten ihre Ämter oft doppelt und manchmal auch durch Losen, vergaben sie oft nur auf (teils sehr kurze) Zeit, kannten das Vier-Augen-Prinzip, richteten früh eine unabhängige Ausgabenkontrolle durch Dritte ein und berieten stets kollegial. All dies machte sie zwar bedächtig, aber auch langsam und strukturell konservativ auf dem Althergebrachten beharrend.

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      Restauration in Hamburg

      Die Hansestädte knüpften nach dem Ende der Franzosenzeit an ihre vorrevolutionären Verfassungen an. In Hamburg wurde das überlieferte Herrenrecht bestätigt, das κύριον von 1712. Es war geteilt, lag aber weitgehend in den Händen des Rats (ab 1860: Senat). Dieser bestand aus vier Bürgermeistern und 24 weiteren durch Kooptation auf Lebenszeit berufenen Mitgliedern und besaß durch sein Initiativrecht die Prärogative. Ein geringerer Anteil am Herrenrecht kam der grundbesitzenden und vermögenden Erbgesessenen Bürgerschaft allein lutherischer Konfession zu, die in Kirchspielen organisiert war. Weitere „bürgerliche Kollegien“ hatten Kontrollfunktionen. Eine 1814 eingesetzte Reorganisationsdeputation erreichte die Aufstellung von Haushaltsplänen, die aber bis 1840 noch geheim blieben. Die Oligarchie zahlte ihre Steuern nicht mehr in selbst eingeschätzter, nach außen geheimer Höhe, und sie flossen in eine einheitliche Staatskasse. Die Versteigerung von untergeordneten Beamtenstellen endete; höhere gab es lange noch nicht. Es fehlte die Gleichberechtigung der anderen christlichen Konfessionen (und damit ihre politische Teilhabe), die Gleichstellung der Juden (nach kurzem Intermezzo unter dem Französischen Kaiserreich) und die Trennung von Justiz und Verwaltung.

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      Restauration in Bremen und Lübeck

      In Bremen und Lübeck lagen die Verhältnisse strukturell ähnlich. Bremen führte jedoch schon 1816 eine Wahl der Senatoren durch einen mehrheitlich von Kaufleuten bestimmten Bürgerkonvent ein, der seinerseits wieder vom Senat berufen war. Mit strategischem Weitblick gelang es Bremen 1827, zur Sicherung des Hafens abwärts der versandenden Weser Land vom Königreich Hannover zu kaufen und dort Bremerhaven zu gründen. Die Stadt wurde binnen Kurzem zum größten deutschen Amerika- und Auswandererhafen. Auch Hamburg (u. a. Ritzebüttel, heute Cuxhaven) und Lübeck hatten entsprechende Landgebiete, deren Einwohner mindere oder gar keine Beteiligungsrechte hatten.[29]

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      Verfassungen nach 1848

      In Lübeck folgten 1848 gleich zwei Verfassungen aufeinander. Die Bürgerschaft wurde von den Bürgern, nicht den Einwohnern, nach gleichem Wahlrecht gewählt. Sie war bei der Neuwahl von Senatoren auf Lebenszeit paritätisch mit dem Senat beteiligt; dabei gab es eine Mischung von Wählen und Losen. In Bremen wurde die erste Verfassung von 1849 im Jahre 1854 zurückentwickelt. Auch hier wählten nur christliche Bürger die Bürgerschaft, aber ungleich nach acht Besitzklassen; „Staatsgenossen“ lautete der umfassende Begriff für Bürger und Einwohner. In Hamburg führten die Anstöße von 1848 erst 1860 zu einer Verfassung. Die Bürgerschaft wurde nach drei Klassen gewählt und war nun auch an der Wahl der Senatoren beteiligt. Gemeinsam blieb allen Hansestädten, dass die höchste Staatsgewalt


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