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der begrenzten Arbeitszeit eines alleine arbeitenden, höchstens von einem zugewiesenen Assessor unterstützten Landrats ausgeführt wurde. Verwaltungstechnisch verfestigte sich der Anspruch der obersten Stellen auf Umsetzung schon früh in ihrer Praxis, erläuternde Ausführungsverordnungen unter verschiedenen sich überlappenden Begriffen zu erlassen. Für die Wirkungen von Verwaltung bis nach unten muss man ferner zwischen einem Regieren durch allgemeines Anweisen, auch und gerade unterhalb der Gesetze, und der Realität des ausführenden Vollzugs im Verwalten unterscheiden. Das ist besonders schwierig bei den Mittelbehörden – führten sie mehr aus, wie die Unterbehörden, oder wiesen sie selbstständig an, wie die Ministerien?[71]

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      Implementation im Vollzug

      Die von formaler Hierarchie bestimmte Perspektive erweitert sich, wenn man verwaltungsinterne Kommunikationsflüsse auch in der Gegenrichtung von unten nach oben einbezieht. Die Geschäftspraktiken der Verwaltung standen immer in einem Prozess der Verdeutlichung, Konkretisierung und punktuellen bis grundlegenden Verbesserung, der sich in einem sachorientierten und insofern hierarchiefernen Dialog zwischen den oben und unten Beteiligten entwickelte. Verwaltungsintern wurden Änderungen weniger mit Strafandrohungen durchgesetzt, sondern eher mit Aufforderungen und Vernunftüberlegungen begründet. Das eröffnete auch untergeordneten Stellen einen Freiraum zu selbstständigem Tun, unter dem übergeordneten Ziel, im eigenen Handeln den Willen des Monarchen, das Gemeinwohl und das Wohl des Einzelnen zusammenzubringen. „Bestimmt“ zu sein und so zu handeln, wurde eine grundlegende Anforderung an Beamte. Angesichts der Komplexität der Welt und deren notgedrungener Vereinfachung in Vorschriften der Regierung erwies sich ein Handlungsspielraum im Sinne eines Ermessens[72] als notwendig, wenn die Beamten „möglichst frei und selbstständig wirken“ sollten. Die langen Zeiten praktischer Ausbildung nach dem Studium dienten auch dazu, sich mit Vorbildern, in die eine oder andere Richtung, auseinanderzusetzen und spätere eigene Freiheitsräume vorauszudenken.[73] Die gelebte Beamtenethik konnte und sollte dann die Sicherheit der Stellung mit eigenständigem Urteil und initiativfreudigem Handeln verbinden. Aus der Sicht eines hohen preußischen Reformbeamten war es 1840 Sache eines jeden höheren Beamten, „den Zweck der Vorschriften niemals aus den Augen zu verlieren; eben deshalb wird neben der besonderen Geschäftsbildung auch allgemeine von ihnen gefordert, damit sie den Geist der Gesetzgebung erkennen und demselben, nicht aber bloß dem todten Buchstaben nach, ihr Amt verwalten.“[74]

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      Kommunikationsformen

      Viele Adressaten der Verwaltung waren noch gar nicht zu schriftlicher Kommunikation befähigt. Das alte Instrument der dem Herrscher übergebenen, von einem bezahlten Schreiber verfertigten „Supplik“ lebte in neuen bürokratischeren Formen als „Gesuch“, „Eingabe“ oder rechtlich spezifischer als „Beschwerde“ weiter. Ab einem gewissen materiellen Wert des Ansuchens musste in Preußen dafür Stempelsteuer entrichtet werden, indem man staatliches Stempelpapier benutzte oder Stempelmarken aufklebte und entwertete. Die Verwaltung erwartete auch Anpassung an ihre internen Regeln und Routinen. Eingaben waren möglichst schriftlich und in der Form amtlicher Berichte einzureichen, also nur auf der rechten Hälfte des Papierbogens beschrieben, damit man sie links falzen und buchbinderisch in die Akten einfügen konnte. Mündliche Vorsprachen waren auf der untersten Verwaltungsebene, in Gemeinde oder Kreis, üblich, bei höheren Stellen jedoch in hohem Maße unerwünscht und teils strafbewehrt. Zur Kommunikation mit den Verwalteten in die andere Richtung zählten auch die Praktiken von Landräten zumindest in Ostelbien, mit denen sie Wahlen sowohl als örtliche amtliche Wahlleiter als auch durch informellen persönlichen Druck auf Wählergruppen und Wähler beeinflussten.[75]

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      Verwaltungsversagen oder Resistenz?

      In den 1830er Jahren wurde in der Pfalz, der linksrheinischen Exklave Bayerns, der „Forstfrevel“ zur weitaus häufigsten strafbaren Handlung. Im Durchschnitt (!) wurden jährlich 15 bis 20 % der Einwohner bestraft, weil sie Brennholz, Waldfrüchte oder Gras gesammelt oder Tiere im Wald geweidet hatten. Bis zur Französischen Revolution war das üblich gewesen, denn verschiedene Nutzungsrechte konnten sich überlagern und viele Bevölkerungsgruppen waren am Wald unterschiedlich beteiligt. Mit dem neuen Eigentumsverständnis ging eine Kommerzialisierung des Waldes einher, bei der einfachere Leute ihren Bedarf nicht mehr ohne Weiteres erfüllen durften und in die Illegalität gedrängt wurden. Die Antwort der Verwaltung waren stetig steigende Strafen, die das Problem nur verstärkten – ein damals nicht erkannter Teufelskreis. Diese Ressourcenkrise wurde durch die neue, zukunftsbezogene Nachhaltigkeit in der Forstbewirtschaftung weiter verstärkt, bis mit dem Eisenbahnbau Kohle an Stelle des Holzes verfügbar wurde und der Forstfrevel abnahm. In Württemberg entstand ein langwieriger Konflikt über die Besteuerung des Wein- und Bierausschanks, die grundlegende Gewohnheiten des Alltags in allen Gemeinden in Frage stellte. In den preußischen Städten zeigten die Verwalteten ihre Resistenz, indem sie an den Stadttoren ihre Waren vorbeischmuggelten, und sahen ihre Vermeidung der Verbrauchssteuern berechtigt, um die echte oder geglaubte Teuerung aufzufangen. Der privilegierte preußische Adel dagegen leistete seinen Widerstand gegen die 1810 geplante Grundsteuer sehr viel subtiler, am Hofe selbst, aber auch durch seine familiären Beziehungen in die hohe Beamtenschaft, und hatte damit mehr Erfolg. In den Bewegungen von 1830 und 1848 bis 1850 wurde schließlich der Aufruf zur Steuerverweigerung zum politischen Instrument; andererseits bestimmte bei Zensuswahlrechten und Dreiklassenwahlrecht die erbrachte Steuerleistung das Maß politischer Teilhabe.[76]

D. Norddeutscher Bund und Deutsches Reich (1866/71–1914/18)

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      Andere Ausgangslage als 1803

      Nach dem Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark um Schleswig und Holstein 1864 und dem innerdeutschen Krieg von 1866 vergrößerte Bismarck durch Annexionen erheblich Preußens Staatsgebiet, indem er die territoriale Einheit zwischen der Rheinprovinz und Westfalen einerseits und den östlichen Provinzen andererseits herstellte, und schuf so die Grundlage für die Führung Preußens im Norddeutschen Bund. Die Ausgangslage für die Integration war anders als in den Jahren um 1800. Preußen war inzwischen ein gefestigter Staat, und König und Regierung waren gerade dabei, die starke Stellung der Monarchie im Verfassungskonflikt mit dem Parlament um Heeresverstärkung und Budgetrechte durch das Indemnitätsgesetz vom 14. September 1866 zu befestigen. Die Gebietsgewinne sollten in die seit langem vorhandenen Strukturen integriert werden und es ging nicht darum, einen Staat aus verschiedenen Elementen neu zusammenzufügen.

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      Okkupation und Diktaturphase

      In allen von Preußen annektierten Ländern kam es zu einer längeren Phase der Diktatur durch die neue Verwaltung, gestützt auf das Recht des Eroberers. Bismarck plante eine Personalunion, an Verfassung und Parlament vorbei, die aber auch Hoffnungen auf Erhalt der alten Parlamente weckte. Erst die Mehrheit des preußischen Abgeordnetenhauses setzte eine Realunion mit Einführung der preußischen Verfassung zum 1. Oktober 1867 fest. Am schärfsten durchgegriffen wurde in der Freien Stadt Frankfurt, die als liberal und antipreußisch galt, mit der aber nicht einmal wirklich ein Krieg erklärt worden war. Der letzte Ältere Bürgermeister der Stadt, Karl Fellner, hatte am 22. Juli 1866 eingewilligt, für die Besatzer als vereidigter Regierungsbevollmächtigter tätig zu werden. Die Armee verlangte nach einer ersten Kriegsentschädigung von über 5 Millionen Talern noch eine zweite von 25 Millionen. Fellner garantierte die Summe persönlich ohne vorherige Absprache mit den alten städtischen Gremien, doch die verweigerten ihm die Gefolgschaft. Preußen sah das als „Rebellion“ und wollte von Fellner Namen erfahren, und in dieser ausweglosen Situation nahm er sich am Morgen des 24. Juli 1866 das Leben. Gegenüber den besiegten Monarchen „von Gottes Gnaden“ setzte König Wilhelm I. auf großzügige Regelungen. In Hannover kam es zu einem Abfindungsvertrag mit König Georg V., der es jedoch ablehnte, darin auf seinen Thron zu verzichten, und politisch aktiv


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