Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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Hauptstädte Berlin und Königsberg, und weiter an die russische Grenze, war zwar politisch und strategisch wichtig, erschien aber privaten Unternehmern nicht attraktiv. Die mit dem Bevölkerungswachstum stark steigenden staatlichen Ausgaben für Schulen und Universitäten sind auch als Investitionen in immaterielle Infrastrukturen zu fassen.

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      Akademische Ausbildung in Preußen

      Die in der klassischen Verwaltung tätigen höheren Beamten hatten fast alle Rechtswissenschaften studiert, vor allem Strafrecht und Zivilrecht und dazu Römisches Recht als echtes Bildungsfach im Sinne Wilhelm von Humboldts. Es schulte in scharf abgrenzender Begrifflichkeit und in systematisch-dogmatischem Denken, immer noch in der Gelehrtensprache Latein – und ohne Bezug zur Praxis der Zeit. Staatsrecht kam erst auf, nachdem es Verfassungen gab, war aber politisch brisant und blieb meist deskriptiv; Verwaltungsrechtslehre gab es noch gar nicht. Praxisferne war Absicht an Humboldts Universität; Ort der berufsbezogenen Ausbildung wurde das 1817 erstmals geregelte Regierungsreferendariat. Dazu musste man nach dem Studium und der für alle Juristen verpflichtenden ein- oder mehrjährigen „Auskultatur“, dem Referendariat bei Gericht, noch eine Kollegialprüfung in den lange vorher studierten kameralistischen und wirtschaftlichen Fächern vor den Praktikern einer Regierung bestehen. 1846 wurde diese Auswahl allein dem Regierungspräsidenten übertragen; sein Aufnahmegespräch bot nun mehr Raum für eine Abgleichung der Passung in den Auffassungen zu Monarchie und Staat. Die gesamten Ausbildungsjahre und auch die erste Zeit selbstständigen Arbeitens als Regierungs-Assessor mit allen Examina wurden nicht bezahlt; vor dem Referendariat musste deshalb auch ein Mindestvermögen zur Deckung dieser Durststrecke nachgewiesen werden, das 1863 auf zehn Jahre reichen sollte. Die ersten Anstellungen erfolgten als „Diätar“ auf Tagegeldbasis und dann als „Hilfsarbeiter“, bevor man mit etwa 40 Jahren zum Beamten ernannt wurde; dann war ein Weg nach oben bis zum Staatsminister möglich. Die gesellschaftlich-politischen Wurzeln und Anschauungen der hohen Beamten in Preußen waren daher recht homogen und die politischen Parteien konnten in dieses Spitzenpersonal bis 1918 nicht vordringen.[63]

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      Akademische Ausbildung in Süddeutschland

      In Süddeutschland war das juristische Studium stärker mit den staatswirtschaftlichen Nachbarwissenschaften wie Landwirtschafts- und Forstwissenschaft und später Nationalökonomie und Finanzwissenschaft verbunden. In Württemberg gab es bis 1826 eine breite nicht-akademische Beamtenschaft aus „Schreibern“, die vielfach mit den lokalen Eliten verbunden waren und von hohen Gebühren lebten.[64] Danach gewann auch hier die kameralistisch-ökonomische Orientierung an Boden, aus der in Tübingen die Staatswirtschaftliche Fakultät entstand. Bayern verlangte als einziger deutscher Staat im Jura-Studium ein viertes Jahr, in dem abschließend geschichtliche Bezüge hergestellt werden sollten. Die praktische Ausbildung war hier einheitlich für Justiz und Verwaltung; alle Teilnehmer befassten sich auch mit Verwaltungslehre und Wirtschaftspolitik. Schon Montgelas hatte als Examensform die Staatsconcurse (Staatsexamina) aus dem französischen egalitär-leistungsorientierten concours übernommen. Deren Gesamtnote bestimmte den Platz der Kandidaten im gesamtbayerischen Vergleich, die heutige Platzziffer. In Bayern gab es eine stärker ausgeprägte Leistungsorientierung, deren soziale Folge eine stärker bürgerliche Prägung der Beamtenschaft ohne die für Preußen charakteristische Bevorzugung adeliger Herkunft wurde. König Maximilian II. richtete 1852 die Stiftung Maximilianeum ein, deren Stipendium seitdem begabten Abiturienten „jeglichen Standes“ ein Universitätsstudium zur „Lösung der höheren Aufgaben des Staatsdienstes“ ermöglicht.[65]

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      Mündlichkeit und Schriftlichkeit

      Verwaltungsarbeit ist immer (auch) Schreibarbeit. Auf allen Ebenen führte die Verwaltung „lebende“ Akten in ihren Registraturen und griff gelegentlich auf alte, „tote“ Akten in den systematisch ausgebauten Archiven zurück. Vor allem in den Ministerien und den großen Mittelbehörden „arbeitete“ (Lorenz von Stein) der Staat arbeitsteilig, weniger auf der personell sehr dünnen Kreisebene und in Preußen bei den klein gehaltenen Oberpräsidien. Die Behörden teilten sich in größere Abteilungen und kleinere Einheiten darunter (Unterabteilungen, Referate), was Koordination verlangte. Ab 1800 verschob sich dabei die mündliche Beratung im kleinen Kollegium zum schriftlichen „Korreferat“ eines Kollegen und erweiterte sich später zur schriftlichen Beteiligung auch weiterer Stellen. Federführung und Mitzeichnung entzerrten weiter die zeitliche Folge der Arbeitsschritte. Der jeweilige Stand einer Sache war nun am besten aus der zugehörigen Akte (und nur aus ihr) nachvollziehbar.[66]

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      Geschäfts- und Registraturordnungen

      Die deutsche Verwaltung führte Akten „selbstverständlich“ als Sachakten. Die Vorgänge wurden nicht nach Datum in zufälligen Serien abgelegt wie Prozessakten bei Gerichten oder beurkundete Verträge bei Notaren, sondern nach einer abstrahierenden Sachstruktur ihrer Themen geordnet, in der sich engere und weitere Zusammenhänge abbilden konnten. Die Aktenführung wurde in internen Ordnungen für den Geschäftsgang der Behörden und speziell für ihre Registraturen geregelt. In Baden entwickelte der Reformer Johann Brauer 1801 eine Archiv- und Registraturordnung, die in Form von „Rubriken“ schon den Versuch eines ersten sachorientierten Aktenplans enthielt. Ähnliche Regeln enthielt das Organisationsedikt von 1808 für Preußen. Eine interne Machtverlagerung zu den Präsidenten verlangte in den Regierungen 1880/81 neue, stärker monokratische als kollegiale Ordnungen. Sie wurden ihrerseits ab 1900 „zur Verminderung des Schreibwerks“ überprüft, womit ein seitdem kontinuierlicher Prozess von Verwaltungsreformen einsetzte.[67] In anderen Verwaltungskulturen können sich beim Fehlen von Regeln für Aktenführung und Registratur die Beschäftigten z. B. persönliche Aktendepots aufbauen, deren Ordnung nur sie selbst verstehen, was ihnen ein Monopol gibt und sie trotz fehlender beamtenrechtlicher Absicherung unentbehrlich macht.

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      Wissensmanagement durch Akten

      Akten sollen vollständig, nicht verzögert, lückenlos und übersichtlich sein.[68] Über die eigentliche Korrespondenz mit Vorgesetzten und Antragstellern hinaus sichern Aktenvermerke ohne Adressaten die Erinnerung einer Behörde an ihre früheren Überlegungen und Absichten. Zu häufigeren Themen legte man auch Sammlungen von Entscheidungen in Präzedenzfällen an. Akten sind damit Instrumente eines Wissensmanagements über Personen und Zeiten hinweg. Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten haben Stellvertreter und alle Vorgesetzten bis hinauf zum Minister bis heute Zugang zu jeder Akte und sollen den Sachstand in kurzer Zeit aus der Akte erkennen können. Damit man Akten in diesem Sinne fortlaufend lesen und verstehen kann, werden neue Schriftstücke meist am Ende eingefügt. Dies entsprach auch dem „Aktennähen“ durch Lohnbuchbinder, das zudem die Vollständigkeit sicherte, bis es im 20. Jahrhundert durch die Innovation des Loseblattordners zu teuer wurde. Alternativen zur Fadenheftung waren die badische Oberrandbindung mit dem badischen Aktenknoten und die württembergische Praxis von Büscheln aus losen Blättern mit dem neuesten Vorgang obenauf. Als Kurzzeitgedächtnis der arbeitenden Verwaltungen musste die Registratur auch stets wissen, wo im Haus sich eine Akte befindet – und war bestrebt, sie auf möglichst begrenzte Zeit auf Schreibtischen im Hause zu halten.[69]

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      Regieren und Verwalten

      Die Krone teilte sich die Legislative mit den Parlamenten nur, soweit es um Freiheit oder Eigentum der Untertanen ging. Die Justiz führte nach der Einhegung königlicher Machtsprüche ein Eigenleben, gestützt auf die Unabsetzbarkeit der Richter. Die Exekutive aber war das eigentliche Vorrecht der Krone und in der Praxis ihrer Regierung.[70] Das umfasste alles, was sich unterhalb der Parlamentstätigkeit in dem weiten Raum zwischen dem Staatsministerium und dem Dorfschulzen


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