Öffentliche Finanzwirtschaft. Thomas Sauerland
zur Einkommen- und Körperschaftsteuer (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) sind akzessorisch zu den auf Dauer angelegten Einkommen- und Körperschaftsteuern. Ihre Aufgabe besteht darin, einen konkreten zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes zu decken. Im Gegensatz zur Einkommen- und Körperschaftsteuer fließt ihr Aufkommen ausschließlich dem Bund zu. Ergänzungsabgaben können zeitlich unbefristet erhoben werden. Sie dürfen die Mitertragshoheit der Länder über die Gemeinschaftsteuern allerdings nicht aushöhlen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Bund das Steuerverteilungssystem des Grundgesetzes mithilfe von Ergänzungsabgaben unterliefe. Der seit dem 1. Januar 1995 erhobene Solidaritätszuschlag zur Finanzierung der deutschen Einheit genügt diesen Anforderungen noch.[21]
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–Abgaben im Rahmen der Europäischen Union (Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG): Soweit die Finanzverfassung dem Bund die Ertragshoheit über die Abgaben im Rahmen der Europäischen Union zuweist, ist diese Zuordnung mit dem Übergang der Ertragshoheit auf die EU gegenstandslos. Es handelt sich lediglich um durchlaufende Posten im Bundeshaushalt.
Beispiele
Produktionsabgabe für Zucker, Isoglucose und Insulinsirup nach der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse vom 22. November 2007.[22]
2.3 Ausschließliche Ertragshoheit der Länder
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Art. 106 Abs. 2 GG enthält eine abschließende Aufzählung der allein den Ländern zustehenden Steuern (Landessteuern). Hierbei ist unerheblich, ob die Steuern auf einer bundesgesetzlichen oder landesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruhen. Mit der Zuweisung der ausschließlichen Ertragshoheit an die Länder verwirklicht Art. 106 Abs. 2 GG ebenfalls das Trennsystem. Die meisten Landessteuern stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der Wirtschaft des jeweiligen Landes.
Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Steuerarten:
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–Vermögensteuer (Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG): Die Vermögensteuer ist eine Personalsteuer, die das Gesamtvermögen zum Gegenstand hat. Soweit der Steuerpflichtige mit seinem Vermögen Erträge erwirtschaftet, kommt der Vermögensteuer die Wirkung einer zusätzlichen Ertragsteuer zu. Weil aber nicht die tatsächlich erzielten Erträge besteuert werden, wird die Vermögensteuer auch als Sollertragssteuer bezeichnet. Das BVerfG erklärte die Vermögensteuer 1995 in ihrer konkreten Ausgestaltung für verfassungswidrig, weil sie nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar war.[23] Gleichwohl zeigt das Grundgesetz mit ihrer ausdrücklichen Erwähnung die Anerkennung als grundsätzlich zulässige Form des Steuerzugriffs. Mittlerweile wird im politischen Raum regelmäßig die Wiedereinführung der Vermögensteuer gefordert.
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–Erbschaftsteuer (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG): Die Erbschaftsteuer besteuert den Erwerb durch Erbschaft und Vermächtnis. Hinzu kommt der Erwerb durch Schenkung. Mit der Erbschaftsteuer besteuert der Staat eine Bereicherung, die der Begünstigte ohne Gegenleistung erhalten hat.
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–Verkehrsteuern, soweit sie nicht nach Abs. 1 oder Abs. 3 dem Bund zustehen (Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG).
Beispiele
Grunderwerbsteuer; Rennwettsteuer; Lotteriesteuer; Feuerschutzsteuer.
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–Biersteuer (Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG): Die Biersteuer ist wegen ihrer besonderen Bedeutung für den süddeutschen Raum eine regional geprägte Verbrauchsteuer, deren Aufkommen traditionell den Ländern zusteht.
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–Spielbankabgabe (Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG): Die Spielbankabgabe ist keine Gegenleistung für die Erteilung einer Konzession zum Betrieb einer Spielbank, mithin keine Gebühr, sondern eine echte Steuer. Ihr Aufkommen steht zwingend und ausschließlich den Ländern zu.
2.4 Gemeinsame Ertragshoheit von Bund und Ländern
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Die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Umsatzsteuer stehen als sog. Gemeinschaftsteuern dem Bund und den Ländern nach Maßgabe des Art. 106 Abs. 3 und 4 GG gemeinschaftlich zu. Art. 106 Abs. 3 und 4 GG ist daher eine Ausprägung des Verbundsystems .
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Mit dem System der Gemeinschaftsteuern verfolgt das Grundgesetz zwei Zielsetzungen:
1.Zum einen soll die Beteiligung der Länder an der Einkommen- und Körperschaftsteuer dazu führen, das Eigeninteresse der Länder an einer prosperierenden regionalen Wirtschaft zu erhalten.2.Zum anderen führt die Beteiligung des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer dazu, den Bund mit den Folgen seiner Wirtschaftspolitik zu konfrontieren.
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Wegen der starken Konjunkturanfälligkeit der Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde 1969 die ebenfalls aufkommensstarke, aber „krisenfestere“ Umsatzsteuer in das Verbundsystem aufgenommen. Dadurch sollen Bund und Länder mehr Planungssicherheit erhalten.
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Hinweis
Die Einkommensteuer zielt auf die Besteuerung natürlicher Personen nach ihrer individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab. Die erst 1920 aus dem Einkommensteuergesetz ausgegliederte Körperschaftsteuer ist die von juristischen Personen zu entrichtende Einkommensteuer. Die Umsatzsteuer ist eine sog. indirekte Steuer. Sie wird zwar vom Unternehmer erhoben, belastet im Ergebnis aber („indirekt“) den Endverbraucher.
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Die Einkommen- und die Körperschaftsteuer werden nach festen, verfassungsrechtlich festgelegten Quoten zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt. Gemäß Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG erhalten der Bund und die Länder jeweils die Hälfte des Aufkommens. Dadurch sollen politische Verteilungskämpfe vermieden werden. Von der Einkommensteuer wird allerdings vorweg ein einfachgesetzlich festgelegter Gemeindeanteil abgezogen (Art. 106 Abs. 5 GG).
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Die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer sind variabel, d. h. es gibt keinen verfassungsfesten Verteilungsschlüssel. Vielmehr wird die Verteilung der Umsatzsteuererträge nach Art. 106 Abs. 3 Satz 3 GG durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festgelegt. Der einfachgesetzlichen Bestimmung der Anteile von Bund und Ländern kommt deshalb eine konstitutive Wirkung zu. Damit soll eine Steuermasse als „Manövriermasse“ geschaffen werden, um flexibel auf die wechselnden politischen und wirtschaftlichen Anforderungen reagieren zu können.
2.5 Ertragshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände
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Das Grundgesetz geht von einem zweistufigen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland aus (Bund und Länder). In der Konsequenz werden die Gemeinden und Gemeindeverbände finanzverfassungsrechtlich als Teil der Länder betrachtet. Dennoch stehen ihnen nach Art. 106 Abs. 5 bis 7 GG bestimmte Steuern oder Anteile an Steuern zu.
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Den Gemeinden steht nach Art. 106 Abs. 5 Satz 1 GG ein Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer zu. Die Länder sind verpflichtet, den Anteil auf ihre Gemeinden nach Maßgabe der Einkommensteuerleistung der jeweiligen Einwohner zu verteilen. Der Anteil der Gemeinden wird vom Aufkommen der Einkommensteuer abgezweigt, bevor die Einkommensteuer nach Art. 106 Abs. 3 Satz 3 GG auf den Bund und die Länder aufgeteilt wird. Die nähere Ausgestaltung sowohl der Höhe des Anteils als auch des Verteilungsmaßstabs erfolgt durch die §§ 1 bis 5 Gemeindefinanzreformgesetz – ein Bundesgesetz.
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Seit dem 1. Januar 1998 erhalten die Gemeinden einen Anteil an der Umsatzsteuer (Art. 106 Abs. 5a Satz 1 GG). Die Länder sind nach Art. 106 Abs. 5a Satz 2 GG verpflichtet, den Gemeindeanteil auf der Grundlage eines orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssels an die Gemeinden weiterzuleiten. Damit entsteht