Grundlagen des Internationalen Steuerrechts. Sebastian Korts
id="ulink_1beb50d9-71bf-5b6f-9c87-846d0b831c01">Neufassung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen81
a) Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
§ 90 Abs. 3 AO86 enthält umfangreiche Aufzeichnungspflichten bei Vorgängen mit Auslandsbezug. In solchen Fällen hat der Steuerpflichtige über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen, die neben der Darstellung der Geschäftsvorfälle (Sachverhaltsdokumentation) auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Geschäftsbedingungen, insbesondere Preisen (Verrechnungspreisen), sowie Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung, zur verwendeten Verrechnungspreismethode und zu den verwendeten Fremdvergleichsdaten (Angemessenheitsdokumentation) umfassen müssen. Dieselben Aufzeichnungspflichten treffen Steuerpflichtige, die für die inländische Besteuerung Gewinne zwischen ihrem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte aufzuteilen oder den Gewinn der inländischen Betriebsstätte ihres ausländischen Unternehmens zu ermitteln haben.
Vom persönlichen Anwendungsbereich der Norm sind Steuerpflichtige mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG und Unternehmen mit Betriebsstätten bzw. Stammhaus im Ausland (Begriff der „Geschäftsbeziehung“ iSv. § 1 Abs. 4 AStG) umfasst.
Es handelt sich bei dieser Vorschrift um die erste gesetzliche Regelung von Verrechnungspreisdokumentationen, sie wird konkretisiert durch die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung.87
Das BMF hatte im Jahre 2005 die sog. Verwaltungsgrundsätze-Verfahren88 erlassen, in denen die Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren niedergelegt wurden. Dieses Schreiben wurde betreffend die Fragen der Anwendung der §§ 90 und 162 AO durch die Verwaltungsgrundsätze 202089 aktualisiert und ersetzt das Schreiben vom 12.04.2005 insoweit. Die Verwaltungsgrundsätze 2020 enthalten die aktuelle Stellungnahme der Finanzverwaltung zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Bezug auf Mitwirkungspflichten sowie Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschlägen.
Nach Ansicht des BFH90 ist § 90 Abs. 3 AO unionsrechtskonform. Als zwingender Grund des Allgemeininteresses sei insbesondere das Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht in der ständigen EuGH-Rechtsprechung anerkannt.91 Offen ließ der BFH allerdings, ob einzelne Dokumentationspflichten in den Tz. 3.4 Verwaltungsgrundsätze-Verfahren unionsrechtlich verhältnismäßig sind.92
Auf die gesteigerten Mitwirkungspflichten des § 12 StAbwG93 bei Geschäftsbeziehungen oder Beteiligungsverhältnissen in oder mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuergebiet gemäß der sog. „schwarzen Liste“ der EU94 ist hinzuweisen.
Ergänzt werden die Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO durch weitere Anzeige- und Mitteilungspflichten: So besteht eine Anzeigepflicht über den Erwerb von qualifizierten unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften nach § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO95 sowie nach § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO96 eine Anzeigepflicht über eigene oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AO bestehende Geschäftsbeziehungen zu Personengesellschaften, Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen in Drittstaaten (legal definiert als „Drittstaat-Gesellschaft“, § 138 Abs. 3 AO), die sie unmittelbar oder mittelbar beherrschen oder bestimmen können, und zwar unabhängig davon, ob sie an dem Unternehmen formal beteiligt sind oder nicht. Finanzinstitute und Finanzunternehmen müssen nach § 138b AO97 den Finanzbehörden von ihnen hergestellte oder vermittelte Geschäftsbeziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Drittstaat-Gesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen mitteilen. Das BMF hat am 05.02.2018 ein Schreiben zu den Mitteilungspflichten nach §§ 138 Abs. 2 und 138b AO herausgegeben,98 welches durch das Schreiben vom 18.07.2018 geändert wurde.99
Gemäß §§ 97, 90 Abs. 3 Satz 7 AO sind die Aufzeichnungen auf Anforderung durch die Finanzbehörden innerhalb einer Frist von 60 Tagen vorzulegen. Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle sind zeitnah zu erstellen und innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Anforderung durch die Finanzbehörde vorzulegen, § 90 Abs. 3 Satz 8 AO. In begründeten Einzelfällen kann die Vorlagefrist verlängert werden, § 90 Abs. 3 Satz 9 AO. Die Finanzbehörde soll die Vorlage von Aufzeichnungen im Regelfall nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen, § 90 Abs. 3 Satz 5 AO).
Gemäß § 147a Abs. 2 AO100 haben Steuerpflichtige, die allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss auf die gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten einer Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Abs. 3 AO ausüben können, die Aufzeichnungen und Unterlagen über diese Beziehung und alle damit verbundenen Einnahmen und Ausgaben sechs Jahre aufzubewahren.
b) Konsequenzen von Verrechnungspreisberichtigungen
Bei Verrechnungspreisberichtigungen fehlt die Pflicht zur korrespondierenden Gewinnberichtigung, denn Art. 9 Abs. 2 OECD-MA, der eine solche Gewinnberichtigung vorsieht, wurde in der deutschen Abkommenspraxis häufig nicht umgesetzt.101
In dem BMF-Schreiben zur Korrektur von Einkünften gemäß § 1 AStG vom 14.07.2021102 ist eine Gegenberichtigung ausdrücklich vorgesehen. Passt der Steuerpflichtige aufgrund einer Berichtigung der Einkünfte durch eine ausländische Steuerverwaltung seine künftigen Verrechnungspreise an, unterliegt der Vorgang der Aufzeichnungspflicht gemäß § 90 Abs. 3 AO. Eine nachträgliche Gegenberichtigung ist nur anzuerkennen, soweit sie nach deutschem Steuerrecht materiell- und verfahrensrechtlich zulässig ist.
Auf DBA-Ebene besteht grundsätzlich die Möglichkeit zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens, aber vielfach wird dies keine wirkliche Hilfe darstellen, z.B. wegen langer Verfahrensdauer, erheblichen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und den vielfach verfahrensrechtlich begrenzten Möglichkeiten im Ausland zur Änderung, selbst wenn eine Lösung gefunden wird. Damit droht eine materielle Belastung durch Doppelbesteuerung, daneben ist weiterhin mit Zinsen auf Steuernachforderungen (6 % p.a., §§ 233a, 238 AO; nicht abzugsfähig, § 12 Nr. 3 EStG, § 10 Nr. 2 KStG) zu rechnen. Möglich sind auch Rückwirkungen im Verhältnis zu Drittstaaten und Rückwirkungen auf den handelsrechtlichen Jahresabschluss (§ 285 Nr. 21 HGB, IAS 12.88). Dies wiederum führt zu erheblicher Rechts- und Planungsunsicherheit (z.B. beim Unternehmensverkauf).
Hier greift auf europäischer Ebene die Streitbeilegungsrichtlinie103 ein, die ein verbessertes System zur Beilegung von Streitigkeiten im Bereich der Doppelbesteuerung in der EU beinhaltet, insbesondere wird nun ein breiteres Spektrum an Fällen erfasst, welche zuvor nicht erfasst waren (z.B. Betriebsstättenqualifikationskonflikte), denn die Richtlinie erfasst alle