Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band - Hugo Friedländer


Скачать книгу
im Namen des Angeklagten gegen Schellmann den Strafantrag.

      Der Vorsitzende bemerkte, daß er diesen Antrag zu Protokoll nehmen werde.

      Am zweiten Verhandlungstage war auf Ladung des Vertreters des Nebenklägers, Rechtsanwalts Gammersbach, Geh. Regierungsrat Dr. Krone (Berlin) vom Ministerium des Innern als Zeuge und Sachverständiger erschienen.

      Vorsteher des Landarmenhauses zu Trier, Zietschmann: Er sei von 1882-1893 Arbeitsinspektor und stellvertretender Direktor in Brauweiler gewesen. Direktor Schellmann sei wohl ein sehr strenger, aber ein sehr gerechter Mann gewesen, der ganz besonders wohlwollend gegen die ihm unterstellten Beamten war. Direktor Schellmann sorgte für die pekuniäre Besserstellung der Beamten, für gute Wohnungen usw. Wenn in den Familien der Beamten Krankheitsfälle vorkamen, so sorgte Schellmann für kräftiges Essen und schickte den Kranken Wein. Er (Zeuge) könne nur sagen: Direktor Schellmann war ein selten guter Mann. Die Häuslinge fürchteten wohl die Strenge des Direktors Schellmann, sie waren ihm aber andererseits für sein Wohlwollen, das er gegen sie an den Tag legte und auch seiner Gerechtigkeit wegen zugetan. Ganz besonders nahm sich Schellmann bei der Entlassung der Korrigenden an und sorgte für Unterkommen, Arbeit usw. Den Häuslingen stand das Beschwerderecht an den Direktor Schellmann zu, es hatten sich täglich Häuslinge zum Rapport vor den Direktor führen lassen.

      Rechtsanwalt Gammersbach: Diese Bemerkung könnte zu Irrtümern Veranlassung geben. Haben sich täglich Korrigenden vorführen lassen, um Beschwerden vorzubringen, oder waren es nicht zumeist Gesuche, die die Korrigenden vorzutragen hatten?

      Zeuge: In den meisten Fällen waren es allerdings Gesuche. Auf ferneres Befragen bekundete der Zeuge: Das Arbeitspensum in Brauweiler sei im allgemeinen nicht größer gewesen als in dem jetzt von ihm in Trier geleiteten Landarmenhause.

      Auf Befragen des Rechtsanwalts Gammersbach äußerte der Zeuge, daß ihm niemals eine Klage von den Beamten oder Häuslingen über Willkür des Direktors Schellmann bekannt geworden sei.

      Im weiteren bekundete der Zeuge auf Befragen: Es werden Häuslinge auch zu Land- und Straßenbauarbeiten verwendet. Die Häuslinge verrichten diese Arbeiten sehr gern, da sie dadurch in die frische Luft kommen. Die Häuslinge werden in solchen Fällen unter Führung von Aufsehern kolonnenweise zur Arbeit gebracht. Die entfernteren Kolonnen wurden betreffs des Essens, der Wohnungen usw. alle zwei Monate, die näheren allmonatlich von dem Direktor Schellmann oder ihm revidiert. Daß die Häuslinge in großer Kälte in unzulänglicher Kleidung mit nur einer Art Sack bekleidet im Freien arbeiten mußten, sei unrichtig. Die Leute seien sämtlich warm gekleidet gewesen. Bei Rübenbauten wurde ihnen allerdings eine Art Sack übergeworfen, damit die Kleidung nicht allzusehr beschmutzt würde. Die Häuslinge in Jülich erhielten täglich von der Zuckerrübenfabrik 1 Mark und außerdem hatte die Fabrik für Essen und Unterkommen der Leute zu sorgen. Wenn ein Häusling sagte, daß er das ihm zugewiesene Arbeitspensum nicht zu leisten imstande sei, dann wurde er ärztlich untersucht, und wenn der Arzt den Mann für zu schwach befand, das Arbeitspensum herabgesetzt.

      Gutsbesitzer und Assesor a.D. Pauli: Er beschäftige seit Jahren Brauweiler Häuslinge auf seinem Gute. Er habe sich aus psychologischen Gründen mehrfach mit einzelnen Häuslingen unterhalten. Diese haben ihm übereinstimmend gesagt: Direktor Schellmann sei wohl ein sehr strenger, aber auch ein sehr gerechter Mann. Er habe, außer einmal von dem gestern verurteilten Szaplewski, niemals beobachtet, daß die Häuslinge von den Aufsehern schlecht behandelt oder geschlagen worden seien. Gutsbesitzer Pingen, der ebenfalls seit mehreren Jahren Brauweiler Häuslinge auf seinem Gute beschäftigte, schloß sich im wesentlichen den Bekundungen des Vorzeugen an. Er könne nur sagen: Direktor Schellmann lege eine geradezu väterliche Fürsorge für die Korrigenden an den Tag, so daß er (Zeuge) oftmals zu seiner Frau geäußert habe: Die Häuslinge haben es besser als viele freie Arbeiter.

      Landesrat Brandts (Düsseldorf): Die Brauweiler Arbeitsanstalt unterstehe der Aufsicht des Direktors Schellmann, ferner der des Landesdirektors, des Provinzialausschusses und endlich des Provinziallandtages. Die Brauweiler Arbeitsanstalt unterstehe speziell seinem Dezernat. Er habe die Anstalt etwa vier-bis fünfmal im Jahre revidiert.

      Vors.: Geschahen diese Revisionen unvermutet?

      Zeuge: Etwa zur Hälfte wohl. Bisweilen habe ich mit Direktor Schellmann etwas zu besprechen, dann schreibe ich ihm eine Karte, mit der Bitte, zu Hause zu bleiben. Wenn Schellmann am Abend die Karte bekam, dann traf ich gewöhnlich am folgenden Vormittag gegen elf Uhr in Brauweiler ein. Das Brauweiler Arbeitshaus ist derartig groß, daß, wenn ich das Haus betrete, nach einer Stunde das ganze Haus von meiner Anwesenheit Kenntnis erhalten kann. Insofern ist allerdings die Revision nicht eine vollständig unvermutete.

      Verteidiger: Warum wurde deshalb die Anstalt nicht von mehreren Beamten revidiert?

      Zeuge: Dazu lag bisher keine Veranlassung vor.

      Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Es bestehe die Bestimmung, daß sowohl die Beamten als auch die Häuslinge berechtigt seien, sich dem revidierenden Beamten behufs Vorbringung von Beschwerden vorführen zu lassen. Dies scheinen auch die Häuslinge gewußt zu haben, denn es haben sich jedesmal 4-5 vorführen lassen. Die vorgebrachten Beschwerden waren aber geradezu lächerlicher Natur. Über Mißhandlungen, schlechte Beköstigung oder Arbeitsüberlastung seien ihm niemals Beschwerden vorgebracht worden. Er habe sich nicht nur die Beschwerdeführenden vorführen, sondern sich auch die Zellen selbst aufschließen lassen, um die Häuslinge, sowohl weibliche als auch männliche, persönlich zu befragen. Er habe endlich auch die Außenkommandos revidiert. Die Korrigenden seien auch berechtigt, nach ihrer Entlassung sich schriftlich oder mündlich bei dem Landesdirektorium zu beschweren. Während aus anderen, der Provinzialverwaltung unterstehenden Anstalten vielfach Beschwerden eingehen, sei von den Brauweiler Häuslingen nur in sehr wenigen Fällen Beschwerde geführt worden. Die Brauweiler Beamten haben sich ebenfalls niemals mit einer erheblichen Beschwerde an ihn gewandt. Auf Befragen des Staatsanwalts bekundete der Zeuge noch: Es sei richtig, daß Schellmann den gestern erwähnten Fettzusatz für die den Brauweiler Häuslingen zu verabreichenden Speisen und auch die Einführung der Mittelkost beantragt und endlich verschiedene Anträge zur Besserstellung der Beamten, wie Gewährung von freier Heizung für die in der Anstalt wohnenden Beamten an das Landesdirektorium gestellt habe.

      Auf Befragen des Verteidigers äußerte der Zeuge: Er erledige als Dezernent wohl die Arbeiten für die Brauweiler Anstalt, er halte aber über alle Einzelheiten dem Landesdirektor Vortrag und dieser müsse alles genehmigen.

      Verteidiger: Seit wann ist der Herr Landesrat bei der Provinzialverwaltung beschäftigt?

      Zeuge: Seit Juni 1889.

      Vert.: War dem Herrn Landesrat vor dem Fall Wodtke bekannt, daß, trotz eines Ministerialreskripts von 1872, laut welchem die Anlegung des Maulkorbs oder der Mundbinde untersagt war, der Korrigendin Wodtke der Maulkorb angelegt wurde?

      Zeuge: Ich vermag hierüber nichts zu bekunden, da der Fall Wodtke im Mai 1893 passierte, ich aber das Dezernat erst im November 1893 übernahm.

      Vert.: Ist es möglich, Herr Landesrat, daß die beabsichtigten Revisionen durch andere Personen in der Brauweiler Anstalt bekannt geworden sind?

      Zeuge: Das kann ich nicht wissen, möglich ist es ja.

      Es wurde hierauf die Aussage des kommissarisch vernommenen Brauweiler Anstaltsarztes Dr. Bodet verlesen. Dieser hatte bekundet: Sobald Mißhandlungen von Häuslingen seitens der Aufseher ihm gemeldet wurden, habe er gegen die Aufseher sofort Anzeige erstattet. Epileptiker werden mit Bromkali behandelt. Die Zwangsjacke werde nur auf seine ausdrückliche Anweisung angelegt. Erst nach dem Fall Wodtke habe er von dem Ministerialreskript, wonach die Anwendung der Mundbinde sowie der Hand- und Fußfesseln untersagt sei, Kenntnis erhalten. Wegen Kostentziehung sei er niemals befragt worden. Wenn jedoch mit der Kostentziehung Arreststrafe verbunden sei, dann untersuche er vorher den Körperzustand des betreffenden Häuslings, um festzustellen, ob dieser imstande sein werde, die über ihn verhängte Strafe, ohne an seiner Gesundheit Schaden zu nehmen, auszuhalten. Es sei ihm nicht bekannt, daß krankhafte Häuslinge in eine Arrestzelle


Скачать книгу