Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band - Hugo Friedländer


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in Köln Tagesgespräch. In allen Wirtshäusern bildeten sie das einzige Gesprächsthema, so daß ich aus diesen Unterhaltungen mich ebenfalls über die Richtigkeit der in dem Briefe enthaltenen Behauptung informieren konnte.

      Vert. Rechtsanwalt Östreich: Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit zu sagen, daß, im Gegensatz zu anderen derartigen Prozessen, das ganze Beweismaterial so rechtzeitig dem Gericht und der Staatsanwaltschaft übermittelt worden ist, daß die Staatsanwaltschaft sehr wohl in der Lage war, Ermittelungen über die Richtigkeit dieses Beweismaterials anzustellen. Der Angeklagte ist also mit größter Offenherzigkeit vorgegangen. Von einer Überrumpelung, wie dies zumeist in derartigen Prozessen der Fall ist, kann also keine Rede sein. Ich bemerke noch, daß gestern abend die »Köln. Ztg.« einen Artikel brachte, in dem für den Direktor Schellmann und gegen den Angeklagten Stimmung gemacht wurde. Ich halte ein solches Verfahren noch vor Beginn der Verhandlung für absolut ungehörig. Ich habe mit dem Angeklagten in fortwährender Verbindung gestanden und hätte ihm Material aus den Akten liefern können, um ebenfalls für sich Stimmung zu machen. Der Angeklagte hat jedoch davon Abstand genommen.

      Es wurden hierauf die Strafanträge verlesen.

      Verteidiger: Ich halte den Strafantrag des Landesdirektors Dr. Klein für unzulässig. Die Angriffe richten sich nicht gegen den Landesdirektor, sondern gegen den Dezernenten, Landesrat Brandts. Für diesen hat aber der Landesdirektor keinen Strafantrag gestellt.

      Der Staatsanwalt erwiderte, daß er die gestellten Strafanträge aufrechterhalte.

      Der erste Zeuge, Arbeitsanstaltsdirektor Schellmann, bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei seit 1882 Direktor der Provinzialarbeitsanstalt zu Brauweiler. Als er sein Amt antrat, seien in der Anstalt etwa 80 Beamte gewesen. Die Zahl der Korrigenden sei im Jahre 1885 bis auf 1728 gestiegen. Diese Zahl sei alsdann zurückgegangen und betrage jetzt etwas über 1000. Nach der Zahl der Korrigenden richte sich auch die Zahl der Beamten. Die Arbeitsanstalt stehe unter Aufsicht des Landesdirektors der Provinz. Von diesem und dem Provinzialausschuß werden die Oberbeamten, alle anderen Beamten, mit Ausnahme der Hilfsbeamten, von dem Landesdirektor allein, die Hilfsbeamten dagegen von ihm (Zeugen) angestellt. Letztere werden von ihm nach Bedürfnis angestellt und ebenso auch entlassen. Im allgemeinen seien die Korrigenden gesunde Leute, in vereinzelten Ausnahmen werden auch Kranke eingeliefert, die alsdann ins Lazarett gebracht werden. Es werden in der Arbeitsanstalt alle möglichen Arbeiten verrichtet, leichte und schwere. Es werden Leute mit Gartenarbeit, in der Schusterei, Schneiderei, Weberei usw. beschäftigt. Es werde keinem Korrigenden mehr Arbeit zugemutet, als er leisten könne. Die Mehrzahl der Korrigenden verrichte nicht nur ihr Pensum, sondern mache noch Überstunden. Die Korrigenden müssen im Sommer um halb fünf, im Winter um halb sechs Uhr morgens aufstehen. Eine halbe Stunde werde für Waschen, Ankleiden, Bettmachen usw. gerechnet. Alsdann beginne die Arbeit. Nach anderthalb Stunden werde denn Korrigenden eine warme Suppe und Brot gereicht und eine Viertelstunde Pause gemacht. Nachdem werde bis neun Uhr gearbeitet. Zu dieser Zeit tritt wiederum eine Viertelstunde Pause ein. Nun können sich diejenigen, die durch Überstunden Ersparnisse gemacht haben, etwas kaufen. Nach Beendigung der viertelstündigen Pause, die für alle Korrigenden eintrete, werde bis halb zwölf oder zwölf Uhr mittags gearbeitet. Alsdann werde eine einstündige Pause gemacht und das Mittagsmahl, bestehend aus warmen Bohnen, Erbsen, Linsen oder Reis nebst Brot verabreicht. Es werde alsdann wiederum bis drei Uhr nachmittags gearbeitet. Alsdann trete eine viertelstündige Pause für alle Korrigenden ein, und es erhalten diejenigen, die sich durch gute Arbeit ausgezeichnet, Überstunden gemacht oder besonders schwere Arbeit haben, Kaffee und Brot. Es werde darauf bis halb sieben oder sieben Uhr gearbeitet. Alsdann werde wiederum eine warme Suppe und Brot gereicht. Alsdann werde aufgeräumt und die Leute in die Schlafsäle geführt. Korrigenden, die ihr Pensum nicht verrichten, werden ihm (dem Zeugen) vom Arbeitsinspektor vorgeführt. Wenn die Leute einwenden, daß sie wegen Kränklichkeit das Pensum nicht zu liefern vermöchten, so werde der Anstaltsarzt um ein Gutachten ersucht. Wenn die Nichtverrichtung des Pensums nicht durch Kränklichkeit geschehen sei, so trete Entziehung der warmen Kost und Arreststrafe ein. Die Korrigenden erhalten alsdann nur 625 Gramm Brot täglich. Die Arreststrafe betrage 24 bis 48 Stunden. Es trete auch bisweilen Nachtarrest ein. In solchem Falle erhalten die Arrestanten keine Pritsche, sondern lediglich eine wollene Decke. Im Falle der Verweigerung der Arbeit trete eine permanente Arreststrafe von sieben Tagen nebst Entziehung der warmen Kost ein. Am vierten Tage erhalten jedoch die Detinierten wiederum einen Strohsack und die übliche warme Kost.

      Der Verteidiger hielt dem Zeugen vor, daß er in der Gefängniskonferenz zu Düsseldorf gesagt habe: Es gebe in der Arbeitsanstalt zu Brauweiler Krüppel, Epileptiker und mindestens 72, die eigentlich geisteskrank seien. Er (Vert.) frage, was mit diesen Leuten geschehe, ob diese auch zur Arbeit angehalten werden.

      Zeuge: Es gibt allerdings in Brauweiler mehrere Krüppel, Leute, die nur einen Arm oder einen Fuß usw. haben, diese sind aber durchaus arbeitsfähig. Leute, die wiederholt epileptische Anfälle haben, werden dem Ortsarmenverbande überwiesen. Auf Vorhalten des Rechtsanwalts Gammersbach bemerkte der Zeuge im weiteren: Fleisch erhalten die Korrigenden nur an den drei hohen Festtagen, Weihnachten, Ostern und Pfingsten und an Kaisers Geburtstag. Auf seinen (des Zeugen) Antrag erhalten jedoch die warmen Speisen sämtlich einen gewissen Fettzusatz. Allerdings sei die Körperkonstitution der Korrigenden im allgemeinen eine schwächere als die der Zuchthäusler usw., die Rationen seien jedoch im allgemeinen größer als die in den dem Ministerium des Innern unterstehenden Strafanstalten. Während in diesen Anstalten täglich 550 Gramm Brot gereicht werden, erhalten die Korrigenden in Brauweiler 625 Gramm. Die Häftlinge in den Kgl. Strafanstalten erhalten zum Frühstück 1/2, mittags 1 bis 1 1/4 und abends 3/4 Liter warmes Essen. In Brauweiler dagegen 1/4 Liter, mindestens 1 1/4 Liter und 1 Liter warmes Essen. Es gebe auch für Kranke und alte Korrigenden, die sich gut geführt haben und darum bitten, eine sogenannte Mittelkost. Diese bestehe aus 120 Gramm Fleisch dreimal in der Woche und Graubrot anstatt Schwarzbrot.

      Auf Befragen des Angeklagten, ob die Geisteskranken einer Irrenanstalt überwiesen worden seien, sagte der Zeuge: Der Anstaltsarzt sei psychiatrisch vorgebildet. Dieser habe zu entscheiden, ob ein Geisteskranker einer Irrenanstalt zu überweisen sei. Nach einer Verfügung des Ministers des Innern seien auch Geisteskranke, wenn der Anstaltsarzt es für zulässig halte, mit leichter Arbeit zu beschäftigen und detentionsfähig. Wie viele Geisteskranke im verflossenen Jahre einer Irrenansalt überwiesen wurden, könne er augenblicklich nicht angeben.

      Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bemerkte der Zeuge: Die Sterblichkeit in der Arbeitsanstalt Brauweiler betrage etwa zwei Prozent. Die Todesursachen bestehen zumeist in Lungenschwindsucht, Lungenkrankheiten usw. Zur Zeit der Influenza sei die Sterblichkeitsziffer allerdings größer gewesen. Es schwebe ihm so vor, daß in den Königl. Anstalten die Sterblichkeit und auch die Krankheitsfälle größer seien als in Brauweiler. Die Beamten seien verpflichtet, jeden Korrigenden, der ihn (Zeugen) sprechen bzw. sich beschweren wolle, ihm vorzuführen. Von diesem Recht werde von den Korrigenden vielfach Gebrauch gemacht. Es werden ihm täglich Korrigenden zu diesem Zwecke vorgeführt. Wenn sich Korrigenden mit seinem Bescheid nicht einverstanden erklären und den Wunsch äußern, sich an einer höheren Stelle zu beschweren, so werde dies zu Protokoll genommen und beim Erscheinen des Landesdirektors oder des Landesrats diesem vorgelegt. Die Besuche der letzteren geschehen in der Regel unangemeldet, ohne daß er (Zeuge) davon vorher unterrichtet sei. Bisweilen werde er allerdings ersucht, einen Wagen an den Bahnhof zu schicken, in solchem Falle werde er von dem Erscheinen vorher benachrichtigt. Auf Befragen des Verteidigers äußerte der Zeuge: Der Landesdirektor sei im letzten halben Jahre zweimal in Brauweiler gewesen. Auf ferneres Befragen des Vorsitzenden bekundete der Zeuge: Er habe das Recht, die Beamten mit einer Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit Schmälerung der freien Dienststunden zu bestrafen. Die Beamten seien berechtigt, sich beschwerdeführend an den Landesdirektor zu wenden. Der Zeuge gab noch eine Erklärung über die Ursachen der Beamtenentlassungen. Viele Beamte scheiden aus, da ihnen das frühe Aufstehen nicht passe. Im Sommer werden mehr Beamte gebraucht wie im Winter, es werden daher mit Beginn des Winters mehrere Hilfsbeamte entlassen.

      Verteidiger: In einer von Direktor Schellmann zu den Akten gegebenen Erklärung sagt


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