Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band - Hugo Friedländer


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Zeitungsexemplare an die Rechtsanwälte meiner Gegner. Da die Angriffe nicht aufhörten, so begab ich mich in die Redaktion des »Unabhängigen«; dort traf ich bloß Moser an. Dieser sagte mir, er habe mit der Sache nichts zu tun, das sei Sache Grünewalds, aber das könne er mir sagen, wenn ich die Artikel unterdrücken wolle, dann gebe es nur ein Mittel, das sei: Zahlen. Ich fragte, wieviel ich denn zahlen solle? Mit 1000 Mark würde sich wohl Grünewald begnügen, antwortete Moser. Aber sagen Sie einmal, wie komme ich denn dazu, 1000 Mark zu zahlen? Die gegen mich erhobenen Beschuldigungen sind ja doch die pure Erfindung. Ja, das ist vollständig gleichgültig, versetzte Moser; da hilft Ihnen auch kein Klagen; Grünewald steht mit der Polizei, Staatsanwaltschaft, ja selbst mit den höchsten Regierungskreisen in Verbindung. Dann bleibt nichts weiter übrig, als solch einem Kerl die Knochen entzweizuschlagen, erwiderte ich. Sie werden sich doch nicht an einer lebenden Leiche vergreifen, sagte Moser, und was haben Sie davon? Sie werden wegen schwerer Körperverletzung bestraft, die Artikel erscheinen weiter und die Sache kommt immer mehr in die Öffentlichkeit. Nach noch längeren Verhandlungen verstand ich mich schließlich zur Ausstellung eines Wechsels von 1400 Mark, den ich jedoch nicht sogleich einlöste. Einige Zeit darauf traf mich Moser in einer Konditorei. Er kam zu mir heran und sagte mir, er habe mit G. den größten Ärger; wenn ich den Wechsel nicht bald einlöse, dann erscheinen die Artikel weiter. Ich versprach, sehr bald zu zahlen. Einige Tage darauf wurde Grünewald und Genossen verhaftet, und ich erhielt meinen Wechsel zurück. Bemerken will ich noch, daß ich gleich nach dem Erscheinen des ersten Artikels zu dem Kriminalkommissar Höft ging. Dieser sagte mir jedoch: Er sei in der Sache bereits tätig gewesen; vorläufig lasse sich aber von Amts wegen noch gar nichts tun.

      Hoftraiteur Olbrich: Mir wurde eines Tages von Sawatzki Mitteilung gemacht, daß nach einer Notiz im »Unabhängigen« mein und das Dresselsche Lokal nächstens besprochen werden sollen. Sawatzki riet mir, mich behufs Unterdrückung des Artikels mit Schleinitz in Verbindung zu setzen. Ich tat dies. Sch. verlangte für die Unterdrückung 1000 Mark. Nach längerer Verhandlung zahlte ich diese und erhielt auch eine von Sponholz geschriebene Quittung über die 1000 Mark. Auch erfolgte im »Unabhängigen« ein Widerruf. Ich bin überzeugt, daß Sawatzki nur aus freundschaftlichem Interesse mir den erwähnten Rat gegeben hat.

      Es wurde alsdann die kommissarische Aussage des erkrankten Weinhändlers Pflüg in Lübeck verlesen. Dieser hatte bekundet, Lodomez sei im Jahre 1880 vier Wochen lang sein Berliner Agent gewesen; er habe jedoch, da Lodomez seine Firma durch seine antisemitische Agitation kompromittierte, ihn wieder entlassen müssen.

      Pflüg hatte außerdem bekundet: Lodomez und Hauptmann a.D.v. Schleinitz hätten schamlose Erpressungsversuche gegen ihn unternommen. Da er sich auf nichts eingelassen habe, so sei eine Broschüre erschienen, in der sein Schwager, Böhl v. Faber, zahlreicher strafbarer Handlungen, er selbst der Urkundenfälschung, des Betruges usw. beschuldigt wurde, um seine Schwestern bei der Erbteilung zu übervorteilen. Außerdem wurde sein Privatleben in breitester Weise besprochen, er der Völlerei sowie sonstiger Ausschweifungen usw. bezichtigt.

      Im weiteren hatte Pflüg bekundet: Freiherr v. Schleinitz hätte ihm geschrieben: Er sei befreundet mit dem Baron Thielemann, dem Vorsitzenden des Union-Klubs, der großen Einfluß besitze und namentlich auch Hoflieferantentitel verschaffen könne. Er habe dann, angeblich »für Herrn v. Thielemann«, 3000 Mark an Schleinitz einsenden müssen, habe aber später erfahren, daß es sich hier um einen schnöden Mißbrauch des Namens des Barons v. Thielemann handelte.

      Leutnant a.D. v. Gerhardt, der zeitweise beim »Unabhängigen« Korrektor gewesen, bekundete: Wenn Grünewald und Moser eine Konferenz hatten, dann wurde Sponholz aufgefordert, das Zimmer zu verlassen.

      Hauptmann a.D. v. Brauchitsch: Lodomez habe eine große Entrüstung bekundet, als er hörte, daß Schleinitz von Pflüg 1200 Mark verlangt habe.

      Am vierten Verhandlungstage begannen die Plädoyers.

      Staatsanwalt Lehmann: Als vor etwa einem halben Jahre die Verhaftung der Angeklagten erfolgte, da gab sich mit Recht ein allgemeines Aufsehen kund. Nicht wegen der verhafteten Personen war das Aufsehen, sondern wegen der Verbrechen, deren sie beschuldigt wurden. Bei dem erstaunlich großen Einfluß, den die Presse auf alle Lebensverhältnisse, bei dem ungeheuren Einfluß, den die Presse auf das Wohl und Wehe des einzelnen und der Gesamtheit haben kann, ist es zu erklären, daß so viele Leute sich veranlaßt fühlten, den Angeklagten Geld zu geben, um im »Unabhängigen« nicht angegriffen zu werden. So nützlich und unentbehrlich die Presse für das öffentliche Leben ist, so verderblich kann sie wirken, wenn sie anstatt der Sachen die Person angreift. Niemand hat das Recht, das Vorleben eines Menschen, wenn dieser nicht eine öffentliche Stellung bekleidet, wenn das Gesetz es nicht geradezu erfordert, an die Öffentlichkeit zu bringen. Es darf niemand in dieser Beziehung von dem Wohlwollen eines anderen abhängig sein. Das Publikum erblickte deshalb in der Verhaftung der Grünewald, Moser und Sponholz eine Genugtuung. Diese Genugtuung war allerdings keine vollständige, da es nicht gelang, des Hauptakteurs, des Hauptmanns a.D. Freiherrn v. Schleinitz, habhaft zu werden. Ich bezweifle allerdings nach dem, was wir über Schleinitz gehört haben, daß wir viel Neues von diesem Manne herausbekommen hätten, denn Schleinitz war, wie wir gesehen haben, ein

       vollendeter Meister in der Kunst der Erpressung.

      Schleinitz war ein Mann, der seinen sehr opulenten Lebensunterhalt fast ausschließlich aus Erpressungen gewann. Dasselbe ist auch bei den Angeklagten Grünewald, Moser und Sponholz zu konstatieren. Wenn wir den Angaben des Grünewald Glauben schenken, daß er eine Einnahme von monatlich 500 Mark gehabt und davon 150 Mark an Moser, 120 Mark an Sponholz und noch je 60 Mark an 2 andere Mitarbeiter gegeben hat, so vermochte er mit seinen Redakteuren jedenfalls nicht ein solch luxuriöses Leben zu führen, Champagner zu trinken, wie ein früherer Mitredakteur, Herr Dr. Lipka, bekundet hat. Ich will sogar dem Moser Glauben schenken, daß Grünewald subventioniert worden ist; jedenfalls war doch die Subvention keine große. Sehen wir uns die Angeklagten einmal näher an. Moser und Sponholz, ehemalige Kaufleute, fühlten sich zu Redakteuren berufen, obwohl ihnen jede Vorbildung dazu fehlte. Ich will absehen, daß Sponholz nur die Reife für Untertertia in der Schule erlangt und Moser auch nur in ungenügender Weise das Gymnasium besucht hat; ich bin der Meinung, die Tüchtigkeit eines Menschen hängt nicht von der Menge der gemachten Examina ab. Es ist wohl möglich, daß sich auch ein Mensch, ohne die nötige Schulbildung, im späteren Leben etwas aneignen und es bis zu einer gewissen Fertigkeit bringen kann. Was aber den Angeklagten Moser und Sponholz fehlte und für einen Journalisten unentbehrlich ist, das ist der Takt, die Kunst, sich in anständiger Weise auszudrücken. Grünewald, der ehemalige Kellner, spätere Gastwirt, betrat im Jahre 1875 die journalistische Laufbahn oder richtiger gesagt, er trat in das »Zeitungsgeschäft« ein. Er wurde Sekretär der früheren »Eisenbahnzeitung«, späteren »Reichsglocke«, und man geht nicht fehl, wenn man den »Unabhängigen« eine Kopie jener »Reichsglocke« nennt. Nicht nur die äußere Form glich vollständig der »Reichsglocke«, auch das System ähnelt ihr in hohem Maße. Wie die »Reichsglocke« es sich zur Aufgabe machte, die hochgestelltesten Personen, wie den Fürsten v. Bismarck usw. in unflätigster Weise anzugreifen, so war es System des »Unabhängigen«, alle Privatpersonen in derselben Weise mit Kot zu bewerfen, wenn sie sein Schweigen nicht mit klingender Münze bezahlten. Nicht bloß Geschäftsunternehmungen wurden angegriffen, auch die innersten Familienverhältnisse wurden beleuchtet und die betreffenden Zeitungsexemplare an die Angehörigen der Angegriffenen gesandt. Man schreckte eben vor keinem Mittel zurück. Man unterließ es nicht, auch das Familienleben zu stören, um in den Besitz von Geld zu gelangen. Auf die Wahrheit der Angriffe kam es, wie wir gehört haben, den Herren gar nicht an. Es wurde, wenn die Briefkastendrohungen nichts fruchteten, frech darauf losgeschrieben, und zwar so lange, bis das Schweigen bezahlt wurde. Und in welcher Weise verfahren wurde, das haben wir von den Zeugen Mochmann und Jaroczynski am besten gehört. Mochmann wollte dem Grünewald eine Berichtigung bringen, dieser aber erwiderte: »Das kann mir alles nichts nützen, das Material kostet mich Geld, viel Geld, und wenn Sie mir das Material nicht abkaufen wollen, so muß ich es veröffentlichen.« Dem Jaroczynski sagte Moser: bei Grünewald hilft kein Bitten, kein Flehen, Grünewald kennt keinen Vater, keine Mutter, keine Kinder, kein Mitleid, kein Erbarmen, der kennt bloß Geld. Ja, ich gehe gewiß nicht fehl, wenn


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