Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
kam, viel Geld gehabt.
Vors.: Weshalb haben Sie, als Sie aus Breslau kamen, sofort eine Reise nach Braunschweig, Weimar usw. unternommen?
Nitter: Weil ich eine mir bekannte Dame in Braunschweig besuchen wollte.
Vors.: Sie haben überhaupt viel mit Mädchen verkehrt?
Nitter: Weshalb sollte ich nicht mit Mädchen verkehren? (Heiterkeit im Zuhörerraum.)
Vors.: Sie sollen mit Mädchen auch Reisen unternommen haben?
Nitter: Jawohl, das kann mir doch niemand verbieten.
Vors.: Das kostet aber viel Geld?
Nitter: Ich hatte ja Geld.
Vors.: Nitter, Sie sagten gestern, daß Sie, als Sie mit Knitelius eine Reise nach Magdeburg machen wollten, Taten begangen haben, die laut § 175 des Strafgesetzbuchs strafbar sind. Wollen Sie das einmal ausführlich erzählen?
Nitter: Das ist eine längere Mitteilung, dazu bin ich jetzt nicht imstande. Die Sache regt mich derartig auf, daß ich weder Appetit noch Schlaf habe. Ich habe heute nacht nur zwei Stunden geschlafen. Das Essen, das ich hier erhalte, ist auch sehr minderwertig.
Auf Befragen des Vorsitzenden bemerkte Kriminalkommissar Klinghammer: Diese Sache kommt mir keineswegs überraschend. Nitter sagte mir: Wenn Knitelius gar zu sehr in der Patsche sitzt, dann fällt er einfach in Ohnmacht. Ich hatte sofort die Überzeugung, daß Nitter dasselbe Manöver machen wird.
Der Vorsitzende befahl, Nitter wieder abzuführen und ersuchte den Gerichtsarzt, Medizinalrat Dr. Keferstein, zu veranlassen, daß Nitter kräftigere Kost und eine gute Tasse Kaffee erhalte, damit er nachmittags in der Lage sei, weiter vernommen zu werden.
Schriftsetzer Feller (Berlin): Ich kenne Nitter von Jugend auf. Als ich einmal ins »Café Maxime« kam, sah ich Nitter mit Knitelius, den ich damals zum erstenmal sah, zusammensitzen. Nitter fragte mich später: Was hältst du von dem Mann? Ich sagte: Das scheint ein Zuhälter zu sein. Nein, sagte Nitter, es ist ein Einbrecher. Ich laure bloß darauf, noch mehr von seinen Einbrüchen zu erfahren, dann zeige ich ihn an. Ich habe Nitter dann noch mehrfach mit Knitelius zusammen gesehen. Sie waren sehr befreundet. Nitter erzählte mir: Knitelius habe viel Geld, er habe 60000 Mark auf der Bank. Ich habe mich, da ich Nitter im Verdacht hatte, daß er auch Einbrüche begehe, von ihm zurückgezogen. Als ich hier in der Verhandlung gegen Nitter als Zeuge geladen war, war ich nachmittags im »Café Hohenzollern« am Breiten Weg. Da machte ich die Bekanntschaft eines Herrn Ledermann. Am Tische saß ein junger Mann, der bemerkte, er sei Angestellter in einem Konfektionsgeschäft. Einige Stunden vor dem Mord in der Hirsch-Apotheke habe er Nitter und Knitelius im »Café Hohenzollern« Billard spielen sehen.
Kaufmann Ledermann bestätigte diese Erzählung, er könne sich aber augenblicklich auf den Namen des Konfektionärs nicht erinnern.
Angekl.: Ich kann überhaupt nicht Billard spielen.
Es wurde darauf nochmals Dinger vorgerufen.
Angekl.: Was Dinger hier gesagt hat, ist alles unwahr. Ich möchte beantragen, Dinger auf seinen Geisteszustand zu untersuchen. (Große allgemeine Heiterkeit.)
Kriminalkommissar Klinghammer: Ich habe niemals die geringste Wahrnehmung gemacht, daß Dinger geistig nicht normal ist.
Tapezier Koßlig (Berlin): Ich habe den Angeklagten für einen Zuhälter gehalten. In Berlin gibt es viele Zuhälter, die aufs eleganteste gekleidet gehen. Selbst viele verheiratete Männer sind Zuhälter bei ihren Frauen.
Detektiv Teupold: Nitter rühmte sich, daß er eine große Fertigkeit im Kartenlegen besitze. Er erzählte, er verdiene damit viel Geld. Die Weiber seien ganz toll auf das Kartenlegen und bestürmen ihn.
Vors.: Nitter hat wohl überhaupt viel Verkehr mit Weibern gehabt?
Zeuge: Jawohl.
Nachmittags wurde der Angeklagte in Sträflingskleidung vorgeführt. Er äußerte: Dinger sei ein ungemein nervöser Mann, so daß man ihn für halb verrückt erklären könne.
Nitter sollte alsdann über seine Reise aus Anlaß von Vorgängen, die mit § 175 des Strafgesetzbuchs in Verbindung stehen, erzählen. Der Staatsanwalt beantragte, während dieser Bekundung die Öffentlichkeit auszuschließen. Nach kurzer Beratung gab der Gerichtshof dem Antrag des Staatsanwalts statt, da eine Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit zu befürchten sei. Dem Magdeburger Polizeipräsidenten, den als Zeugen geladenen Magdeburger und Berliner Kriminalkommissaren, zwei ausgelosten Geschworenen und den Vertretern der Presse wurde der Zutritt gestattet. Nitter erzählte alsdann mit großen Umschweifen: Ich habe am 20. Oktober 1908 im Restaurant Siechen in der Behrenstraße in Berlin die Bekanntschaft zweier Ulanenoffiziere gemacht, von denen mir der eine einen unzüchtigen Antrag machte. Der Offizier stieß mich mit dem Fuß, über das, was weiter geschah, verweigere ich die Aussage. Diesen Vorgang habe ich am folgenden Tage dem Knitelius im »Café Viktoria« erzählt. Knitelius versetzte: Ihm sei ebenfalls ein solches Anerbieten gemacht worden. Ich schlug darauf Knitelius vor, nach Magdeburg mit mir zu fahren. Knitelius lehnte aber ab mit dem Bemerken, er habe einem Herrn, einem Großkaufmann aus Wiesbaden, mit dem er homosexuelle Beziehungen habe, versprochen, mit ihm zusammen zu sein. Aus diesem Grunde sei er (Nitter) mit dem »schwarzen Artur« nach Magdeburg gefahren.
Auf nochmaliges eindringliches Befragen sagte Nitter: Er müsse dabei bleiben, daß er mit dem »schwarzen Artur« und nicht mit Knitelius nach Magdeburg gefahren sei. Der »schwarze Artur«, dessen Name ihm nicht bekannt sei, sei sein Komplice gewesen.
Angeklagter Knitelius bezeichnete die Erzählung des Nitter, soweit sie ihn betreffe, als unwahr. Er kenne das homosexuelle Treiben in Berlin ganz genau, er habe aber niemals zu diesen Leuten irgendwelche Beziehungen unterhalten.
Vors.: Sind Sie der Ansicht, daß Nitter homosexuelle Beziehungen gehabt hat?
Knitelius: Das halte ich nicht für unmöglich.
Vors.: Nitter, haben Sie homosexuelle Beziehungen gehabt, wodurch Sie sich strafbar gemacht haben? Sie haben das Recht, die Antwort hierauf zu verweigern.
Nitter: Ich verweigere die Antwort.
Darauf wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt und Fräulein Elisabeth Bethge als Zeugin, in den Saal gerufen. Diese war eine sehr hübsche, elegant gekleidete, schlanke Hellblondine von 24 Jahren. Sie gab an, daß sie Sängerin sei. Sie habe im Jahre 1906 den Angeklagten in Frankfurt am Main kennengelernt. Sie habe mit dem Angeklagten auch eine Zeitlang in Wiesbaden gelebt. Er sagte, er werde von seinen Eltern unterstützt und handle mit Juwelen. Knitelius hatte ihr versprochen, sie zu heiraten. Sie habe das nicht wollen, da der Angeklagte oftmals sehr mit ihr zankte. Er war ungemein eifersüchtig; er beschuldigte sie oftmals, daß sie mit anderen Männern verkehre. Herr v.P. habe ihr eines Abends im Theater ein Bukett gesandt und sie zum Abendbrot eingeladen. Sie habe auch die Einladung angenommen. Herr v.P. habe sie vor Knitelius gewarnt. Eines Tages hörte sie, Knitelius sei im »Café Westminster« in Berlin verhaftet worden. Sie sei auch zum Kriminalkommissar Klinghammer als Zeugin geladen worden. Kriminalkommissar Klinghammer sagte zu ihr Ich warne Sie vor Knitelius, Sie ahnen nicht, in welcher Gefahr Sie sich befinden. Knitelius macht alle möglichen dunkeln Geschäfte. Sie habe dies Knitelius wiedererzählt. Letzterer sagte: Der Umstand, daß ich sofort wieder entlassen wurde, spricht doch deutlich dafür, daß ich unreelle Geschäfte nicht mache. Ich bemerke, so etwa fuhr die Zeugin fort, ich unterhielt mit Knitelius anfänglich nur freundschaftliche Beziehungen. Eines Tages kam Fräulein Zimmermann zu mir in meine Wohnung und schimpfte mich furchtbar aus, weil ich ihr ihren Bräutigam abspenstig gemacht hätte. Ich sagte, ich habe kein Verhältnis mit Herrn Knitelius. Fräulein Zimmermann machte mir aber solch großen Skandal, daß ich ihr die Tür gewiesen habe. Ich habe dem Angeklagten einige Male Juwelen versetzt. Ich hatte keine Bedenken, da ich mehrfach gesehen hatte, wie Knitelius die Juwelen von Saffran und anderen Leuten im »Café Westminster« kaufte. Der Angeklagte ging stets sehr elegant gekleidet