Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band - Hugo Friedländer


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Er ist Offenbacher, sagte Nitter. Und wie heißt er, fragte ich weiter. Er heißt Knitelius, antwortete er. Ich fragte: Hast du auch geschossen? Das war nicht nötig, sagte Nitter, der hatte schon genug. Mir können sie nichts anhaben, sagte Nitter, aus meinem Revolver fehlt keine Kugel. Ich fragte: Wird dein Kollege nicht gefaßt werden? Nein, antwortete er, den kriegen sie nicht, das ist ein heller Junge. Der hat viel Geld. Das Hauptgeld hat er auf der Bank von England. Er wird dafür sorgen, daß ich einen schneidigen Verteidiger, einen Rechtsanwalt aus Berlin, bekomme. Die Rechtsanwälte in Magdeburg sind nicht schneidig genug. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Mein Verteidiger erhält von Knitelius 2000 Mark.

      Vors.: War das lange vor der Hauptverhandlung gegen Nitter?

      Zeuge: Jawohl.

      Vors.: Nun, Nitter, was sagen Sie dazu?

      Nitter: Ich gebe zu, daß ich mich mit dem Manne durch die Zellentür unterhalten habe. Daß ich gesagt habe, Knitelius sei mein Komplice, gebe ich zu, das ist aber nicht wahr. Ich bestreite auch ganz entschieden, daß ich gesagt habe: »Wenn's kein Geld gibt, dann wird einer abgemurkst.« Ich bin allerdings zweimal wegen Einbruchdiebstahl bestraft, ich habe aber doch noch so viel moralisches Gefühl im Leibe (große Heiterkeit), daß ich einen Mord aus tiefster Seele verabscheue. Ich habe auch zu dem Zeugen gesagt: Ich billige den Schuß nicht, ich hätte nicht geschossen.

      Zeuge Vogt: Das ist allerdings wahr, das hat Nitter gesagt.

      Vors.: Weshalb führten Sie einen geladenen Revolver bei sich?

      Nitter: Das rührt noch von meiner Detektivzeit her.

      Darauf wurde der Zuchthausgefangene Firle (Gr.-Strehlitz) als Zeuge in den Saal geführt. Nitter habe ihm gesagt: Mein Komplice heißt Knitelius, dieser ist jetzt gefaßt. Wenn Knitelius bei der Hauptverhandlung schlecht abschneidet, dann befürchte ich, daß er pfeift und ich noch einmal verurteilt werde, denn ich habe noch mehr auf dem Kerbholz.

      Nitter: Ich gebe das zu, ich habe aber dem Zeugen nicht die Wahrheit gesagt. Der Anstaltssekretär sagte mir nämlich: Wenn Sie in Magdeburg als Zeuge vernommen werden, dann ist es nicht ausgeschlossen, daß Sie noch einmal angeklagt werden. Deshalb tat ich diese Äußerung.

      Frau Patze: Knitelius ist der Mann, der am 24. Oktober bei mir ein Zimmer gemietet hat, ich kenne ihn mit voller Bestimmtheit wieder.

      Fräulein Anni Patze, Tochter der Vorzeugin, schloß sich der Bekundung ihrer Mutter an.

      Die Schreibsachverständigen Dr. med. Georg Meyer (Berlin) und Rechnungsrat Pietsch (Magdeburg) begutachteten: Die ihnen vorgelegte Anmeldung sei mit der Unterschrift, die Knitelius nach Verlesung des Protokolls beim Untersuchungsrichter gemacht habe, vollständig identisch.

      Am vierten Verhandlungstage teilte Staatsanwalt Schütte mit: Ich habe folgendes Telegramm von der Berliner Kriminalpolizei erhalten: »Schwarzer Artur nicht reisefähig.« Ich bemerke, daß ich auf die Vernehmung des »schwarzen Artur« gar keinen Wert lege. Der Zeuge Nitter sagte gestern: Es kommt darauf an, ob der ermittelte »schwarze Artur« derselbe ist, den ich meine. Ich bin danach der Überzeugung: Wir könnten dem Nitter zehn schwarze Arturs vorstellen, dann würde er immer sagen: Das ist nicht der »schwarze Artur«, den ich meine. Das wäre also eine Kette ohne Ende. Ich stelle aber anheim, daß sich die Herren Geschworenen über diese Angelegenheit äußern.

      Vors.: Das ist nach der Strafprozeßordnung nicht zulässig. Die Herren Geschworenen können nur persönliche Wünsche äußern.

      Ein Geschworener: Ich habe den persönlichen Wunsch, zu wissen, ob der ermittelte »schwarze Artur« der Beschreibung des Nitter entspricht.

      Staatsanwalt: Nitter hat lediglich gesagt: Der »schwarze Artur«, den er meine, sei elegant gekleidet, zirka 30 Jahre alt gewesen, hatte schönes schwarzes Haar und einen schwarzen Schnurrbart. Geschworener: Dann habe ich den persönlichen Wunsch, eine Beschreibung des in Berlin ermittelten »schwarzen Artur« zu erhalten.

      Vors.: Es würde sich empfehlen, Herrn Kriminalkommissar Weiland zu beauftragen, nach Berlin zu fahren, sich den »schwarzen Artur« anzusehen und alsdann vor Gericht das Aussehen zu schildern.

      Kriminalkommissar Weiland: Die Photographie des »schwarzen Artur« wird wahrscheinlich im Berliner Verbrecheralbum enthalten sein.

      Vors.: Die Photographie im Verbrecheralbum genügt nicht. Es ist alsdann notwendig, daß der Photograph, der die Photographie bewirkt hat, zeugeneidlich erklärt, daß das Bild des »schwarzen Artur« im Verbrecheralbum naturgetreu ist. Es würde sich vielleicht empfehlen, den Zeugen Nitter nach Berlin zu transportieren und ihm den »schwarzen Artur« vorzustellen.

      Staatsanwalt: Ich halte eine solche Prozedur für zwecklos und auch für bedenklich. Es liegt die Gefahr vor, daß Nitter in Berlin entweicht.

      Vert. R.-A. Boré: Die Verteidigung legt auf die Feststellung des »schwarzen Artur« gar keinen Wert. Ich bin der Ansicht, daß der »schwarze Artur«, den Nitter meint, überhaupt nicht existiert.

      Vors.: Der Gerichtshof behält sich die Beschlußfassung bis zum Eintreffen des Kriminalkommissars Krüger aus Berlin vor.

      Es wurde alsdann nochmals Fräulein Anni Patze vorgerufen. Der Vorsitzende befahl, daß der Angeklagte der Zeugin gegenübertrat und sich den Hut aufsetzte. Die Zeugin bemerkte: Sie erkenne jetzt, auch an der Aussprache, den Angeklagten, mit vollster Bestimmtheit wieder. »Das ist der Mann, der am 24. Oktober 1908, abends bei uns ein Zimmer gemietet hat.«

      Aufwartefrau Niewerth: Sie war zur Zeit Aufwärterin bei Patze. Sie habe aber den damaligen Mieter nur flüchtig gesehen, könne daher nicht sagen, ob es der Angeklagte war.

      Büfettier Giesche (Duisburg): Ich war im Oktober 1908 Verkäufer in der hiesigen Zigarrenverkaufsfiliale von Löser & Wolff am Breiten Weg. Ich erinnere mich ganz genau, daß am Sonnabend vor dem Mord in der Hirsch-Apotheke zwei junge Leute in unsern Laden kamen und Zigarren kauften. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß der eine Mann Nitter war; ob der andere der Angeklagte war, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Am folgenden Tage, nachmittags gegen 1 3/4 Uhr, kurz vor Ladenschluß, kamen die zwei jungen Leute wieder zu uns und kauften Zigarren. Der eine war Nitter, der andere Knitelius. Ich erkenne ihn mit voller Bestimmtheit wieder. Es fiel mir auf, daß Knitelius, ebenso wie heute, mit einem Auge zwinkerte.

      Angekl. (der dem Zeugen gegenüberstand): Sie zwinkern ja selbst mit dem einen Auge, das ist doch also kein Erkennungszeichen.

      Zeuge: Ich habe mir die beiden jungen Leute schon deshalb genau angesehen, weil ich den Eindruck erhielt, daß es nicht anständige Leute waren.

      Angekl.: Hielten Sie uns vielleicht für Zuhälter?

      Zeuge: Das will ich nicht sagen. Als ich von der Ermordung des Apothekenbesitzers Rathge hörte, sagte ich sofort zu unserem Geschäftsführer: Das sind wahrscheinlich die jungen Leute gewesen, die gestern bei mir Zigarren kauften. Ich erkenne Knitelius auch an dem kurzgeschnittenen Schnurrbart wieder.

      Fräulein Tilgner: Sie war zur Zeit Insassin eines hiesigen »Freudenhauses«. Am Abend vor dem Mord in der Hirsch-Apotheke kamen zwei junge Leute. Der eine war bartlos und rotblond, der andere war schwarz und hatte einen kurzgeschnittenen Schnurrbart. Der Rotblonde war zweifellos der hier sitzende Nitter, den anderen habe sie nur flüchtig gesehen. Sie glaube, daß es Knitelius war, mit Bestimmtheit könne sie es aber nicht behaupten.

      Nitter äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Am Abend des 24. Oktober 1908 sei er mit Knitelius in einem Magdeburger »Freudenhaus« gewesen.

      Zeugin: Die verstorbene Haars, mit der der Angeklagte verkehrt, habe, als sie hörte, daß die beiden jungen Leute den Mord begangen haben, gesagt: Der Mann hat mir vielleicht auch etwas antun wollen.

      Droschkenkutscher Rusten: Am Tage nach dem Morde in der Hirsch-Apotheke, Montag, den 26. Oktober 1908, habe er einen jungen Mann von der Anhaltstraße


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