Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
Namen Turban auftrete.
Vors.: War dieser Nitter Detektiv?
Zeuge: Er war allerdings vorübergehend Privatdetektiv. Ich bemerke, daß wir Fühlung mit dem Anhang des Verbrechertums suchen. Darauf beruhen in der Hauptsache unsere Erfolge. Wir nennen diese Leute Vigilanten. Selbstverständlich prüfen wir die Angaben der Vigilanten aufs sorgfältigste und haben diese Leute auch genau im Auge. Ich bemerke noch, daß wir diese Vigilanten im allgemeinen nicht preisgeben. Wir haben das Zeugnisverweigerungsrecht und nennen im Interesse des Dienstes die Namen der Vigilanten nur im dringendsten Notfall.
Vors.: Haben Sie für diese Verhandlung die Erlaubnis zur Aussage von Ihrer vorgesetzten Behörde?
Zeuge: Ja. Ich stellte nun fest, daß Knitelius ein Juwelenschieber sei, der im Verdacht steht, in Frankfurt a.M. an verschiedenen Einbrüchen beteiligt gewesen zu sein. Ich stellte ferner den intimen Verkehr des Knitelius mit der Zimmermann und der Bethge fest. Ich stellte fest, daß Knitelius die Bethge Herrn von P. für 10000 Mark angeboten und auch einen Erpressungsversuch gegen letzteren unternommen habe. Ich hielt zunächst den Herrn von P. für fingiert, da ich mir nicht denken konnte, daß ein Mann, der der Armee angehört, derartige Sachen macht. Ich erfuhr aber zu meinem Erstaunen, daß dieser von P., der Sohn eines Majors war, tatsächlich in der angegebenen Weise mit Knitelius in Verbindung stand. Eines Abends begab ich mich in das Unter den Linden belegene Café Westminster. Dort verkehrte, insbesondere in dem hinteren Billardsaal, das internationale Verbrechertum: Juwelenschieber, Einbrecher, Wechselschieber und andere dunkle Existenzen mehr. Ich sah dort Knitelius und erklärte ihm, ich sei genötigt, ihn festzunehmen. Knitelius sagte, er wisse nicht, weshalb ich ihn verhaften wolle, er gehe aber gern mit, da er schon längst einmal zu mir nach dem Polizeipräsidium kommen wollte.
Vors.: Welche Veranlassung hatten Sie, Knitelius zu verhaften?
Zeuge: Ich hatte die Überzeugung, daß Knitelius ein gefährlicher internationaler Verbrecher war. Ich wußte außerdem, daß er gegen von P. einen Erpressungsversuch unternommen und diesen beleidigt hatte. Ich hielt es deshalb im Interesse der Sicherheit für geboten, den Mann für den polizeilichen Erkennungsdienst festzustellen. Ich führte Knitelius, der sich Turban nannte, nach dem nächsten, in der Mittelstraße belegenen Polizeibureau. Von dort ließ ich ihn mittels grünen Wagens nach dem Polizeipräsidium schaffen. Knitelius bat, auf seine Kosten in einer Droschke nach dem Alexanderplatz fahren zu dürfen, ich wollte aber einem solchen Verbrecher diese Vergünstigung nicht gewähren. Am folgenden Morgen ließ ich mir Knitelius vorführen. Ich führte ihn alsdann dem Untersuchungsrichter vor, dieser lehnte aber den von mir beantragten Verhaftungsbefehl ab. Ich mußte deshalb Knitelius wieder entlassen. Ich habe Knitelius weiter scharf beobachtet und ließ bei der Bethge und der Zimmermann Haussuchung halten. Ich fand bei Knitelius, bei dem ich ebenfalls Haussuchung vornahm, eine Browningpistole und einen Hammer. Die Browningpistole ist eine der gefährlichsten Waffen, so daß das Berliner Polizeipräsidium schon in Erwägung gezogen hat, die Browningpistole zwecks Benützung für die Beamten überhaupt abzuschaffen. Mit einer Browningpistole ist es möglich, fünf Menschen mittels eines Schusses zu töten. Ich sagte deshalb zu Knitelius: Wenn Sie sich eine Waffe zur Verteidigung anschaffen wollen, dann genügt es doch, daß Sie sich einen Revolver kaufen. Knitelius antwortete: Ich habe die Browningpistole für 1,50 Mark von einem Manne, namens Rosenstiel, im Café Opera gekauft. Dadurch hatte sich Knitelius der Hehlerei schuldig gemacht. Der Angeklagte verkehrte außerdem im Café Maxim, auch ein Sammelpunkt für alle möglichen Verbrecher.
Auf Befragen des Verteidigers bekundete der Zeuge: Nitter habe augenscheinlich durch seine Angaben die Maßnahmen der Polizei wissen wollen. Nitter habe ihm erzählt: Er sei eines Nachts mit Knitelius in Berlin die Friedrichstraße entlang gegangen, da habe er beobachtet, daß Knitelius jedes Haus mittels Dietrichs ohne weiteres öffnen konnte. Die Bethge hatte in Charlottenburg eine sehr elegant eingerichtete Wohnung. Sie war ungemein schwer zu einer Aussage zu bewegen; sie war anscheinend in Knitelius ungemein verliebt.
Vors.: Herr Kommissar, sind Sie der Ansicht, es könnte möglich sein, daß der Angeklagte aus Anlaß von Juwelenschwindeleien, die er angeblich in Weißensee bei Berlin begangen hat, aus Europa geflüchtet ist?
Zeuge: Ich halte das für absolut unwahr. Es ist noch niemals vorgekommen, daß ein Juwelenschieber die Flucht ergriffen hat, zumal es kaum möglich ist, die Leute strafrechtlich zu fassen. Kriminalkommissar Krüger in Berlin, dessen Spezialfach die Beobachtung der Juwelenschieber ist, könnte näheres bekunden. Auch der Juwelier Fischer in Berlin, Königgrätzer Straße 28, kann hierüber nähere Auskunft geben.
Vert.: Waren Sie berechtigt, den Angeklagten im Hotel Westminster zu verhaften?
Zeuge: Ich hatte genügende Verdachtsgründe, daß der Angeklagte sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht habe. Ich verbitte mir im übrigen eine Kritik meiner Amtshandlungen.
Vors.: Ich muß Ihnen bemerken, Herr Kriminalkommissar, daß der Herr Verteidiger das Recht hat, diese Frage zu stellen.
Kriminalkommissar Klinghammer bekundete ferner: Eines Tages kam Knitelius zu mir ins Bureau und beschwerte sich, daß sein Bild im Verbrecheralbum stehe, er sei doch kein Verbrecher. Ich sagte ihm wahrheitsgemäß, sein Bild sei nicht im Verbrecheralbum; in das Album kommen nur Leute, die rechtskräftig wegen eines Verbrechens verurteilt worden sind. Ich legte auch dem Angeklagten das Album vor, damit er sich selbst überzeugen konnte, daß sein Bild nicht darin enthalten sei.
Angekl.: Weiß sich der Herr Kriminalkommissar zu erinnern, daß er einen Brief, den er bei mir fand, zu meinen Gunsten hat verschwinden lassen, weil er mich als Spitzel benutzen wollte? (Bewegung im Zuhörerraum.)
Klinghammer: Ich erkläre diese Behauptung des Angeklagten für eine grobe Lüge. Ich habe ein öffentliches Amt und werde niemals eine Handlung begehen, durch die ich ins Zuchthaus kommen kann. Ich erkläre diese Behauptung des Angeklagten als frei erfunden.
Angekl.: Es waren damals falsche Dollarnoten in Umlauf; ich sollte dem Herrn Kommissar zur Feststellung der Fälscher bzw. Verbreiter behilflich sein.
Auf ferneres Befragen bemerkte der Zeuge: Als der Mord in Magdeburg in Berlin bekannt wurde, sagte mir Privatdetektiv Krumme: Nitter ist bei mir eine Zeitlang Detektiv gewesen. Hätte ich nur die Sache früher erfahren, Knitelius habe ich am 27. Oktober noch in Berlin gesehen. Der Umstand, daß der Komplice Nitters sich als in Mainz geboren in den Anmeldezettel einschrieb, spricht auch für die Täterschaft des Knitelius. Letzterer spricht unverkennbaren süddeutschen Dialekt, er konnte sich nicht als aus Norddeutschland stammend ausgeben.
Kriminalkommissar Weiland (Berlin) bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Ein Mann, namens Lange, in Berlin besorgt in der Hauptsache Juwelenschieberwaren.
Auf Antrag des Staatsanwalts wurde beschlossen, den Kriminalkommissar Krüger (Berlin) telegraphisch zu laden.
Es sollte alsdann der Komplice des Angeklagten, Nitter, als Zeuge vernommen werden. Der Staatsanwalt beantragte, während der Vernehmung des Nitter den Angeklagten aus dem Saale zu führen. Es sei bekannt, daß der Angeklagte durch seinen eigentümlichen Blick den Zeugen beeinflussen könnte.
Vors.: Ich muß bemerken, daß dem Angeklagten die Zeugenaussage jedenfalls mitgeteilt werden und ihm Gelegenheit gegeben werden muß, in Gegenwart des Zeugen sich darauf zu äußern.
Vert.: Ich widerspreche dem Antrage. In einem Prozeß, wo es sich um die schwerste Strafe handelt, die das Strafgesetzbuch kennt, ist es dringend geboten, dem Angeklagten volle Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Wenn ein so wichtiger Zeuge wie Nitter in Abwesenheit des Angeklagten vernommen wird, dann ist die Verteidigung in hohem Maße beschränkt.
Der Gerichtshof beschloß nach kurzer Beratung, zunächst einen Strafanstaltsbeamten über die Glaubwürdigkeit des Nitter zu vernehmen, alsdann werde sich der Gerichtshof über den Antrag des Staatsanwalts schlüssig machen.
Fräulein Johanna Vogt: Sie habe am Abend des 24. Oktober 1908 zwei junge Männer in Magdeburg gesehen. Nach der Photographie habe sie Nitter sofort