Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band - Hugo Friedländer


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leidet, und daß diese Diagnose, die anfangs auch einmal als möglich hingestellt worden, nicht aufrechterhalten werden kann. Aus dem Artikel ist herauszulesen, daß die Anstellung zweier Ärzte als Schwiegersohn und Sohn des Leiters in der Anstalt ein Unding sei, und daß die Provinzialverwaltung die Ärzte angestellt habe aus Familienrücksichten, ohne auf die Interessen der Kranken zu achten. Über die Opportunität eines solchen Verhältnisses können Zweifel entstehen, aber davon, daß aus diesem Verhältnis eine Gefahr für die Behandlung der Kranken entstanden sei, kann keine Rede sein. Weder den Leiter noch die Ärzte trifft der geringste Vorwurf. Die Vorwürfe in dem Artikel sind geeignet, die angegriffenen Herren in der öffentlichen Meinung stark herabzusetzen. Es sind aber auch formelle Beleidigungen in dem Artikel. Die Beleidigungen sind außerordentlich schwer, sie betreffen Ärzte und Anstalt, die das höchste Ansehen genießen, auf die die Provinzialverwaltung besonders stolz ist. Der Angeklagte behauptet, daß er nur auf eine Lücke in der modernen Irrengesetzgebung hinweisen wollte. Er hätte sich dazu kein ungeeigneteres Objekt auswählen können, und er ist nicht mit genügender Vorsicht vorgegangen. Er (Staatsanwalt) beantrage drei Monate Gefängnis, Vernichtung der noch vorhandenen Exemplare sowie der zur Herstellung gedienten Platten und Formen und Publikationsbefugnis für die Beleidigten.

      Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Der Vertreter der Anklagebehörde ist bei seinem ganz maßlosen Antrag von drei Monaten Gefängnis von einer grundfalschen Annahme ausgegangen. Gerade der Schlußpassus des Artikels, auf den der Staatsanwalt jetzt soviel Gewicht legt, ist gar nicht auf die Ärzte in Leubus bezogen, sondern eine allgemeine Betrachtung. Schneidt bezweckte mit seinen Artikeln nur, die Reformbedürftigkeit der Irrenhauszustände nachzuweisen, niemals aber in personeller Hinsicht den Herren Ärzten einen Vorwurf zu machen. Herr Lubecki, über den hier gestern die Psychiater das Urteil gesprochen haben, das ihm hoffentlich nicht den Lebensmut rauben wird, fühlte sich verpflichtet, das Material, das er gesammelt hatte, zur Reform der bestehenden, unzureichenden Einrichtungen in der Irrenpflege zu verwenden. Es ist immer das zweckmäßigere Vorgehen, mit der Regierung und den Behörden zu gehen, als wider den Stachel zu lecken. Großen Wert lege ich auf die Tatsache, daß im Laufe der Verhandlung die Gefechtslinie unmerklich, aber in sehr zäher Weise verschoben worden ist. In dem Artikel ist nie behauptet worden, daß Lubecki völlig gesund war. Es ist vielmehr gesagt worden, daß Lubecki in der Irrenanstalt zu streng interniert worden war. Wenn man dann hier so tut, als ob der Mittelpunkt der ganzen Sache wäre, daß wir behauptet hätten, Lubecki wäre geistig gesund gewesen, so heißt das die eigentliche Tendenz des Artikels verkennen. Ich behaupte im Gegensatz zu dem Staatsanwalt, daß die Aufnahme des Lubecki zu Unrecht erfolgt ist. Ich erkläre, daß ich die Gutachten der Psychiater nicht als ein unfehlbares Etwas anerkennen kann, vor dem man sich unbedingt zu beugen habe.

      Der Verteidiger schloß mit dem Antrage, den Angeklagten, unter Zubilligung des § 193, höchstens zu einer geringen Geldstrafe zu verurteilen.

      Angeklagter Schneidt führte etwa folgendes aus: Seit zwei Jahrzehnten sind mir fast täglich Briefe von Patienten aus Irrenanstalten zentnerweise zugesandt worden. Alle waren durchgeschmuggelt. Ich könnte ein Archiv dafür anlegen, aus dem ersichtlich wäre, welcher Schmugglerlisten sich die Irrenhausinsassen bedienen, um ihre Briefe an die Außenwelt zu befördern. Die Verhandlung hat den klaren Beweis geliefert, daß eine Reform des Irrenwesens dringend notwendig ist. Der Angeklagte versicherte nochmals, daß ihm jede persönliche Beleidigung ferngelegen habe, es sei ihm lediglich darauf angekommen, Mißstände, die doch zweifellos im Irrenwesen vorhanden seien, an das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen und für die Beseitigung dieser Übelstände zu wirken.

      Nach längerer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Splettstoeßer, folgendes

       Urteil:

      Wenn man den beanstandeten Artikel unbefangen liest, so wird jeder Leser die Empfindung haben, daß sich einem das Herz zusammenkrampft über die Vorwürfe, die den Anstaltsärzten gemacht sind. Der Artikel enthält eine Anzahl wörtlicher Beleidigungen; er spricht von der »famosen Ärztedreifaltigkeit« und von der »Leichtfertigkeit pflichtvergessener Mediziner«. Eine üble Nachrede im Sinne des § 186 findet das Gericht in dem Vorwurf, daß in der Anstalt die Bäder als beliebtes Straf- und Zwangsmittel an der Tagesordnung gewesen sind. Das Gegenteil ist erwiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht für das Gericht auch nicht der geringste Zweifel: Lubecki durfte nicht nur, sondern mußte festgehalten werden. Das ergeben die Gutachten der Medizinalräte Dr. Hoffmann und Dr. Leppmann sowie des Geh. Rats Moeli, die das Gericht gegenüber den Anstaltsärzten geladen hatte. Hier war ein Sachverständigenkollegium, wie es besser auf der Welt kaum gefunden werden kann. Sie sagten übereinstimmend, daß Lubecki bei der Einlieferung geisteskrank und gemeingefährlich gewesen ist. Dem wird sich kein Richterkollegium verschließen können. Außerdem hat sich auch hier im Saale jeder einzelne durch den Augenschein überzeugen können, daß diese Gutachten wirklich das Richtige treffen. Darauf deutet auch die Geschichte von den Erregungspillen. Man konnte es in gewissen Momenten den Augen des Lubecki ansehen, daß der Mann, der noch heute Stadtverordneter in Beuthen ist, noch nicht gesund ist. Lubecki ist nicht meineidig, aber ein unglücklicher Mensch, der von Wahnideen erfüllt ist. Der Beweis ist vollständig gegen den Angeklagten geführt. Es handelt sich nun um die Strafe. Da mag dem Angeklagten zugegeben werden, daß er zunächst wohl getrieben wurde von der Idee, Gutes zu schaffen. Er ist ein Phantast und steht vielfach nicht auf dem Boden realer Wirklichkeit. Andererseits haben wir zu schützen die Ehre von hochverdienten Beamten, namentlich des Geheimrats Dr. Alter. Die Kammer hat mehrfach keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie es für ihre Pflicht hält, in solchen Fällen mit erheblichen Strafen vorzugehen. Wenn in diesem Falle die Strafe nicht so erheblich ausgefallen ist, so ist es geschehen, weil nach dem Aktenmaterial Herr Schneidt zu der Annahme gedrängt werden konnte, daß Lubecki nicht so geisteskrank sei, als es sich wirklich herausgestellt hat. Das Aktenmaterial legte die Vermutung nahe, daß dem Lubecki doch etwas zu nahe getreten sein konnte. Es hat sich herausgestellt, daß dies nicht der Fall, sondern in jeder Beziehung zu Recht verfahren worden ist. Der Gerichtshof hat deshalb den Angeklagten zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt.

      Den drei beleidigten Ärzten wird die Publikationsbefugnis in der »Zeit am Montag«, dem Breslauer Generalanzeiger und in der Lippeschen Landeszeitung zugesprochen. Ferner wird die Einziehung der vorhandenen Exemplare und die Vernichtung der zu ihrer Herstellung benutzten Platten und Formen angeordnet.

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