Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer
Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Die Bäder haben einen Wärmegrad von 340 C. Lubecki wurde im Höchstfalle 13 Stunden im Bad gehalten, andere Kranke bisweilen mehrere Tage und Nächte. Die Kranken essen, schlafen, lesen und spielen Skat in der Wanne. Er gebe zu, daß den Kranken das Baden oftmals unangenehm sei. Es gebe eben verschieden ärztliche Verordnungen, die Kranke unangenehm berühren. Medizin sei zumeist bitter.
Auf Befragen des Verteidigers bemerkte der Zeuge: Man kann den Krankheitszustand des Lubecki mit Stimmungsirrsinn übersetzen.
Staatsanwalt Dr. Rasch: Er sei der Meinung, daß die Beförderung der Briefe vom Irrenhausinsassen der diskretionären Gewalt der Direktion unterstellt sei.
Verteidiger R.-A. Dr. Halpert (mit erhobener Stimme): Ich protestiere mit voller Entschiedenheit gegen diese Behauptung des Herrn Staatsanwalts. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, daß Briefe von Irrenhausinsassen auf alle Fälle befördert werden müssen. Es ist ein Irrtum von Herrn Medizinalrat Dr. Leppmann, wenn er diese Verpflichtung nicht anerkennt, weil im Reglement hierüber keine Bestimmung enthalten ist. Wo eine klare gesetzliche Bestimmung vorhanden ist, bedarf es keiner Reglementsbestimmung. Herr Geheimrat, sind Sie der Meinung, daß es dem Kranken zur Beruhigung dient, wenn er wider seinen Willen stundenlang in ein Bad gesteckt wird, das er als Strafmittel betrachtet?
Zeuge: Ich habe bereits gesagt, daß das Bad kein Strafmittel ist, wenn es auch von den Kranken als solches angesehen wird, es ist trotzdem ein Beruhigungsmittel.
Vert.: Haben Sie Wahrnehmungen gemacht, daß Lubecki Trinker war?
Zeuge: Nein.
Vert.: Hätten sich nicht Abstinenzerscheinungen ergeben müssen, wenn Lubecki Trinker gewesen wäre?
Zeuge: Bei nur mäßigen Trinkern sind Abstinenzerscheinungen nicht wahrzunehmen.
Vert.: Ist auch ein mäßiger Trinker als Alkoholiker zu bezeichnen?
Zeuge: Das kommt ganz auf die körperliche Beschaffenheit des Individuums an.
Dr. med Przybilski, Beuthen, Oberschlesien: Er sei 17 Jahre Hausarzt bei Lubecki gewesen und habe niemals irgendeine Wahrnehmung gemacht, die auf Geistesgestörtheit schließen ließ. Er sei daher ungemein erstaunt gewesen, als er hörte, Lubecki sei nach Leubus gebracht worden. Auf weiteres Befragen, des Verteidigers äußerte der Zeuge: Lubecki sei wohl sehr lebhaften Temperaments, von einem Irrsinn habe er aber niemals das geringste wahrgenommen. Auf Befragen des Vorsitzenden bestritt der Zeuge, mit Frau Lubecki irgendwelche unlautere Beziehungen unterhalten zu haben. Auf Ansuchen der Frau Lubecki habe er an die Anstaltsdirektion in Leubus geschrieben: Auf Grund von Mitteilungen der Frau Lubecki und seiner eigenen Beobachtung fühle er sich veranlaßt, der Anstaltsdirektion anzuzeigen, daß Lubecki ungemein nervös, sinnlich erregt, Trinker sei und an Eifersuchtswahn leide. Lubecki habe auch an Tobsuchtsanfällen gelitten. Ein anderes Mal habe er der Anstaltsdirektion geschrieben: »Ich höre von den Angehörigen Lubeckis, daß letzterer entlassen werden solle; ich kann dies nicht billigen.«
Vors.: Diese beiden Briefe haben Sie nicht auf Grund Ihrer eigenen Beobachtungen geschrieben?
Zeuge: Nein, lediglich auf Grund von Mitteilungen der Frau Lubecki. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)
Vors.: Sie hielten die Angaben der Frau Lubecki für wahr?
Zeuge: Allerdings.
Vert.: Und Sie hielten es mit Ihrem Gewissen für vereinbar, auf bloße Angaben der Frau Lubecki derartige Briefe an die Anstaltsdirektion zu schreiben?
Dr. Przybilski: Ich hielt eben die Angaben der Frau Lubecki für wahr.
Vert.: Der Anstaltsdirektion war es bekannt, daß Sie 17 Jahre Hausarzt des Lubecki waren; hat die Direktion jemals Veranlassung genommen, sich bei Ihnen nach dem Krankheitszustande des Lubecki zu erkundigen?
Zeuge: Nein.
Oberarzt Dr. v. Kunowski: Am 7. September 1905 habe er Lubecki aufgenommen. Als Grundlage galt ihm das Physikatsattest, das Polizeiattest und insbesondere das Einverständnis Lubeckis selbst. Dieser konnte über den Charakter der Anstalt nicht einen Augenblick im Zweifel sein. Die Leubuser Anstalt sei in Schlesien ebenso als Irrenanstalt bekannt, wie in Berlin Dalldorf. Lubecki habe auch sofort sehen müssen, daß er sich in einer geschlossenen Irrenanstalt befinde. Er hatte sich ausdrücklich einverstanden erklärt, in der Anstalt zu bleiben. Bisweilen war Lubecki sehr niedergeschlagen, wälzte sich an der Erde, weinte wie ein Kind, klagte, daß er finanziell ruiniert sei und daß er seiner Frau schweres Unrecht getan habe; seine Frau sei ein Engel. Bald darauf schimpfte er wieder auf seine Frau. Dann war er wieder in ungemein gehobener Stimmung, er hatte die kühnsten Pläne. Außerdem belästigte er vielfach die anderen Kranken mit seinen Klagen, so daß sich diese beschwerten. Die ganze Physiognomie und das Verhalten des L. ließen keinen Zweifel, daß der Mann geistesgestört war. Zur Beruhigung mußten ihm Bettruhe und warme Bäder verordnet werden. Weshalb er nicht dem Landeshauptmann vorgestellt wurde, sei ihm nicht erinnerlich; irgendein Grund habe jedenfalls nicht vorgelegen. Er müsse hierbei bemerken, daß er niemals von irgendeiner Seite eine Remuneration erhalten habe. Die Anstaltsverwaltung habe nicht die Verpflichtung, sämtliche Briefe der Kranken zu befördern. Wenn die Anstaltsverwaltung wisse, daß die Behörden von Kranken mit Briefen überschwemmt werden, oder wenn Aussicht vorhanden sei, daß der Kranke bald entlassen werde, dann werden Briefe nicht befördert.
Vert.: Diese beiden Fälle treffen aber zum mindesten bei den Briefen an Justizrat Kaiser und den Rittergutsbesitzer Albrecht nicht zu. Weshalb sind nicht wenigstens diese Briefe befördert worden? Dagegen ein Brief Lubeckis an seine Frau, in dem er zugab, geisteskrank zu sein und in der Anstalt bleiben zu wollen? In diesem Briefe hatte Lubecki nämlich simuliert.
Zeuge: Ich kann nur wiederholen, die Verwaltung hat nicht die Pflicht, alle Briefe von Kranken zu befördern.
Oberarzt Dr. Blumreich, Sorau, Oberschlesien Lubecki sei freiwillig zwecks Beobachtung seines Geisteszustandes in seine Anstalt gekommen. Er habe ihn vierzehn Tage lang beobachtet und weder eine Wahnidee noch Halluzinationen an ihm wahrgenommen.
Rittergutsbesitzer Albrecht: Er sei der Schwager Lubeckis. Er habe eine Schwester des letzteren zur Frau. Lubecki habe sich in der letzten Zeit derartig aufgeführt, daß er ihn für geistesgestört gehalten habe. Er habe geradezu an Eifersuchtswahn gelitten und befürchtet, seine Frau könne ihm den Hals abschneiden oder ihn vergiften. Er habe weder geschlafen noch etwas in seiner Behausung gegessen. Deshalb habe er den Kreisarzt rufen lassen und sei auch damit einverstanden gewesen, daß Lubecki in eine Irrenanstalt komme. Medizinalrat Dr. la Roche habe ausdrücklich gesagt: Gehen Sie nach Leubus, das ist eine Provinzial-Irrenanstalt, von dort können Sie jederzeit entlassen werden, da die Leute nicht so interessiert sind als Privatanstalten. Sie können ja ins Pensionat gehen, ein solches ist mit der Irrenanstalt verbunden. Lubecki, der ehemals ein sehr reicher Mann war, habe, als er nach Leubus ging, weder Holz noch einen Pfennig Geld im Hause gehabt. Er habe dem Lubecki 20000 Mark geliehen und ihn, da er das Geld nicht zurückerhalten konnte, verklagt. Lubecki habe eine Gegenklage auf Zahlung von 51000 M. gegen ihn angestrengt, da er ihn dadurch, daß er seine Unterbringung in Leubus veranlaßte, finanziell ruiniert habe.
Am dritten Verhandlungstage wurde nochmals Frau Lubecki vernommen. Ihr Mann habe sie im Juni 1905 sehr heftig geschlagen, so daß ihr die Haarnadeln verbogen wurden und sie aus Nase und Mund heftig geblutet habe. Am folgenden Tage habe ihr Mann sie unter Weinen und in kniefälliger Weise
um Verzeihung gebeten.
Am dritten Tage habe er sie wieder heftig geschlagen. Bei diesen Vorkommnissen habe er zugegeben, mit dem Dienstmädchen Verkehr gehabt zu haben. Das Mädchen habe behauptet, er habe sie gezwungen. Das Verhalten des Mannes war derartig, daß sie und viele andere Leute an seiner geistigen Gesundheit zweifelten. Sie habe dem Manne gesagt, es müsse ein Arzt zu Rate gezogen werden. Ihr Mann habe versetzt: Aber lasse um Gotteswillen nicht Dr. Przybilski holen, der läßt