Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer
mitgeteilt, vorgehalten?
Zeuge: Nein.
Vors.: Das ist doch aber die Grundlage aller Rechtsprechung. Man kann doch niemand verurteilen, ehe man ihm nicht das, was gegen ihn vorgebracht wird, vorhält und ihm zur Verteidigung Gelegenheit gibt. Nun hat sich ergeben, daß das meiste, was die Frau vorgebracht hat, unwahr ist.
Zeuge: Ich würde ihn trotzdem für geisteskrank erklären, da er unaufhörlich von Verfolgungen und Komplotten sprach. Das ist ein Schulbeispiel für Geistesgestörtheit.
Es wurde darauf das Attest des Kreisarztes verlesen, auf Grund dessen die Aufnahme in das Irrenhaus erfolgte.
Kreisarzt Dr. la Roche wiederholte: Lubecki habe auf ihn einen psychopathischen Eindruck gemacht.
Vert.: Haben Sie Veranlassung genommen, mit dem Hausarzt des Herrn Lubecki, der ihn seit 17 Jahren behandelte, Rücksprache zu nehmen?
Zeuge: Nein, ich war der Meinung, Sanitätsrat Dr. Locke sei der Hausarzt, dieser war aber nicht zu Hause.
Vert.: Herr Medizinalrat! Jeder Arzt kann sich irren. Haben Sie kein Bedenken, wenn Sie hören, daß der langjährige Hausarzt niemals das geringste an Lubecki wahrgenommen hat, das auf Geistesgestörtheit schließen ließ?
Zeuge: Das kann mich in meinem Urteil nicht beeinflussen.
Vert.: Das sagen Sie, obwohl Sie den Mann niemals körperlich untersucht haben?
Zeuge: Jawohl.
Vert.: Haben Sie nach der Krankheitsgeschichte des Lubecki gefragt?
Zeuge: Das hielt ich nicht für notwendig, ich wußte, daß Lubecki aus einer gesunden Familie stammte.
Vert.: Haben Sie die Pupille des Lubecki untersucht, haben Sie Sprachstörungen oder Schreibfehler festgestellt?
Zeuge: In dieser Beziehung war alles ausgezeichnet.
Vert.: Und trotzdem hielten Sie den Mann für derartig geistesgestört, daß er aus der Liste der Lebenden gestrichen werden sollte?
Zeuge: Jawohl.
Angeklagter Schneidt: Aus der Vernehmung des Herrn Medizinalrats ist zu entnehmen, daß Lubecki wider seinen Willen in die Irrenanstalt gesperrt worden ist; etwas anderes habe ich in dem Artikel nicht behauptet.
Am zweiten Verhandlungstage wurde nochmals Frau Lubecki als Zeugin vernommen. Sie bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Sie habe lediglich die Verpflegungskosten für ihren Mann in der Irrenanstalt Leubus bezahlt. Sie hatte auch nur das Interesse, ihren Mann so schnell als möglich wieder herauszubekommen. Nochmals versicherte sie, daß es erst, nachdem ihr Mann in Leubus war, zu Liebeleien zwischen ihr und Dieterichs gekommen sei. Es seien aber nur Zärtlichkeiten ausgetauscht worden. Sie habe am Tage vor der Entlassung ihres Gatten aus Leubus mit Dieterichs einen Vertrag geschlossen, wonach letzterer, im Falle er von ihrem Gatten entlassen werde, von ihr eine Remuneration erhalten solle.
Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Er wolle glauben, daß zwischen der Zeugin und Dieterichs nur Zärtlichkeiten ausgetauscht worden seien. An der Aufklärung dieser Frage habe er nur das Interesse, um den angeblichen Eifersuchtswahn des Lubecki festzustellen.
Es wurde alsdann Geschäftsführer Dieterichs, Beuthen, Oberschlesien, ein großer, stattlicher, dunkelblonder Mann mit schöngepflegtem Schnurrbart, als Zeuge in den Saal gerufen. Er sei Geschäftsführer bei Lubecki gewesen. Als Lubecki nach Leubus kam, sei er (Zeuge) 25 Jahre alt gewesen. Frau Lubecki habe, nachdem ihr Mann nach Leubus gekommen war, heftig geweint und große Besorgnis wegen der Fortführung des Geschäfts geäußert. Er habe Frau Lubecki getröstet. Bei dieser Gelegenheit sei es zwischen ihm und Frau Lubecki zu Zärtlichkeiten gekommen.
Vors.: Sie sollen zu einem Freund gesagt haben: »Ich kann mich vor der Frau gar nicht retten!«
Zeuge: Das ist mir nicht erinnerlich, ich glaube auch nicht, daß ich das gesagt habe.
Vors.: Der betreffende Mann ist Ihr Freund, er hat doch kein Interesse, in dieser Beziehung eine Unwahrheit zu sagen?
Zeuge (zögernd): Ich glaube nicht, eine solche Äußerung getan zu haben.
Vors.: Sie können sich also an eine solche Äußerung nicht erinnern?
Zeuge: Nein.
Vors.: Hielten Sie Lubecki, ehe er nach Leubus kam, für geistesgestört?
Zeuge: Das kann ich nicht sagen, jedenfalls war Herr Lubecki in einer Weise nervös, wie es mir noch niemals vorgekommen war.
Vors.: Befand er sich nach Ihrer Meinung in einem Zustande, daß er für seine Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden konnte?
Zeuge: Jawohl.
Vors.: Ist Ihnen bekannt, daß Herr Lubecki mit 50 Mark angefangen und in verhältnismäßig kurzer Zeit ein Vermögen von 2-300000 Mark hatte?
Zeuge: Das habe ich gehört. Als Herr Lubecki aber nach Leubus kam, war das Geschäft schon sehr wesentlich zurückgegangen.
Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Halpert gab der Zeuge zu: Am Tage vor der Entlassung des Lubecki aus Leubus habe er mit Frau Lubecki einen Vertrag geschlossen, wonach er im Falle seiner Entlassung von seiten des Ehemannes das Gehalt für vier Monate und eine Entschädigung von 500 Mark zu erhalten habe. Kaufmann Erdrink: Dieterichs habe ihm einmal erzählt, Frau Lubecki verfolge ihn mit Liebesanträgen. Wenn sie wenigstens ein hübsches Weib wäre, würde er darauf eingehen, er könnte alsdann alles erreichen. Dieterichs galt allerdings in dieser Beziehung als großer Renommist.
Direktor der Leubuser Provinzial-Irrenanstalt, Geh. Sanitätsrat Dr. Alter bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei, als Lubecki am 7. September 1905 nach Leubus kam, auf Urlaub gewesen. Daß die Aufnahme in vollständig korrekter Weise erfolgt sei, werde Landesrat Schölzel, Breslau, der im Auftrage des Landeshauptmanns der Provinz Schlesien der Verhandlung beiwohnte, zweifellos bestätigen.
Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Nach dieser Bemerkung halte ich es für wahrscheinlich, daß Herr Landesrat Schölzel als Zeuge vernommen werden wird. Da laut Strafprozeßordnung die Beweisaufnahme in Abwesenheit der Zeugen geführt werden muß, beantrage ich, den Herrn Landesrat zu ersuchen, den Saal zu verlassen.
Angeklagter Schneidt: Ich schließe mich dem Antrage meines Herrn Verteidigers an, da ich ausdrücklich die Vernehmung des Herrn Landesrats beantrage, um festzustellen, ob Herr Lubecki in korrekter Weise in die Irrenanstalt Leubus eingesperrt worden ist.
Der Gerichtshof beschloß, den Landesrat Schölzel sofort als Zeugen zu vernehmen.
Landesrat Schölzel: Er sei 23 Jahre praktischer Jurist gewesen und seit fünf Jahren Mitglied der Provinzialverwaltung der Provinz Schlesien. Die öffentlichen Irrenanstalten unterstehen, laut gesetzlicher Bestimmungen, den Provinzialverwaltungen. Die Bestimmungen über die Unterbringung Geisteskranker in die Irrenanstalten sind in jeder Provinz verschieden. In der Provinz Schlesien gibt es augenblicklich über 9000 Geisteskranke. Die große Mehrheit der Geisteskranken werden vom Landarmenverband bzw. Ortsarmenverband überwiesen. Die Aufnahme in eine Irrenanstalt darf nach den gesetzlichen Bestimmungen nur erfolgen, wenn entweder der Kranke oder dessen gesetzlicher Pfleger damit einverstanden ist. Beides ist aber fast niemals der Fall, da einmal der Kranke fast niemals in der Lage ist, eine solche Erklärung abzugeben und ein gerichtlicher Pfleger fast niemals bei der Aufnahme vorhanden ist. Wir veranlassen die Aufnahme, sobald sie von seiten des Landarmen- oder Ortsarmenverbandes und der Polizeibehörde als dringend bezeichnet wird. Wir veranlassen alsdann ungesäumt die Ernennung eines gerichtlichen Pflegers und holen die Genehmigung des letzteren ein. Bei vermögenden Geisteskranken genügt die Zustimmung des Kranken oder seines gesetzlichen Pflegers. Wenn der Kranke nicht mehr in der Lage ist, eine solche Erklärung abzugeben und ein gesetzlicher Pfleger noch nicht vorhanden ist, dann kann die Aufnahme