Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band - Hugo Friedländer


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sich schließlich an den Kreisarzt gewandt. Als ihr Mann aus Leubus kam, habe er sie wiederum heftig geschlagen. Dasselbe habe er getan, als er aus Sorau kam, und zwar habe er damals ein Verhalten an den Tag gelegt, daß sie ernstlich in Erwägung gezogen habe,

       ob sie nicht von neuem den Antrag stellen solle, ihn ins Irrenhaus zu bringen.

      Der Mann habe sie alttestamentarische H ... genannt, die auf dem Ringe von zwei Pferden auseinandergerissen werden müßte. Er habe ihr ins Gesicht gespuckt und gesagt: »Der kleine Paul muß sterben, denn sein Vater hat mit dir H ..... getrieben.« Einige Tage darauf stand ihr Mann am Fenster. Als sie vorüberging, steckte er ganz weit die Zunge heraus. Von diesem Augenblick hatte sie die Überzeugung, daß es mit ihrem Manne noch viel schlimmer geworden sei.

      Vert.: Ich beantrage, zunächst Herrn Lubecki bezüglich dieser Aussagen zu vernehmen und ferner: das Dienstmädchen, das damals bei Lubecki war, als Zeugin zu laden. Ich werde dieser betreffs der Glaubwürdigkeit der Frau Lubecki eine Reihe Fragen vorlegen.

      Lubecki bestritt die Richtigkeit der Aussagen seiner geschiedenen Frau. Als ich aus Leubus kam, fragte ich meine Frau, ob sie mich noch liebe; da sie dies verneinte und offen bekannte, sie liebe Dieterich, habe ich ihr ins Gesicht gespuckt und gesagt: Du bist nicht wert, daß ich dich Frau nenne. Geschlagen habe ich meine Frau überhaupt nicht, zumal ich gar kein Interesse mehr an ihr hatte. Aber ich muß bekennen, daß ich, wo ich sie auch traf, ihr ins Gesicht gespuckt habe. Im November 1905 sollte ich aus Leubus entlassen werden. Als mir der Oberarzt, Dr. v. Kunowski, auf mein Befragen erklärte: der Beschluß bezüglich meiner Entlassung sei aufgehoben, sagte ich: Aber, Herr Oberarzt, ich bin doch nicht verrückt. Der Oberarzt erwiderte: Das wissen Sie eben nicht und Unkenntnis des Gesetzes schützt vor Strafe nicht! (Bewegung im Zuhörerraum.) Herr Oberarzt, versetzte ich, ich bin doch kein Verbrecher; ich habe doch zum mindesten den Anspruch, als Kranker und nicht als Sträfling behandelt zu werden. Der Oberarzt drehte mir den Rücken und entfernte sich.

      Angeklagter Schneidt: Frau Lubecki, ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß Ihr Mann während der ganzen Verhandlung, selbst als die schlimmsten Dinge über ihn und seine Familie vorgebracht wurden,

       eine eisige Ruhe

      bewahrt hat, während Sie mehrfach dazwischenriefen, so daß Sie wiederholt vom Herrn Vorsitzenden zur Ruhe ermahnt werden mußten?

      Zeugin: Davon verstehe ich nichts, ich bin nicht Psychiater.

      Schneidt: Ist es wahr, daß, obwohl Sie gehört haben, Dieterichs habe gesagt: Frau Lubecki verfolgt mich mit Liebesanträgen, sie ist mir aber zu häßlich, Sie trotzdem Freitag und Sonnabend während der Pausen mit Dieterichs in einer gegenüber dem Gerichtsgebäude gelegenen Restauration zusammen gegessen und sich freundschaftlich unterhalten haben?

      Zeugin: Das ist richtig, freundschaftlich habe ich mich aber nicht mit Dieterichs unterhalten.

      Kaufmann Paul Lubecki, Beuthen, Oberschlesien: Er habe längere Zeit mit seinem Bruder einen Kolportage-Buchhandel betrieben. Das Geschäft sei sehr gut gegangen; durch politische Gegensätze sei er mit seinem Bruder auseinandergekommen. Nachdem er aus dem Geschäft ausgeschieden war, habe sein Bruder eine Möbelfabrik errichtet, obwohl er absolut nichts davon verstanden habe. Es hatte den Anschein, daß sein Bruder mit der Möbelfabrik gute Geschäfte machte. Als aber sein Bruder nach Leubus gebracht wurde, sei nicht ein Pfennig im Hause und auch kein Holz vorhanden gewesen. Er bestreite, mit seiner Schwägerin irgendwelche unlauteren Beziehungen unterhalten zu haben. Sein Bruder habe kurz vor seiner Einlieferung nach Leubus auf seine (des Zeugen) damals 19jährige Tochter in seiner Wohnung ein Sittlichkeitsattentat unternommen. Er habe selbst beobachtet, daß sein Bruder, insbesondere kurz vor seiner Überführung nach Leubus, mehrere Tobsuchtsanfälle gehabt habe. Um das Geschäft weiterführen zu können, sei Frau Lubecki genötigt gewesen, beim Vormundschaftsgericht die Entmündigung ihres Mannes und ihre Ernennung als Pflegerin zu beantragen. Einige Zeit, nachdem sein Bruder aus Leubus zurückgekehrt war, habe er ihn besucht, da er gehört hatte, daß er wieder sehr aufgeregt sei. Er hatte deshalb die Absicht, ihn zu beruhigen. Der Bruder habe ihn aber sofort, ohne jede Veranlassung, gewürgt, geschlagen und geschrien: »Du Schuft, du Schurke! Dein Junge muß sterben!« Sein kleiner Sohn lag damals schwer krank. Lediglich in der Notwehr habe er mit seinem Stock den Bruder über den Kopf geschlagen. Darauf habe ihm sein Bruder ein Auge ausdrücken wollen. Er habe damals sofort die Empfindung gehabt, daß sein Bruder geistesgestört sei. Er halte seinen Bruder noch heute für geisteskrank.

      Direktor Dr. Alter jr.: Er habe sich ein Urteil über Emanuel Lubecki gebildet, und zwar vollständig unabhängig von jedem ärztlichen Zeugnis und ebenso unabhängig von jeder Mitteilung der Angehörigen. Er habe Lubecki sofort nach seiner Einlieferung eingehend untersucht und alle Merkmale einer Geisteskrankheit an ihm festgestellt. Der Mann sei von einem Extrem ins andere gefallen. Zunächst klagte Lubecki über das Verhalten seiner Frau. Am folgenden Tage war er wie umgewandelt. Der Mann fühlte sich außerdem verfolgt; er behauptete: es wäre der Versuch gemacht, durch die Türritze auf ihn einzuwirken, die Pfleger seien gegen ihn voreingenommen. Er lärmte und schrie bisweilen derartig, daß nicht ein Wort zu verstehen war.

      Vors.: Benahm er sich wie ein Geisteskranker?

      Zeuge: Genau wie ein Geisteskranker.

      Vors.: Haben Sie von jemandem irgendeine Vergütung empfangen?

      Zeuge: Ich habe weder jemals Geld noch ein Angebot empfangen. Was nun die Beförderung der Briefe anlangt, so bestand bei uns der Grundsatz, Briefe an Staatsanwaltschaften sämtlich zu befördern. Wir sind in dieser Beziehung sogar so weit gegangen, daß wir von Staatsanwaltschaften ersucht wurden, dafür zu sorgen, daß sie nicht mit Briefen gar zu sehr überschwemmt werden. Alle Briefe von Lubecki sind nicht befördert worden, zumal er oftmals hinterher sagte: Ich bin ein Schuft, ein Schurke, es ist sehr gut, Herr Doktor, daß die Briefe nicht abgeschickt worden sind. Daß Lubecki den Wunsch geäußert hat, den Landeshauptmann sprechen zu wollen, kann ich nicht glauben; hätte er einen solchen Wunsch geäußert, dann würde ich ihm gesagt haben: »Teilen Sie dies dem Oberpfleger mit.« Es lag absolut keine Ursache vor, Herrn Lubecki dem Landeshauptmann nicht vorzustellen. Wir haben so viel Kranke, daß wir froh sind, wenn wir einen weniger haben.

      Vors.: Wohl ebenso, wie wir froh sind, wenn wir einen Prozeß weniger haben? (Allgemeine Heiterkeit.)

      Angeklagter Schneidt: Weshalb wurde aber der Mann trotz aller Bitten nicht entlassen?

      Zeuge: Darüber hatte ich nicht zu befinden, das war Sache des Direktors.

      Auf weiteres Befragen bekundete der Zeuge: Lubecki habe ohne jede Scham von den intimsten Vorgängen seines Ehelebens gesprochen. Oft sei er verstört gewesen, er bezog jede Äußerung von Pflegern und anderen Leuten auf sich und bildete sich ein, daß an den Wänden gehorcht werde. Er sah in jeder Maßnahme eine ungeheuerliche Beeinträchtigung seiner Person. Bald lachte er und sprang im Zimmer umher, bald warf er sich auf die Knie, rang die Hände und geriet in Verzweiflung. Er vernachlässigte auch sein Äußeres, so daß es den übrigen Insassen, die den besseren Ständen angehörten, unangenehm war. Er lief in Strümpfen oder Pantoffeln umher, oft in Hemdärmeln. Er hatte verschiedene Eingaben an den Landeshauptmann, an den Staatsanwalt u.a., verfaßt, bald darauf kam er aber immer und sagte: »Ich bin der größte Narr und Dummkopf gewesen, daß ich so etwas geschrieben habe. Bitte, halten Sie doch die Sachen zurück, schicken Sie sie nicht ab!« Unwahr ist es, daß Herrn Lubecki infolge des Badens die Haut in Fetzen abgegangen sei. Die Behandlung mit Dauerbädern wird in chirurgischen Anstalten bei Verbrennungen auch in Anwendung gebracht. Es ist bedauerlich, daß die öffentliche Meinung in bezug auf die Dauerbäder so falsch beeinflußt wird.

      Die Behandlungsmethoden, die der Krankheitszustand des Lubecki erforderlich machte, sind in der humansten Weise angewendet worden. Wenn die Bäder länger als drei Stunden verordnet wurden, so ist dies eben erforderlich gewesen.

      Angeklagter Schneidt: Mir ist von verschiedenen Seiten mitgeteilt worden, daß die Kranken gerade durch die sogenannte Dauerbadbehandlung, die sie als einen


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