Die Vampirschwestern – Der Meister des Drakung-Fu. Franziska Gehm

Die Vampirschwestern – Der Meister des Drakung-Fu - Franziska Gehm


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kann Deutsch“, sagte Daka.

      Silvania nickte. „Drakung-Fu ist nicht nur ein Kampfsport, sondern da steckt eine Philosophie dahinter. Und die besagt unter anderem, dass ein Schüler des Drakung-Fu fünf Sprachen erlernen soll. Denn hinter jeder fremden Sprache verbergen sich eine fremde Welt und Kultur, die den mongolischen Horizont des Schülers enorm erweitern.“

      „Und deshalb kann Kerul nicht nur Mongolisch und Vampwanisch, sondern auch Deutsch, Isländisch, Bengali, Sorbisch und Sächsisch“, ergänzte Daka.

      „Eins verstehe ich nicht“, sagte Helene nachdenklich. „Kerul ist ein Krieger. Er surft auf Hirschen. Er lebt in einer unterirdischen Jurte viele Tausend Kilometer entfernt in der Mongolei. Ihr habt überhaupt nichts mit ihm gemeinsam. Wieso ist er euer virtueller Zwilling?“

      „Keine Ahnung. Das hat der Portokulator sich ausgedacht“, erwiderte Daka.

      „Vielleicht hat er sich verrechnet“, überlegte Helene laut.

      Silvania zuckte mit den Schultern. „Und wenn schon. Ich finde es total aufregend, einen virtuellen Zwilling in der Mongolei zu haben.“

      „Und Kerul findet uns total aufregend.“ Daka kratzte sich am Ohr. „Glaub ich.“

      „Außerdem braucht er uns“, fuhr Silvania fort. „Er hat gesagt, wir sind seine einzigen Freunde. Er lebt mit seiner Mutter allein. Sie sind erst später in das Dorf gezogen und Kerul hat nie so richtig Anschluss gefunden. Im Vampgolengarten haben ihn die anderen wegen seiner großen Nase aufgezogen. Nasenaffe haben sie ihn gerufen.“

      „Und in der Schule wollte sich keiner neben ihn setzen, weil er auf seinem Pausenbrot keine Blutwurst hatte, sondern lieber Quark aus Kamelmilch.“ Daka nickte ernst.

      „Wenn die anderen nachts vor der Jurte mit Yakhörnern Hockey gespielt haben, hat er lieber gelesen, genau wie ich“, sagte Silvania.

      „Oder er hat ganz alleine ganz lange und furchtbar gefährliche Ausflüge gemacht, genau wie ich … es gerne mal machen würde“, sagte Daka.

      „Und sein Lieblingsspruch geht so: Nur tote Vampire fliegen mit dem Strom. Zensatoi futzi, oder nicht?“ Silvania sah Helene fragend an.

      „Den Spruch kenne ich“, erwiderte Helene. „Heißt der nicht eigentlich …“

      „Nur tote Vampire fliegen mit dem Flugzeug, ja“, gab Silvania zu. „Aber die Version ist besser.“

      „Irgendwie“, sagte Daka und starrte gedankenverloren vor sich hin, „ist er mir wirklich schon ans Herz gewachsen wie ein Bruder. Obwohl ich ihn noch nie gesehen habe. Aber was er so schreibt, das ist manchmal genau, was ich denke.“

      „Schlotz zoppo! Beinahe hätte ich vergessen, dass er uns gerade etwas in den Sargdeckel geritzt hat.“ Silvania zog die Maus zu sich heran, verließ mit einem Klick Keruls Jurte und öffnete den virtuellen Sarg. Er ging mit einem Knarzen auf. Alle drei Mädchen beugten sich über den Bildschirm und lasen, was Kerul mit krakeliger Schrift in den Sargboden geritzt hatte:

      Hoi boi, Schwestern!

      Danke für eure Graffiti an meiner Jurtenwand. So gut zu wissen, dass ihr da draußen seid. Besonders jetzt. Nur noch wenige Stunden vor den großen Drakung-Fu-Prüfungen. Die Prüfungen dauern mehrere Nächte. Ich weiß nicht, wann ich wieder in eurem Sarg vorbeisehen kann. Ich weiß nicht, ob ich es jemals wieder kann. Drückt alle Eckzähne für mich!

      Azdio, Schwestern,

      Kerul.

      Helene starrte auf Keruls Nachricht. „Was meint er damit, er weiß nicht, ob er jemals wieder in eurem Sarg vorbeisehen kann?“

      Silvania stand der Mund offen. Sie war so weiß wie der Plastiktisch, auf dem der Laptop stand. „Es muss eine Prüfung auf Leben und Tod sein“, hauchte sie.

      Daka drückte bereits alle Eckzähne. So fest, dass es knirschte.

      In einer Nacht wie dieser

      Die Sonne war schon längst über der Wüste Gobi untergegangen. Das kleine Dorf Ulan-Vampor befand sich am Rand der Wüste. Die riesengroße Jurte, unter der es sich erstreckte, lag tief in der Erde versunken und war gut getarnt. Wer nichts von dem Dorf wusste, konnte es leicht übersehen. Was die meisten Menschen taten (und was auch besser für ihre Gesundheit war).

      Die Bewohner von Ulan-Vampor waren nachtaktiv. Wer sehr genau hinhörte, konnte tagsüber ein leises, mehrstimmiges Schnarchen aus der Jurte vernehmen. Hin und wieder auch ein zufriedenes Bäuerchen. Am Tag waren sie friedlich und zahm. Nachts aber kamen sie hervor. Krochen, kletterten, flogen und flopsten sich aus der Jurte. Sie fauchten, sie dürsteten, sie bissen zu. Die Vampgolen.

      Die Vampgolen waren alt eingeflogene, sehr traditionsbewusste Vampire. Sie ernährten sich vom Blut all jener Lebewesen, die in der Mongolei beheimatet waren: Bären, Steinböcke, Maralhirsche, Yaks, Pfeifhasen und hier und da auch mal ein menschlicher Nomade, der sich unvorsichtigerweise in die einsame, karge Gegend wagte.

      Im schützenden Mantel der Dunkelheit kamen sie auch in dieser Nacht in Scharen aus der Dorfjurte. Doch statt sich – wie in jeder anderen Nacht – um die Blutzufuhr zu kümmern, statt zu spielen, zu flopsen, zur Schule zu fliegen oder irgendeinem anderen Nachtwerk nachzugehen, versammelten sich alle Bewohner von Ulan-Vampor am Rand einer kleinen Senke. Die Senke war von vereinzelten Bäumen umgeben und in der Mitte lag ein großer, freier Platz.

      Die älteren Vampgolen hingen sich an einen Ast in einem der Bäume oder lehnten sich an einen Baumstamm. Die Jüngeren flogen aufgeregt am Rand der Senke entlang, bis sie einen Punkt gefunden hatten, von dem sie meinten, die beste Aussicht zu haben. Dort blieben sie in der Luft stehen und wackelten alle paar Sekunden mit den Armen. Bald wimmelte es am Rand der Senke nur so von Vampgolen. Es sah aus wie ein Saturnring.

      Auf einmal ging ein Raunen durch die Menge der Dorfbewohner. Eine Wolke, die wie ein gigantischer Drache aussah, hatte den Mond verdeckt. Jetzt schob sie sich sanft über den Himmel und ließ das Mondlicht auf eine hochgewachsene Gestalt fallen, die mitten über der Senke schwebte. Das hellgraue Gewand schimmerte im Einklang mit dem grauen Bart, den der alte Vampgole mit zwei Essstäbchen kunstvoll hochgesteckt hatte. Er trug einen bronzefarbenen Helm, der wie eine kleine Jurte aussah, und in dessen Mitte auf Stirnhöhe ein purpurroter Stein funkelte.

      „Vampgolen! Bewohner von Ulan-Vampor! Krieger, Drakung-Fu-Meister und all jene, die es werden wollen“, rief der Alte mit tiefer, rauer Stimme. Die Nadeln an den Kiefern und Lärchen erzitterten allein durch seine Worte. So mancher Vampgole auch. „Heute ist die Nacht der Krieger. Der jungen Krieger. Der Krieger, die in die Reihen der großen Drakung-Fu-Meister aufgenommen werden wollen. Jedes Jahr kann nur einem Krieger der Schritt gelingen. Nur ein Krieger ist dazu bestimmt, ein Drakung-Fu-Meister zu werden. Er muss es durch seinen Mut, seine Schnelligkeit, seine Kraft, seine Weisheit und seine Barmherzigkeit beweisen.“

      Durch die Menge ging jetzt ein zustimmendes Raunen.

      Der Alte hob den langen, dünnen Knochen, den er in der rechten Hand hielt, und die Zuschauer verstummten. „Ich, der Großmeister Dschingbiss Zhan, erinnere mich noch allzu gut an meine eigene Prüfung. Vor nicht weniger als 63 788 Jahren stand ich just in dieser Senke. Ein junger Krieger voller Tatendrang, Wissensdurst, Überheblichkeit und damals noch voller kräftiger schwarzer Haare.“ Bei diesen Worten lüftete Dschingbiss Zhan kurz seinen bronzefarbenen Jurtehelm und entblößte eine Glatze, die im Mondlicht glänzte wie das Dotter eines Spiegeleis. „Ich erinnere mich noch genau, wie schwer die Prüfung war, welch übervampirische Anstrengungen sie mich gekostet hatte. Die Schmerzen, die Erschöpfung, der Durst. Doch ich wollte ein Drakung-Fu-Meister werden. Ich war fest entschlossen, die Prüfung zu bestehen. Genau wie heute diese jungen Krieger dazu fest entschlossen sind.“ Dschingbiss Zhan zeigte mit dem Knochenstab auf ein Dutzend junger Vampgolen, die sich in der Senke eingefunden hatten.

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