Verwehte Spuren. Franz Treller
»Ich werde sie mit dem Stoizismus eines Indianers ertragen,« fügte Graf Edgar hinzu.
»Machen uns gar manchmal lustig, Herr Graf, über Adel, Orden und so weiter, wahrscheinlich, weil wir beides nicht haben können, aber ist harmlos. Haben da eine Familie hier, Courtland, behauptet vom ältesten normannischen Adel abzustammen und mit Wilhelm dem Eroberer in England eingezogen zu sein, ist sehr stolz darauf, sehr exklusiv in gesellschaftlicher Beziehung und behandelt uns Staubgeborene ohne sechsunddreißig Ahnen etwas von oben herunter. Der witzigste Kopf Lansings, der Advokat Hoboken, erzählte nun kürzlich einem besonders hochmütigen Angehörigen dieser Familie folgende Geschichte:
»›Kennen Sie,‹ fragte er den Normannensprößling, ›die Geschichte von der Namengebung an Adam?‹
»Alles ringsum, es war in großer Gesellschaft, horcht auf, denn Hobokens scharfer Witz ist so allgemein bekannt, wie die Schwäche der Courtlands.
»›Nein,‹ sagt der Gefragte harmlos.
»›Als Gott Adam geschaffen hatte,‹ so ließ sich unter tiefem Schweigen der Anwesenden der Advokat vernehmen, ›forderte er ihn auf, sich einen Namen zu wählen.‹
»Nach einigem Nachsinnen sagte Adam: ›Nun, wenn ich wählen darf, so möchte ich wohl Courtland heißen.‹
»›Nun sieh mal einer,‹ sagte lächelnd der liebe Gott, ›diesen Burschen an, sich gleich solchen alten vornehmen Namen auszusuchen.‹
»Das Gelächter war unauslöschlich, welches hierauf ausbrach.«
Der Graf und Schuyler lachten auch.
»Mister Myers hat immer seine Schnurren im Kopf,« sagte Mistreß Myers. »Gott bewahre ihm seinen Humor.«
Indem sie sich anschickten, weiterzugehen, traf es sich, daß Edgar neben Miß Schuyler einherschritt.
»Ihr Vortrag der Orpheusarie hat mich sehr ergriffen, Miß Schuyler, Sie sind eine Künstlerin.«
»Nein, aber ich singe mit dem Herzen, Herr Graf, und da ist bei einem solchen Tonstück die Wirkung unwiderstehlich auf fühlende Menschen,« sagte sie einfach.
»Wenn Ihnen bekannt ist, was mich in dieses Land geführt hat, können Sie erst recht ermessen, wie des Orpheus‘ Klage mich berührt,«
»Ich habe von dem traurigen Schicksal Ihrer Schwester, wie von Ihrer Mission gehört, und hoffe zu Gott, daß auch treue Bruderliebe im stande ist, der Unterwelt ein Opfer zu entreißen,«
Sie gingen schweigend eine Weile nebeneinander.
»Sie begleiten Ihren Vater in seine einsame Garnison, Miß?«
»Ja. Mein Vater hat nichts auf der Welt als mich, und ich nichts Teureres auf Erden als ihn, den besten der Väter, den vollendetsten Gentleman, den tapfersten Krieger.«
Ihr Auge leuchtete, als sie sprach, und Edgar sah mit aufrichtiger Bewunderung in dieses schöne, von edlen Gefühlen belebte Antlitz.
»Es ist, wie mir Oberst Schuyler sagt, nicht unwahrscheinlich, daß wir uns in den Urwäldern des Nordens wieder begegnen.«
»Es soll mich freuen. Sie dort zu sehen und gute Nachrichten von Ihnen zu hören.«
»Sie fürchten also dieses einsame Leben in jenen so entfernten Garnisonen nicht?«
»Nein, Herr Graf, nachdem ich einige Zeit in Washington zugebracht, wo mein Vater im Kriegsdepartement tätig war, sehne ich mich sogar danach. Es sollen Unordnungen dort oben in den Garnisonen herrschen, deshalb sendet man einen Offizier vom Range meines Vaters dorthin; er wollte den Auftrag meinethalben schon ablehnen, ich selbst habe ihn dazu bestimmt, ihn anzunehmen, ich bin der Bälle, der Soireen, des Klatsches herzlich überdrüssig, und wenn ich,« setzte sie lächelnd hinzu, »Aussicht habe, wie meine liebe Mary meint, Königin der Ottawas zu werden, so ist das schon eines Aufenthaltes in einem einsamen Fort wert.«
Der Graf dachte in seinem Sinn: selten wie das Aeußere dieses Mädchens ist auch sein Denken und Fühlen. Etwas wie ein Kompliment schwebte ihm auf den Lippen, was er in andrer Gesellschaft mit Eleganz vorgebracht haben würde, doch diesem Mädchen gegenüber, die ausgestattet mit solch hohen Vorzügen der Seele wie des Körpers, sich dennoch so schlicht und einfach gab, und einen öden Aufenthalt an der Seite des bejahrten Vaters dem in den Salons der Hauptstadt des Landes vorzog, wollte es nicht über die Lippen, er sagte nur: »Wohl dem Vater, der sich einer solch liebevollen Tochter erfreut.«
Sie traten wieder zu den andern, und Graf Edgar schickte sich an, sich zu verabschieden. Er dankte den Damen des Hauses und vor allem Mister Myers, der ihn mit so warmer Freundlichkeit aufgenommen hatte.
»Den Brief an den Peschewa haben Sie morgen früh, Herr Graf, ebenso den an den Agenten am Manistee, außerdem sind Sie mir, so lange Sie in Lansing weilen, jederzeit willkommen. Die Dinnerstunde kennen Sie nun.«
Oberst Schuyler sagte: »Ich rechne auf ein Wiedersehen im Norden. Sollten Sie mich im Fort Jackson nicht persönlich antreffen, so werden Sie den zeitigen Kommandanten angewiesen finden, Ihnen allen möglichen Beistand zu leisten. Ich wünsche Ihnen besten Erfolg.«
Als er sich von Miß Schuyler verabschiedete, reichte sie ihm die schmale weiße Hand mit den Worten: »Ein guter Stern leite Sie auf Ihrer Fahrt und zu ersehntem Ziele.«
Der junge Mann war bewegt von der so herzlichen Freundlichkeit, mit welcher ihn diese guten und hochgebildeten Menschen aufgenommen hatten, als er Myers‘ gastliches Heim verließ, und immer klang noch des Orpheus‘ Klage von solch sympathischer Stimme vorgetragen ihm im Ohr. »Ein seltenes Mädchen,« sagte er leise vor sich hin.
Vor dem Gouvernementsgebäude erwartete ihn Heinrich und ging mit ihm zum Hotel zurück, den mit schönen Ulmen geschmückten Broadway hinunter.
Während sie so zwischen Spaziergängern, welche der schöne Abend ins Freie gelockt hatte, entlang schritten, fiel beiden das Gesicht eines Mannes auf, der an ihnen vorbeikam.
»Hast du dir diese Visage angesehen, Heinrich?« fragte der Graf, »welche Aehnlichkeit mit einem Fuchse.« Der Mann, der ihnen begegnet war, hatte ein spitzes Gesicht, hervorragende Nase und ein Paar stechende schwarze Augen.
»Mehr noch wie ein Marder, Herr Graf.«
Bei dem Wort Marder fiel dem jungen Manne der Name »Iltis« ein, den die Farmer am Muskegon einem der Räuber gegeben hatten.
Er blieb plötzlich stehen und sagte: »Mein Gott, wo hatte ich meine Augen, der Mann im Gouvernementsgebäude war einer von den Schurken, die bei Grover einkehrten, der Gefährte von Morris. Jetzt weiß ich‘s. Wie konnte ich auch vermuten, einen der Gesellen hier, und im Regierungsgebäude anzutreffen? Was nun beginnen?«
»Wenn der Herr Graf der Sache sicher sind, müßte man es doch der Polizei anzeigen.«
Nach einigem Nachdenken entschloß Edgar sich, zu Mister Myers zurückzukehren und ihm seinen Verdacht mitzuteilen.
Der war nicht wenig erstaunt über die zuversichtliche Behauptung des Grafen und sagte, auf das Abendblatt der Staatszeitung deutend: »Dann haben mir auch bereits einen Beweis von der unheilvollen Tätigkeit der Verbrecher.«
Des Grafen Auge fiel, als er das Blatt in die Hand nahm, auf einen auffällig gedruckten Artikel, in welchem über einen vor einigen Tagen verübten Mord berichtet wurde, der erst gestern entdeckt worden war. Man hatte die gänzlich entkleidete und verstümmelte Leiche eines alten Mannes gefunden, deren Identität bis jetzt noch nicht festgestellt werden konnte.
»Da wollen wir,« sagte Myers, »doch sofort die Polizei avertieren, ob ich mich gleich vergeblich frage, was der Kerl hier in Lansing und bei mir wollte? Irren Sie sich auch nicht?«
»Ich irre mich nicht.«
»Dann muß er auch Sie erkannt haben und leichter, als Sie ihn.«
»Das ist möglich.«
Er teilte weiter seine Begegnung mit dem Manne auf der Straße mit, dessen Gesicht sowohl ihm als Heinrich