Der Waldläufer. Gabriel Ferry

Der Waldläufer - Gabriel  Ferry


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Ist es weiter nichts?« fragte Cuchillo kühl.

      »Ihr habt sie also gesehen?« rief Tiburcio lebhaft.

      »Wen? Eine Frau? Ei, mein Gott, nein! Ihr habt sie eben nur zu sehen geglaubt! Was Ihr empfunden habt, ist nichts als der letzte Paroxismus des Todes vor Durst. Den Menschen, der so stirbt, überkommt im Delirium ein Gefühl, als ob er mit vollen Zügen trinke.«

      Tiburcio schien nur mit Bedauern auf eine poetische Erklärung seiner Erscheinung zu verzichten, die sich fast immer in einem ähnlichen Fall wiederholt.

      In diesem Augenblick begann das Pferd Cuchillos offenbare Zeichen des Schreckens von sich zu geben. Sein Haar sträubte sich, und es näherte sich seinem Herrn, als ob es bei ihm Schutz suchen wollte. Die Stunde nahte, wo die düstere Steppe sich mit nächtlicher Majestät kleidet. Schon heulten die Schakale von fern, als plötzlich ein rauher, rucksender Ton ihnen Stillschweigen gebot: die Stimme des amerikanischen Löwen.

      »Horcht!« sagte Cuchillo.

      Ein durchdringenderes Geheul erscholl von der anderen Seite.

      »Es sind ein Puma und ein Jaguar, die sich den Leichnam Eures Pferdes streitig machen, Freund Tiburcio; und der Besiegte könnte wohl den Versuch machen, sich durch einen von uns zu entschädigen. Ich habe nur meine Büchse, und Ihr habt keine Waffen!«

      »Ich habe meinen Dolch!«

      »Das ist nicht genug. Steigt hinter mir auf mein Pferd, und machen wir, daß wir fortkommen.«

      Tiburcio folgte dem Rat und verschob seinen Verdacht vor der gemeinsamen Gefahr; trotz der doppelten Last lief das Pferd Cuchillos blitzschnell davon, während das Knurren der beiden falben Bewohner der Steppe immer lauter und länger wurde.

      7. Das Nachtlager im Wald

      Noch lange trug das Echo das furchtbare Gebrüll, gemischt mit dem klagenden Geheul der Schakale, zu den Ohren der beiden Reiter. Diese gefräßigen Tiere verließen nur mit Bedauern den Raub, den sich die beiden Könige der Wälder Amerikas streitig machten. Plötzlich aber bewies ein Lärm anderer Art das Dazwischenkommen des Menschen in dieser Steppenszene. Wirklich hörte das Geheul plötzlich auf.

      »Das war ein Büchsenschuß!« sagte Tiburcio. »Wer mag wohl Vergnügen daran finden, in diesen Einöden zu jagen?«

      »Ohne Zweifel irgendeiner dieser amerikanischen Jäger, die wir von Zeit zu Zeit nach Arizpe kommen sehen, um ihre Vorräte an Otter- und Biberfellen zu verkaufen, und denen ein Jaguar oder ein Puma ebenso wie ein Schakal willkommene Beute ist.«

      Nichts störte jetzt noch die feierliche Ruhe der Nacht. Die Sterne glänzten am Himmel, und kaum ließ ein frischerer Windhauch ein leichtes Murmeln im Eisenbaumgehölz vernehmen.

      »Wohin bringt Ihr mich denn?« fragte Tiburcio nach einem ziemlich langen Schweigen.

      »Nach der Poza, wo einige Freunde mich erwarten und wo wir die Nacht über bleiben werden; von da, wenn es Euch recht ist, weiter nach der Hacienda del Venado.«

      »Nach der Hacienda del Venado?« erwiderte Tiburcio. »Ich gehe auch dorthin.«

      Wäre es Tag gewesen, so hätte Cuchillo den jungen Mann bei diesen Worten erröten sehen können, denn eine Herzenssache zog ihn gegen seinen Willen zu der Tochter Don Agustins hin.

      »Kann ich wissen«, fragte Cuchillo seinen jungen Begleiter, »welcher Beweggrund Euch nach der Hacienda führt?«

      Tiburcio war verlegen bei dieser so einfachen Frage; aber man hat wohl schon bemerken können, daß Cuchillo nicht der Vertraute war, den er gewählt hätte. »Ich bin ohne Hilfsmittel«, antwortete er zögernd, »und will Don Agustin Peña bitten, mich unter die Zahl seiner Vaqueros aufzunehmen.«

      »Das ist ein trauriges Geschäft, das Ihr da ergreifen wollt, mein Lieber. Sein Leben täglich für ein mäßiges Gehalt aufs Spiel zu setzen, die Nacht zu wachen, des Tages im Dickicht oder in den Ebenen herumzustreifen in glühender Sonnenhitze, in der Kühle der Nacht: das ist das Los eines Vaqueros.«

      »Was soll ich anfangen?« fragte Tiburcio. »Ist es nicht das Leben, an das ich gewöhnt bin? Habe ich nicht immer in der Einsamkeit und unter Entbehrungen gelebt? Diese abgenutzten Calzoneras und diese zerrissene Weste – sind sie nicht meine einzige Habe? Ich habe nicht einmal mehr ein eigenes Pferd. Ist es nicht besser, Vaquero als Bettler zu sein?«

      Er weiß nichts, dachte Cuchillo; würde er sonst wohl eine Stelle dieser Art annehmen? Dann sagte er laut: »Wohlan, ich habe Euch etwas Besseres vorzuschlagen. Ihr seid wirklich ein verlorener Sohn; mich ausgenommen, würde Euch niemand beweinen, wenn Ihr sterben würdet. Ihr habt wahrscheinlich in Eurer tiefen Abgeschlossenheit nichts von einer Expedition gehört, die sich eben in Arizpe gebildet hat?«

      »Nein!«

      »Seid einer der Unseren. Für eine solche Expedition muß ein entschlossener Junge, wie Ihr einer seid, ein kostbarer Erwerb sein; und was Euch betrifft, so kann ein erfahrener Gambusino – und als solchen kenne ich Euch, da Ihr in einer guten Schule gewesen seid – sein Glück mit einem Schlag machen.« Wenn er den Hieb pariert, den ich ihm beigebracht habe, sagte der Bandit bei sich, so wird das ein offenbares Zeichen sein, daß er nichts weiß!

      Cuchillo verfolgte so einen doppelten Zweck – den der Ausforschung und den des persönlichen Vorteils —, indem er Tiburcio ausfragte und den Versuch machte, ihn durch die Hoffnung auf Gewinn an sich zu fesseln.

      Aber so schlau der Bandit auch war – er hatte einen tüchtigen Gegner. »Das ist also eine Expedition von Goldsuchern?« sagte der junge Mann kalt.

      »Ganz recht; ich gehe mit einigen Freunden nach der Hacienda del Venado, und von da aus vereinigen wir uns im Presidio von Tubac, um die Apacheria zu durchforschen, die, wie man sagt, sehr große Schätze enthalten soll. Wir werden beinahe hundert Mann stark sein!«

      Tiburcio schwieg.

      »Obgleich ich, unter uns gesagt«, fuhr Cuchillo fort, »niemals über Tubac hinausgekommen bin, so werde ich doch einer der Führer dieser Expedition sein. Nun, was sagt Ihr dazu?«

      »Ich habe viele Gründe, um mich nicht ohne reifliches Nachdenken zu verpflichten«, antwortete Tiburcio. »Ich fordere also vierundzwanzig Stunden zur Überlegung.« Diese Expedition, von der er so plötzlich hörte, konnte wirklich Tiburcios Pläne vernichten oder fördern, und daher kam seine Ungewißheit unter diesem klugen Vorbehalt.

      Er beunruhigt sich nicht! Dieser junge Mann ist dazu bestimmt, mein Schuldner zu bleiben. Das waren die Gedanken Cuchillos, der sich von nun an, frei von Besorgnis von dieser Seite her, damit beschäftigte, zu pfeifen und sein Pferd anzutreiben.

      Die beste Eintracht schien demnach zwischen zwei Männern zu herrschen, die beide füreinander – freilich noch unbewußt – Grund zu tödlichem Haß in sich trugen, als plötzlich das Pferd, das mit dem linken Vorderfuß strauchelte, beinahe gestürzt wäre.

      Tiburcio sprang mit flammendem Auge zu Boden und rief mit drohender Stimme: »Ihr seid niemals über Tubac hinausgekommen, sagt Ihr? Seit wann habt Ihr denn dieses Pferd, Cuchillo?«

      »Was liegt Euch daran?« fragte der Abenteurer, erstaunt über eine Frage, der sein Gewissen eine beunruhigende Bedeutung gab. »Und was kann mein Pferd mit der Frage zu tun haben, die Ihr so unhöflicherweise an mich richtet?«

      »Bei der Seele Arellanos, ich will es wissen; wenn nicht …«

      Cuchillo gab seinem Pferd die Sporen, das zur Seite sprang, und in dem Augenblick, wo er die Hand nach dem Riemen seiner Büchse ausstreckte, näherte sich ihm Tiburcio schleunigst, preßte kraftvoll seine Hand und wiederholte seine Frage: »Seit wann habt Ihr das Pferd?«

      »Haha! Welche Neugierde!« antwortete Cuchillo mit gezwungenem Lächeln. »Nun weil Ihr denn so sehr darauf haltet, es zu wissen – ich habe es gekauft … vor sechs Wochen. Habt Ihr es etwa schon zufällig gesehen?«

      Es war wirklich das erstemal, daß Tiburcio Cuchillo auf diesem Pferd sah, das trotz des Fehlers, zuweilen zu stolpern, voll ausgezeichneter Eigenschaften war und das sein Herr auch nur bei wichtigen Gelegenheiten bestieg.

      Die Lüge des Reiters


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