Der Waldläufer. Gabriel Ferry
del Venado führte, durchschnitten wurde. Gerade den Mittelpunkt dieses Raumes hatte man zum Lagerplatz gewählt, doch näher der Zisterne als dem Wald. Ziemlich hohe Eisenholzgebüsche umgaben diese Lichtung an den beiden anderen Seiten. In der Richtung diesseits der Poza einerseits und jenseits des Waldsaums andererseits ließ sich das Brüllen vernehmen. An der ersten Seite befand sich Tiburcio, an der anderen Don Estévan; die Männergruppe war mitten zwischen beiden.
In einem der Augenblicke fürchterlichen Schweigens, das alle Schrecken des Unbekannten birgt, ließ sich das klagende Geheul eines Schakals in einiger Entfernung jenseits der Hecke von Eisenholz hören; aber so traurig auch diese Art von Geschrei war, so erschien es doch wie eine sanfte Melodie im Vergleich mit dem Brüllen der Jaguare.
»Ein Schakal wagt es, so nahe bei einem Jaguar zu kläffen? Das scheint mir sonderbar«, sagte der alte Vaquero leise.
»Aber ich habe sagen hören, daß, wenn der Jaguar jagt, der Schakal ihm heulend folgt«, antwortete Tiburcio in demselben Ton.
»Es ist etwas Wahres dran«, antwortete Benito; »aber der Schakal wagt nur, dicht beim Jaguar zu kläffen, wenn der letztere seine Beute zerreißt; es ist eine demütige Bitte, ihm seinen Teil davon übrigzulassen. Aber wenn der Jaguar auf der Jagd ist, so hütet er sich wohl, sich hören zu lassen, aus Furcht, selbst seine Beute zu werden. Es ist wirklich seltsam«, sagte noch einmal der alte Hirt, als ob er laut dächte; »aber, bei Gott, da ist ein zweiter Schakal auf dieser Seite!«
Wirklich stieg derselbe klagende Ton, genauso abgemessen als der erste, langsam inmitten des Schweigens empor, und zwar in der entgegengesetzten Richtung. »Ich wiederhole«, nahm Benito das Wort: »Schakale würden nicht so keck sein, sich so zu verraten; das müssen zwei Wesen anderer Art sein, die sich nicht vor den Jaguaren fürchten.«
»Welche meint Ihr?« fragte Tiburcio erstaunt.
»Zwei menschliche Wesen; zwei kühne amerikanische Jäger; ich wette darauf.«
»Zwei Jäger aus dem Norden, meint Ihr?«
»Ja, sie allein sind mutig genug, auf diese gefährlichen Tiere des Nachts Jagd zu machen. Sie haben sich ohne Zweifel getrennt und gebrauchen ein besonderes Zeichen, um sich wieder zu vereinigen.«
Indes mußten die beiden Jäger – wenn es wirklich solche waren – mit großer Vorsicht herankommen, denn man hörte nicht den geringsten Zweig brechen, nicht das kleinste Blättchen rauschen.
»He, da am Feuer!« schrie plötzlich eine Stimme, ähnlich der der Matrosen, die sich in der Nacht anrufen: »Nos acostons; fürchtet euch nicht, und gebt nicht Feuer.« Die Stimme hatte einen fremdartigen Akzent, der teilweise die Voraussetzung des alten Vaqueros bestätigte; aber das sonderbare Aussehen des Mannes, der sich nun zeigte, machte endlich eine Gewißheit daraus.
Es ist hier nicht der rechte Ort, die herkulische Gestalt und den bizarren Anzug des Ankommenden zu beschreiben; er wird eine zu hervorragende Rolle in dieser Erzählung spielen, als daß wir nicht später Gelegenheit haben sollten, sein Porträt zu entwerfen. Es wird hinreichen zu sagen, daß es eine Art Riese war, bewaffnet mit einer langen, schweren Büchse mit einem dicken sechseckigen Lauf.
Das lebhafte Auge des amerikanischen Jägers hatte bald die ganze Gruppe überflogen und ruhte mit einigem Wohlgefallen auf Tiburcio. »Der Teufel hole euer Feuer!« sagte er in rauhem Ton, der aber nicht ohne Gutmütigkeit war. »Ihr macht uns seit zwei Stunden die beiden schönsten gefleckten Panther scheu, die jemals in diesen weiten Einöden gebrüllt haben.«
»Scheu machen?« unterbrach Baraja. »Caramba, sie vergelten es uns wahrhaftig!«
»Ihr werdet doch das da auslöschen, hoffe ich«, erwiderte der Jäger.
»Unsere Feuer? Unseren einzigen Schutz?« schrie der Senator. »Denkt Ihr das wirklich?«
»Euren einzigen Schutz?« wiederholte erstaunt der Amerikaner. Und er zählte mit dem Finger den ganzen Kreis. »Was?« nahm er wieder das Wort. »Acht Menschen haben nur ein Feuer zum Schutz gegen zwei armselige Jaguare? Ihr wollt Euch wohl über mich lustig machen!«
»Wer seid Ihr denn?« fragte Don Estévan gebieterisch.
»Ein Jäger, wie Ihr seht.«
»Ein Jäger von was?«
»Mein Gefährte und ich, wir jagen Ottern, Biber, Wölfe, Jaguare und Indianer – wie es sich eben trifft.«
»Der Himmel schickt euch zu unserer Befreiung!« rief Cuchillo.
»Keineswegs«, antwortete der Jäger, dem das Aussehen Cuchillos ohne Zweifel mißfiel; »mein Kamerad und ich, wir haben ungefähr zwei Meilen von hier einen Puma und ein Paar Jaguare gefunden, die sich den Körper eines toten Pferdes streitig machten.«
»Des meinigen«, unterbrach Tiburcio.
»Des Eurigen? Armer junger Mann!« erwiderte der Jäger im Ton rauher Herzlichkeit. »Nun, ich freue mich, Euch hier zu sehen; ich glaubte nicht, daß der Herr des Pferdes noch unter den Lebenden sein würde. Also«, fuhr er fort, »wir haben den Puma getötet und bis hierher die Spur der beiden Jaguare verfolgt, die ihr gehindert habt, an der Poza ihren Durst zu löschen. Wenn ihr also wollt, daß wir euch davon befreien, so müßt ihr das Feuer auslöschen – und zwar sogleich – und uns unseren Willen lassen.«
»Und wo ist Euer Begleiter?« fragte Don Estévan, bei dem sich der Wunsch regte, zwei Männer solchen Schlages für seine Expedition zu gewinnen.
»Er wird sogleich kommen. Also ans Werk, sonst überlassen wir es euch selbst, euch so gut ihr könnt aus der Verlegenheit zu ziehen.«
Es war so viel Autorität, so viel Überzeugung in dem Ton des Jägers und unerschütterliche Gewißheit in seinen Behauptungen, als er vortrat, um das Feuer auszulöschen, daß Don Estévan seinem Wunsch nachgeben mußte. Die Glut wurde auseinandergeworfen. Dann ließ der Amerikaner einen zweiten Schakalruf hören, und noch war keine Minute verflossen, als der Gefährte des Jägers seinerseits bei dem Amerikaner stand.
Obgleich der zuletzt Gekommene von ziemlich hohem Wuchs war, so schien er doch nur ein Zwerg im Vergleich mit dem ersten. Er war nicht weniger sonderbar gekleidet als jener, allein die Dunkelheit ließ seine Züge und seine Kleidung nicht genug hervortreten. Es wird auch von ihm später noch die Rede sein. »Endlich ist euer höllisches Feuer aus«, sagte er; »aus Mangel an Holz ohne Zweifel, das keiner von euch noch hat sammeln wollen.«
»Nein«, sagte der erste Amerikaner, »diese Herren sind dahin gekommen, sich gern auf uns zu verlassen, um sie von den beiden Tieren zu befreien, denen sie menschenfreundlich verwehren, ihren Durst zu löschen.«
»Hm«, brummte der Senator, »ich weiß nicht, ob wir klug daran getan haben. Wenn ihr sie nun fehlt?«
»Sie fehlen? Wie soll das zugehen?« fragte der zuletzt Gekommene. »Wahrhaftig, wenn ich nicht gefürchtet hätte, den anderen Jaguar zu verjagen, wenn ich den einen tötete … Ich habe ihn mehrere Male vor dem Lauf meiner Büchse gehabt und wollte eben der Versuchung nachgeben, als das mit meinem Gefährten verabredete Zeichen – das Kläffen eines Schakals – mich hierherführte.«
»Ich hoffe, diese Reisenden endlich zu überzeugen, und habe Euch darum zu mir gerufen«, sagte der große Jäger.
»Ihr wußtet also schon, daß wir da waren?« fragte Baraja.
»Ganz gewiß; seit zwei Stunden belauschen wir euch, ohne es zu wollen. Ach, ich kenne Länder, wo Reisende, die nicht mehr Vorkehrungsmaßnahmen träfen als ihr, sehr bald skalpiert sein würden. Doch vorwärts, Dormilon; ans Werk!«
»Und wenn die Jaguare über uns herstürzen?« sagte der Senator.
»Sie werden sich wohl hüten. Ihre erste Sorge ist jetzt, ihren Durst zu löschen. Ihr werdet sie sogleich vor Freude darüber heulen hören, daß sie ihre Tränke nicht mehr von der Flamme gerötet sehen, die sie mehr erschreckt als die Gegenwart des Menschen. Sie werden zuerst nur ans Trinken denken.«
»Diese Tiere sind sehr aufgeregt, fürchte ich«, sagte Baraja. »Aber was wollt ihr denn tun?«
»Was wir tun wollen?« erwiderte der Jäger mit Namen Dormilon. »Etwas sehr Einfaches.