Der Waldläufer. Gabriel Ferry

Der Waldläufer - Gabriel  Ferry


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mitten aus dieser Gruppe erschreckter Tiere vernehmen. Es war klar, daß der Instinkt sie eine noch ferne Gefahr fürchten ließ.

      »Es ist irgendein Jaguar, der hier herumstreicht«, sagte einer der Diener, »und unsere Tiere haben Wind davon.« »Bah!« sagte ein anderer. »Der Jaguar greift nur Füllen an; er würde es nicht wagen, ein kräftiges Pferd anzugreifen.«

      »Glaubt Ihr das wirklich?« erwiderte der erste. »Wohlan, fragt doch hier Benito, wie es an irgendeinem Ort einem schönen und starken Pferd ging, das er sehr lieb hatte.«

      Benito ging auf die beiden Sprecher zu. »Eines Tages«, sagte er, »oder vielmehr in einer Nacht wie dieser hier, hatte ich mich sehr weit von der Hacienda del Venado, wo ich damals diente, entfernt und hatte beschlossen, die Nacht bei der Quelle Ojo de Agua zuzubringen. Ich hatte mein Pferd ziemlich weit von mir an einer Stelle angebunden, wo das Gras dichter stand, und schlief, wie man schläft, wenn man einen Marsch von zwanzig Meilen gemacht hat, als ich durch ein fürchterliches Brüllen und Wiehern aufgeweckt wurde. Der Mond schien so hell, daß man wie bei Tag sehen konnte. Erschreckt durch den höllischen Lärm, den ich hörte, wollte ich mein Feuer wieder anzünden; aber es war erloschen, und ich hatte gut blasen – ich konnte keinen einzigen Funken herausbringen. Plötzlich sah ich mein Pferd an mir vorbeigaloppieren, das auf die Gefahr hin, sich zu erdrosseln, die Reata zerrissen hatte, die ich um seinen Hals geschlungen hatte. ›Gut‹, sagte ich zu mir, ›anstatt eines Pferdes, das dir fehlte, wirst du nun deren zwei zu suchen haben.‹ Ich hatte kaum diese Bemerkung gemacht, als ich beim Mondlicht einen gewaltigen Jaguar erkannte, der meinem Pferd in voller Verfolgung nachsetzte. Er schien kaum die Erde zu berühren, denn jeder seiner Sprünge brachte ihn zwanzig Fuß vorwärts. Ich begriff, daß mein Pferd verloren war. Ängstlich lauschte ich, aber ich hörte nichts mehr. Erst nach Verlauf einer Viertelstunde, die mir sehr lang vorkam, trug mir der Wind ein furchtbares Brüllen zu …«

      Er unterbrach sich mit einem Ausruf des Schreckens: »Heilige Jungfrau«, rief er, »geradeso wie jetzt!«

      Ein fürchterliches Brüllen erscholl wirklich nicht weit von der Poza und schnitt Benito das Wort ab. Ein tiefes Schweigen folgte, währenddessen ein Hauch des Schreckens über den Häuptern der Menschen und Tiere die Luft zu beschweren schien.

      8. Benito läßt Parteilichkeit für die Jaguare durchblicken

      Der alte Hirt hätte seine Erzählung wiederaufnehmen können, ohne daß ihn jemand unterbrochen hätte, aber auch sicherlich, ohne gehört zu werden. Die drohende Nähe einer Gefahr, die eben noch so entfernt schien, sowie die Nachbarschaft des wilden Tieres erstarrten das Herz der Zuhörer des Vaqueros zu Eis und nahm diesem die Sprache. Er schwieg übrigens wie die anderen und schien darüber nachzudenken, was die schreckliche Lage fordere, als der Spanier das tiefe Schweigen, das im Biwak herrschte, unterbrach.

      »Zu den Waffen!« rief Don Estévan.

      »Das ist unnütz, Señor«, erwiderte der Erzähler, dem seine Bekanntschaft mit der Gefahr schon sein kaltes Blut wiedergegeben hatte. »Das beste, was wir tun können ist, das Feuer nicht erlöschen zu lassen.« Ein Bündel trockener Zweige, das er mit diesen Worten hineinwarf, verbreitete ringsherum eine glänzende Flamme, deren Strahl alle Anwesenden mit einem Lichtnetz umhüllte. »Sofern er nicht vor Durst verschmachtet, wird der Dämon der Finsternis diesen Feuerkreis nicht zu überschreiten wagen. Indes muß ich hinzufügen, daß er oft vor Durst verschmachtet, und dann …«

      »Und dann?« unterbrach ihn jemand mit ängstlichem Ton.

      »Dann«, fuhr der Vaquero fort, »kennt er weder Feuer noch Flamme. Auch ist es – sofern man nämlich entschieden sein sollte, ihm den Zugang zum Wasser zu verwehren – das klügste, ihm aus dem Weg zu gehen. Diese Tiere haben immer mehr Durst als Hunger.«

      »Und wenn sie getrunken haben?« fragte seinerseits Baraja, bei dem die Flamme eine wenig sichere Haltung sehen ließ.

      »Dann suchen sie ihren Hunger zu stillen. Diese Jaguare sind sehr sinnlich. Übrigens ist das ganz natürlich, wie mir scheint.«

      Ein zweites Brüllen, das aber offenbar entfernter zu sein schien, bewies den durch die Vorlesung über die Jaguare sehr erschreckten Zuhörern Benitos, daß dieser wenigstens noch nicht den äußersten Grad des Durstes empfand. Jedermann bewahrte ein Schweigen, das nur durch das Knistern der Zweige, die Baraja eifrig in die Glut warf, unterbrochen wurde.

      »Sachte, zum Henker! Wenn Ihr unseren Holzvorrat so verschwendet, wollt Ihr es etwa auf Euch nehmen, neuen im Wald zu sammeln?«

      »Dann seht zu, daß wir ausreichen, um uns nicht in der Dunkelheit dem Jaguar preiszugeben, dessen Durst nach zwei Stunden der Entsagung doppelt so groß sein wird.«

      Wenn Benito sich vorgenommen hätte, seinen Zuhörern Schrecken einzujagen, er hätte gewiß vollkommen seinen Zweck erreicht, denn alle warfen einen ängstlichen Blick auf das wenige trockene Holz, das im Bereich ihrer Hand aufgeschichtet war; aber trotz seiner spöttischen Antworten war doch in der Stimme des alten Vaqueros etwas Feierliches, das eine tiefe Beweiskraft in sich trug. Man hatte kaum Holz genug, um noch eine Stunde lang die schützende Flamme der Feuerstelle zu unterhalten.

      Man begreift, daß Don Estévan es auf eine günstigere Gelegenheit verschoben hatte, Fragen an Tiburcio zu richten. Dieser hätte indessen nicht länger gezögert, dem Spanier zu danken, aber er wußte nicht, daß dieser den Befehl an Cuchillo gegeben hatte. Nichtsdestoweniger warf Don Estévan mitten in diesen schrecklichen Augenblicken verstohlen mehr als einmal einen prüfenden Blick auf Tiburcio, aber durch Zufall blieb das Gesicht des jungen Mannes ständig im Schatten und unsichtbar für ihn. Tiburcio seinerseits fühlte ebenfalls, daß der Augenblick schlecht gewählt gewesen wäre, Höflichkeitsbezeugungen mit dem Chef des Biwaks zu wechseln.

      Tiefe Stille herrschte auch fernerhin. Don Estévan und der Senator hatten ihre Feldbetten wieder aufgesucht, auf denen sie mit dem Gewehr in der Hand saßen, und niemand blieb um Benito als seine Kameraden Baraja, Cuchillo und Tiburcio. Die Pferde hörten dessenungeachtet nicht auf, sich so nahe wie möglich um das Feuer zu gruppieren, und ihr Ausharren an der Seite der Menschen, der glühende Atem ihrer Nüstern – alles bewies, daß die Gefahr wohl entfernter, aber noch nicht vorüber sei.

      Einige Minuten verflossen so, ohne daß der Ton einer menschlichen Stimme die düstere Ruhe des Waldes störte.

      Inmitten der größten Gefahr liegt in der Stimme des Menschen immer ein ermutigender Wohlklang, der den Schrecken zu mindern scheint; drum bat auch einer der Diener den Vaquero, in seiner Erzählung fortzufahren.

      »Ich sagte euch also«, begann Benito wieder, »daß der Jaguar auf der Verfolgung hinter meinem Pferd hersetzte und daß ich nicht wie heute abend ein helles Feuer hatte, um ihn fernzuhalten. Plötzlich sah ich noch einmal beim Schein des Mondes das Pferd selbst zu mir hergaloppieren, aber nach dem schrecklichen Reiter zu urteilen, den es trug, war es der letzte Lauf, den es machen sollte. Der Jaguar hatte sich auf seinem Rücken eingekrallt; sein Kopf lag dicht auf dem Hals des armen Tieres, und so ließ er sich von ihm dahintragen. Kaum einige Schritte von mir ließ sich plötzlich ein schauerliches Krachen zerbrochener Knochen hören; das Pferd stürzte wie vom Blitz getroffen – der Jaguar hatte ihm den letzten Rückenwirbel dicht am Kopf zerbrochen. Jaguar und Pferd rollten, sich einer über den anderen wälzend, zu Boden, und am folgenden Morgen waren nur noch zerrissene Fetzen von dem Renner da, der mich so lange getragen hatte. Nun, glaubt ihr immer noch, daß der Jaguar nur Füllen angreift?« fragte der alte Hirt.

      Unter dem Eindruck der Erzählung des alten Hirten und der unzweifelhaften Gegenwart eines dieser schrecklichen nächtlichen Herumstreifer der amerikanischen Wälder dauerte das Schweigen der Reisenden noch lange Zeit fort.

      Tiburcio war der erste, der es unterbrach. Ebenso wie der Vaquero an ein Leben in der Einöde gewöhnt, war er weniger betroffen als seine Gefährten.

      »Indes«, bemerkte er, »wenn Ihr kein Pferd gehabt hättet, so würde Euch der Jaguar an dessen Stelle verspeist haben; Euer Pferd hat Euch also gerettet und ist für Euch gestorben; und hier haben wir zwanzig Pferde für einen Jaguar!«

      »Dieser junge Mann spricht nach meiner Meinung sehr gut«, rief Baraja, der durch diese Bemerkung wieder Haltung bekommen hatte.

      »Zwanzig


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