Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski

Die Inseln der Weisheit - Alexander  Moszkowski


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vernachlässigt wurde, während die Figuration darauf hinweist, daß hier noch ganze Gruppen nie gesehener Inseln sich unter der monotonen Tünche des kartographischen Blau verstecken.«

      »Zeig› mir doch das mal auf der Karte,« begehrte der Andere, dessen Neugier zu erwachen begann.

* * *

      Ich schlug ihm einen Atlas auf und verwies ihn auf den nördlichen Teil des Stillen Ozeans, zwischen den Sandwich-Inseln und den Aleuten. »Sieh, Donath, das wäre ungefähr mein Terrain. Jungfräulich genug sieht es aus, so gut wie unberührt von benamsten Ortspunkten. Und an der Geräumigkeit dieses lediglich von Meridian- und Parallelstrichen durchzogenen Meeresfeldes ist nicht zu zweifeln. Es umfaßt ungefähr neun Millionen Quadratkilometer, könnte also annähernd ganz Europa verschlucken. Nördlich und besonders südlich davon ein wahres Gewimmel von Inseln, die Hawai›schen an der Spitze, und dazwischen die bläuliche Öde der Unentdeckten. Bis zum Beweise des Gegenteils halte ich daran fest, daß diese ungeheure Fläche darauf wartet, mit den Zeichen entdeckerischer Tätigkeit bevölkert zu werden.«

      »Und du nimmst einstweilen an, daß hier noch gar nicht gesucht worden ist?«

      »Das wäre natürlich übertrieben. Dieses Feld war sogar der Schauplatz gewisser Expeditionen …«

      »Und wenn diese nichts gefunden haben, so beweist das …

      »So beweist das im Einzelfalle nur, daß nicht gesucht wurde, Genauer gesagt, die Leiter dieser Expeditionen suchten keine menschlichen Siedelungen, sondern bestimmte Merkmale von wissenschaftlichem und technischem Interesse. So veranstaltete hier der Kommandant Belknap auf dem amerikanischen Kriegsschiff Tuscarora anno 1874 zahlreiche Tieflotungen, bei denen die enormsten Seetiefen bis nahe an neun Kilometern durchs Senkblei und Tieflot ermittelt wurden. Er verfuhr also nach einem für Zwecke der Kabellegung einseitig festgelegten Programm, hielt sich vorwiegend an die gerade Ost-West-Linie der Durchquerung, bog nicht ab, kreuzte nicht, so daß man beinahe sagen könnte: er vermied jede Länderentdeckung. Immerhin hat seine Expedition diesem ungeheuren Wassergebiet den Namen gegeben. Es heißt noch heute die Tuscarora-Tiefe, und wenn irgendwo, so müssen auf ihr die Inseln der Verheißung liegen.«

      »Allmächtiger! die Inseln der Verheißung – von wem denn verheißen?«

      »Von meiner Ahnung. Eine Fata Morgana, denkst du, und ich verüble dirs nicht. Inzwischen laß dir gesagt sein, daß ich bereits angefangen habe, für meine Idee zu werben.«

      »Mit Erfolg?«

      »Nicht nennenswert, oder präziser ausgedrückt: Erfolg vorerst gleich Null.«

      »Eigentlich wundert mich das,« ironisierte mein Freund, »für waghalsige und pathetisch vorgetragene Projekte liegt doch sonst das Geld auf der Straße.«

      »Ich glaube eher in den Stahlfächern, und deren Inhaber sind nur selten Idealisten, wie mein Projekt sie voraussetzt. Ich bin also fast durchweg an zugeknöpfte Taschen geraten. Allerdings wäre hinzuzufügen, daß ich an einigen Stellen eine gewisse Aufmerksamkeit für meinen Plan angetroffen habe. Die Leute sagten mir nicht etwa einstimmig, daß ich mich in eine Utopie verrannt hätte. Allein sie bezweifelten sämtlich meine Legitimation fürs Entdeckerfach.«

      »Hast du ja auch nicht im geringsten. Du bist in Haupt- und Nebenberufen Journalist, Dichter, philosophierender Schriftsteller, worauf gründest du also deinen Anspruch?«

      »Auf die Idee selbst. Übrigens könnte ich mich auf Präzedenzfälle berufen. Man ist immer etwas anderes außerdem, bevor man Entdecker wird. Stanley, der Kongo-Erforscher, war Zeitungsmensch, Chamisso unterbrach sein Dichten, um Weltumsegler zu werden und unterwegs recht Erhebliches zu entdecken; Sven Hedin, der uns Ost-Tibet erschloß, kam von der Philosophie her. Aber damit drang ich nicht durch. Ich klopfte bei mehreren sehr geldkräftigen Zeitungen an; ob sie nicht Lust hätten, eine solche Expedition ins Werk zu setzen, wie vormals der New-York-Herald und der Daily-Telegraph mit dem Journalisten Stanley; das könnte doch eine große, vielleicht sehr rentable Nummer werden. Die Verleger wiesen mich höflich ab und verzuckerten mir die Pille mit einer freundlichen Zusage; wenn es mir gelänge, meine Entdeckungsfahrt anderweitig zu deichseln, wollten sie gern einige Reisefeuilletons darüber aus meiner Feder annehmen und selbstverständlich mit ansehnlichem Spaltenhonorar entlohnen.

      Nicht viel besser erging es mir bei einigen Großbankdirektoren meiner Bekanntschaft. Die Konjunktur, so meinten sie, verböte zur Zeit so unsichere Extravaganzen. Nur ein einziger, der Bankchef Georgi, erbat sich Bedenkzeit; er wolle nicht rundweg Nein sagen, noch weniger freilich Ja; aber er beabsichtige die Sache im Auge zu behalten; vielleicht ließe sich dem Projekt ein kolonisatorischer Gesichtspunkt abgewinnen, – und was der Redensarten mehr waren, um mich zu vertrösten und den Kern der Absage zu verschleiern.«

      »Das heißt also, es wird nichts daraus – und du wirst nie dahin gelangen, deine Nebelvision zu finanzieren. Beratschlagen wir also, wenn schon durchaus gereist werden soll, über eine praktisch ausführbare Tour. Vielleicht Thüringen oder Schwarzwald…«

      »Du verlegst dich aufs Höhnen, aber der Spott wird dir bald vergehen, das prophezeie ich dir…«

      »Laß dir einmal sagen, Alex, deine Zukünfteleien fangen an, mir auf die Nerven zu gehen; du sagst an: du verheißt, du prophezeist, du kommst aus dem Futurismus nicht mehr heraus.«

      »Wenn du das Perfektum bevorzugst, so bin ich auch damit nicht in Verlegenheit. Ich stelle mich in der Zeitbetrachtung um, und anstatt fortzufahren: ich werde entdecken, erkläre ich dir vertraulich: ich habe entdeckt!«

      »Die Inseln? In deiner Studierstube?«

      »So ungefähr. Klingt etwas paradox und liegt auch wirklich jenseits aller Schulweisheit. Also um beim Perfektum zu bleiben: ich befand mich vor einer Woche in einer großen Antiquariatsversteigerung, wo kostbare und seltene Altdrucke und Handschriften angemessene, das heißt, schwindelhafte Preise erzielten. Du hast sicher davon gelesen, es war die Auktion bei Knaupp und Kompagnie, die Zeitungen brachten ellenlange Berichte darüber.«

      »Jawohl, ich entsinne mich. Aber ich traue dir nicht den Wahnsinn zu, daß du etwa mitgesteigert hast.«

      »Das verbot sich von selbst. Nur mit stillem Neid verfolgte ich den Fortgang dieser Herrlichkeiten, die aus einer holländischen Sammlung stammten und vorwiegend alte Prachtstücke aus Südfrankreich umfaßten, Troubadourblätter mit den entzückendsten Zierleisten und Miniaturen in leuchtenden Farben auf goldenem und silbernem Grunde. Für die Kenner und Liebhaber war es ein Bacchanal, ein Rausch, für mich eine Orgie der Unerschwinglichkeiten. Ich hörte Wertziffern, bei denen man eher an den Verkauf von Rittergütern als an Druckpapiere und Pergamente dachte. Der Katalog enthielt aber auch, von allen unbeachtet, einen unscheinbaren Band in Quart, der mein Interesse erregte, ohne daß ich zu sagen gewußt hätte, weshalb. Niemand wußte Auskunft zu geben über den Band, dessen Titel über Autor, Erscheinungsort und Jahreszahl keinerlei Anhalt lieferte. Er sah alt aus, zerwühlt und zerbeult, aber seine Antiqua-Lettern ergaben nicht den geringsten Sprachsinn; ja es war ersichtlich, daß sie nur zufällige Konglomerate von Buchstaben darstellten ohne Beziehung auf irgendwelche mögliche Sprache. Man zuckte die Achseln, ließ es liegen, und als es ausgerufen wurde, nur nach Nummer, nicht nach Inhalt, – denn es hatte ja keinen angebbaren Text – verharrte das Publikum in eisigem Schweigen. Schon wollte der Versteigerer das zwecklose Exemplar beiseite schieben, als ich mich in einer instinktiven Regung meldete: »Hundert Mark!« Das Wort war heraus und ließ sich nicht mehr zurücknehmen. Kampflos fiel mir das Buch zu. Willst du es sehen? Hier!«

* * *

      Mein Kumpan blätterte, prüfte, stutzte, mißbilligte heftig: »Genau um hundert Mark überzahlt! Eine gräßliche Scharteke! Man könnte an einen schlechten Witz glauben, den sich der Verleger von anno Tobak mit den Lesern geleistet hat. Aber für einen Scherz wär›s doch zu kostspielig gewesen. Da bleibt nur die Vermutung, daß der anonyme Herausgeber komplett blödsinnig gewesen ist.«

      »Du bist auf falscher Fährte, Donath. Der Autor ist gar nicht anonym. Er hat nur seinen Namen künstlich versteckt. Und dieser Name gehört zu den berühmtesten der ganzen Geisteswelt: Dieses Buch ist von Nostradamus!«

      »Jetzt schnappst du offensichtlich über! Wie kommst du bloß


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