Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski
Motiven dem Publikum nicht selten etwas schwer gemacht. Sie verkapselten ihre Mitteilungen in Runen und Rätseln, konstruierten Anagramme und Versteckschriften und überließen es den Lesern, die Lösung zu finden. Sogar der große Newton hat uns derartige Rätsel hinterlassen, und von Leonardo da Vinci gibt es hunderte von Schriftseiten, deren hieroglyphische Struktur kaum auflösbar erscheint. Hier, bei meinem so billig erworbenen Bande, den du unter die Scharteken verweist, liegt die Sache vergleichsweise einfacher. Er ist von A bis Z chiffriert, und zwar nach ein und demselben Schlüssel, dessen Auffindung mir schon in der ersten Probierstunde zufiel. Betrachte einmal dieses Wort auf der Vorderseite.
»Aber das ist doch gar kein Wort, das ist ein Sammelsurium von Buchstaben!« – Oberflächlich betrachtet gab ihm der Anschein recht; denn hier stand:
Mnrsqzczltr
also eine gänzlich unaussprechbare Konsonantenhäufung, ohne den mindesten Vokal-Anhalt, die keiner möglichen Menschensprache zugewiesen werden konnte. Ein formloser Brei, aus dem aber sofort glitzernde Kristalle zucken, sobald man jeden Buchstaben mit dem im alphabetischen Zyklus nächstfolgenden vertauscht. Das M verwandelt sich also in N, das n in o, weiterhin das z folgerecht in a, und so entwickelte sich, wie aus der plumpen Puppe der prächtige Schmetterling, das wohltönende und verheißungsvolle
Nostradamus
Da hätten wir den Schlüssel, und jede weitere Probe ergab, daß er durchweg und restlos paßte. Aus dem unverständlichen Sigel
Ktfctmh
sprang die Lösung
Lugduni,
die unzweideutig den Erscheinungsort des Buches bestimmte, denn Lugdunum ist nichts anderes, als die klassische Bezeichnung für Lyon; was wiederum im besten Einklang steht zu der Tatsache, daß auch die berühmten Schriften des Magiers ihren buchhändlerischen Ursprung in Lyon gefunden haben. An das Zeichen vollends
LCK
brauchte man den Chiffreschlüssel nur eine Sekunde anzusetzen, um dafür
MDL
zu erhalten, was bei der bekannten Zifferbedeutung von M gleich 1000, D gleich 500 und L gleich 50 das klare Datum 1550 hinstellte. Gewiß blieben noch einige Schwierigkeiten zurück. Auf die Frage, wieso dieses Exemplar hier als ein plötzliches Unicum auftauchte, war eine Antwort nicht zu erzielen. Habent sua fata libelli! War es aber wirklich ein Unicum – und daran ließ sich bei Prüfung des ganzen Buchtextes nicht zweifeln – dann durfte sich der glückliche Besitzer des einzigen Exemplars erst recht für beneidenswert halten; auch wenn, wie hier der Fall, viele Stellen bis zur Unleserlichkeit verwischt erschienen. Es blieb noch genug des Entzifferbaren übrig – um dies gleich vorwegzunehmen – der Salomonische Schlüssel fand ein weites Feld der Betätigung, – Zeichen und Wunder stiegen auf!
Mir waren sie schon vor jener Unterredung mit Freund Donath sichtbar geworden, und ich durfte mich an den Überraschungen weiden, unter deren Stößen der ungläubige Thomas sich zum Glauben an eine unwahrscheinliche Fernwelt bekehrte. Allein noch waren einige Präludien durchzuspielen, bevor ich es unternehmen durfte, ihn in die große Fuge des Nostradamus einzuführen. Ich hielt ihm daher eine kurze Vorlesung über den Mann überhaupt und wiederhole sie hier für den Leser, der längst erraten hat, daß die abenteuerliche Schrift des Zauberers von Notredame sich irgendwie mit meinem exzentrischen Reiseplan ergänzt.
Die Weisheit des Michel de Notredame, genannt Nostradamus, so etwa erläuterte ich, gründet sich vorwiegend auf Astrologie, jener Wissenschaft, die wir längst als mythologischen Irrwahn abgefertigt haben, die aber doch viele recht erleuchtete Köpfe zu ihren Vertretern zählte. Ich lege weniger Gewicht darauf, daß Melanchton zu ihr hielt, betone aber mit Nachdruck, daß einer der gewaltigsten Sternforscher, eine Leuchte exakten Denkens, nämlich Johannes Kepler, der Astrologie huldigte und sie praktisch ausübte. Jedenfalls hat sie dem Nostradamus Einsichten in die Zeitferne verschafft, zu deren Erklärung wir nicht das geringste Mittel besitzen. Seine in Vierzeilern, gereimten »Quatrains«, abgefaßten Schriften sind nicht leicht zu lesen. Viele wimmeln in ihrem Altfranzösisch mit ihren aus anderen Sprachen eingestreuten Brocken und beabsichtigten, in Willkür und Anagrammen gekleideten Dunkelworten von sprachlichen Schwierigkeiten. Bewältigt man sie aber, so gerät man an Prophezeiungen, die ein grenzenloses Staunen erregen müssen. So lautet einer seiner Quatrains in freier Übertragung:
»Die Lilie trägt der Dauphin hin nach Nancy
Dem Kurfürst nach, bis hin an Flanderns Steine;
Ein neu Verließ dem großen Montmorency
Für andern Platz geliefert an clere peine.«
Die historischen Bestimmungen der ersten Zeilen weisen genau auf das vierte Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts. Als der Magier schrieb, konnte der historische, große Montmorency, der erst 1595 zur Welt kam, gar nicht geahnt, geschweige denn beschrieben werden. Aber dessen Schicksal wird hier in knappster Form ganz exakt dargestellt: das »neue Verließ« ist das Gefängnis im neuerbauten Stadthaus zu Toulouse; an einem anderen Platz wurde Montmorency 1632 hingerichtet; und der Name des Soldaten, der die Exekution ausführte, war Clerepeyne!
Diesem verblüffenden Beispiele wären viele andere beizuzählen. Ich greife es nur heraus, weil es sich auch in dem von mir erworbenen und entzifferten Exemplare befand. Aber ich entdeckte auch andere, bisher völlig unbekannte Quatrains, und unter ihnen einige, bei deren Lesung ich wie vom Donner gerührt wurde. Denn sie enthielten Ansagen, die bis in die allerletzte Neuzeit vorstießen und obendrein – — – mich persönlich betrafen!
Mich und die geheimnisvollen Gebiete, deren magischen Bann ich schon verspürt hatte, bevor noch des Magiers Wort mich erreichte!
Da standen sie vor mir in leidlich lesbaren Sätzen, die der Dechiffrierschlüssel aus dem chaotischen Wust der Buchstaben herausholte.
Ich setze sie hierher, so wie ich sie fand, als gereimte Vierzeiler, losgelöst von allen Rätseln der Umgebung und von mir auf besonderem Blatt ausgeschrieben. So gesehen tauchten sie bereits aus dem tiefen Dunkel der Urschrift in den Dämmer der Verständlichkeit; sie lauteten:
Quand républic germaine après détresse
Se dresse en vingtetun, dit le prophète,
Grande découverte des Isles de la promesse
Jadis cachées en plaine de notre planète
Par écrivain du nom de Macédoine
Et par secours de paire américaine
On trouvera les terres transocéanes
Dévoilant sublime phénomène.
Donath stierte abwechselnd auf das Blatt, auf›s Buch und auf mich, mit Blicken, in denen noch Reste von Mißtrauen schwammen. Er hatte im Wesentlichen verstanden, getraute sich indes noch nicht, es zu bekennen. Um sich von der ersten Überraschung zu erholen und Zeit für Einwände zu gewinnen, sagte er:
»Man müßte zunächst versuchen, eine brauchbare Übersetzung herzustellen. Ich selbst halte mich ja in Sprachangelegenheiten für ziemlich gewandt, ich meine aber doch, daß hier meine Dolmetscherfähigkeit nicht ganz ausreicht. Dem Sinne käme man vermutlich näher, wenn man, ohne am Wort zu kleben, auch die Form des Originals in die Übertragung hinübernähme.«
»Das ist bereits geschehen,« entgegnete ich. »Höre zu, wie ich die Zeilen im Rhythmus und Tonfall der Vorlage verdeutsche:
Einst werden sich, so wird hier prophezeit,
Die Inseln der Verheißungen entdecken,
Wenn sich im deutschen Land nach trüber Zeit
Um einundzwanzig neue Kräfte recken.
Schriftsteller ist er, mazedonisch klingt
Der Name dessen, dem das Los zu eigen,
Mit einem Paare, das ihm Hilfe bringt
Vom reichen West, dies Phänomen zu zeigen.
Über die Hauptsache, räume das nur ein, besteht jedenfalls gar kein Zweifel. Wir haben hier die seit Urzeiten verborgenen Inseln der