Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski
die Mittagsstunde fest, während daheim die Turmuhren mit 12 Schlägen Mitternacht verkünden. —
Einmal, als wir gerade in die See hinausblickten, wurden wir durch eine Detonation aufgeschreckt. Wir waren nämlich in die Nähe einer treibenden Mine und diese wiederum in die Drehkreise schwimmender Tümmler geraten. Die Sprengmine, als ein verjährtes, auf unerforschlichen Wegen hierher verschlagenes Überbleibsel vom Weltkriege gab uns zunächst die Gewißheit, daß wir uns hier, wenn auch weitab von Siedelungen, so doch immer noch im Gehege »moderner Kultur« befanden. Zudem hatten wir Ursache, der Delphinhorde dankbar zu sein, die in angemessener Entfernung jene Explosion auffing; hätte sie sich am Kiel der »Atalanta« entladen, so wären die Nostradamischen Verheißungsinseln unentdeckt geblieben, und von vorliegendem Buche würde, gleich bedauerlich für mich wie für meine Leser, nicht eine Zeile existieren.
An einem der nächsten Tage überkam mich ein seltsames Verlangen. Ich ließ durch den Funk-Apparat in den unbegrenzten Äther Morsezeichen auf Englisch hinaustelegraphieren: »Die Teilnehmer der Atalanta-Expedition, 15 Grad nördlicher Breite, 145 Grad westlicher Länge, grüßen die unentdeckten Inseln auf der Tuscarora-Fläche.« Es erfolgte naturgemäß keine Antwort, und die Mehrheit der Gefährten belächelte mich, als sich trotzdem eine steigende Unruhe meiner bemächtigte. Kein Zweifel, ich war nervös überreizt, wie unter einem Tropenfieberanfall. Unser Doktor Wehner stellte stark erregten Puls fest, gab mir Chinin und wollte mir Lagerruhe verordnen. Aber mich trieb die Exaltation unablässig umher, und ich kam von dem abenteuerlichen Gedanken nicht los, auf jene drahtlose Sendung würde irgendetwas erfolgen. Fräulein Eva versuchte, mich konversationell zu beruhigen und womöglich von der absurden Idee abzulenken. Ich aber blieb hartnäckig bei dem Thema der drahtlosen Telegraphie, und verlor mich – wie sie später erzählte – in unzusammenhängende Erörterungen über die Großfunkenstation Nauen, über Schwingungen im Vakuum und über die Wellen-Berge, die im Äther erregt würden. Schließlich brach ich unter der Emotion zusammen, das klare Bewußtsein setzte aus, es rauschten mir abgerissene Stichworte durch den Schädel: Anruf – Schwingungen – Wellen – Eva – Nauen – Berg – Tuscarora – — – Man bettete mich aufs Lager, und der Doktor behandelte mich mit Eiskompressen. Nach etwa einer Stunde ging der Anfall vorüber, ich erhob mich, ging umher, trat an die Reeling und freute mich der Sonnenstrahlen, die mit schrägen, glitzernden Pfählen in die Flut tauchten. Da gab es auf dem Schiff eine neue Aufregung.
Der Offizier Geo Rottek rief mich an das Kabinenhäuschen, in dem plötzlich der Funkenempfänger zu spielen begann. Wir wurden, unbekannt woher, angerufen und zu unserem maßlosen Erstaunen funkte uns eine Nachricht entgegen:
»Gegengruß von den unentdeckten Inseln. Wählet für Erforschung Ausgangspunkt 15942.«
Was hatte das zu bedeuten? Der Amerikaner war als erster mit der Erklärung zur Hand, irgend ein unbekannter Empfänger meiner Depesche, auf See oder auf Land, hätte sich mit dieser drahtlosen Antwort einen freundlichen Spaß geleistet. Aber die Mehrheit widersprach dieser Annahme unbedingt und bekannte sich zu meiner Überzeugung, daß wir es hier mit einer durchaus ernst zu nehmenden Kundgebung zu tun hätten. Und nun fegte ein Sturm von Interpretationen über Deck, deren Grundmotiv dahinging: die gesuchten Inseln existieren nicht nur in Wirklichkeit, sondern sie verfügen sogar über äußerste technische Errungenschaften. Sie verstehen die Kunst, sich mit der Außenwelt zu verständigen. Und wenn ihre Bewohner dies bis jetzt unterließen, wenn sie heut zum ersten Mal den Schleier ihres Daseins lüften, so müssen sie hierfür ihre ganz besonderen, einstweilen unerforschlichen Gründe besitzen.
Es galt daher als nahezu erwiesen, daß wir uns bei späterer Annäherung keinem feindseligen Empfang aussetzen würden. Ein Rest von Verdacht blieb freilich bestehen. Dieses Telegramm konnte eine Falle sein; ein Manöver, um unser kostbares Schiff an ferne Gestade zu locken und dann eventuell zu plündern. Hohe Zivilisation und Raublust sind ja nicht kontradiktorisch entgegengesetzt, sondern wie die Geschichte lehrt, eng verschwistert. Es gibt sogar eine Theorie, nach welcher die Raublust proportional mit dem Quadrat der Zivilisation ansteigt. Aber das beschäftigte uns im Moment nicht sonderlich. Wir blieben vielmehr an dem Schluß der Kundgebung haften und fragten uns, wie wir uns die telegraphische Zahl 15942 zu interpretieren hätten. Hier lag offenbar der Drehpunkt der ganzen Angelegenheit, der wichtigste Hinweis, den wir erst verstehen mußten, um zu einer Orientierung über das Zukünftige zu gelangen.
Waren die Inseln etwa numeriert? Und gar in die Tausende? das schien doch gar zu unwahrscheinlich. Oder sollten die Zahlen wiederum eine Chiffre abgeben für einzusetzende Buchstaben? Alles dahingehende Probieren ging fehl. Aber inzwischen hatte unser Kapitän Ralph Kreyher eine gangbare Spur gefunden. Er teilte nämlich mit nautischer Findigkeit die Zahl durch eine einleuchtende Zäsur in 159 und 42 und erklärte: Wenn der telegraphische Hinweis überhaupt einen Sinn haben soll, so kann er nur bedeuten: Steuert auf den Schnittpunkt des 159. Meridians mit dem 42. Breitengrad! Wir können natürlich nicht erraten, was wir dort finden werden; aber es steht doch zu vermuten, daß dieser Punkt die größte Wichtigkeit für unsere Expedition beansprucht.
Auf den Seekarten war dieser Punkt nicht durch die geringste Eintragung hervorgehoben. Ein namenloser Punkt in der blauen Wasserwüste. Unser Konzilium ergab den Beschluß: dorthin wird unter allen Umständen gesteuert! Ganz direkt, auf der kürzesten Linie, ohne Berührung der Hawaischen Inseln? Nein, das wäre doch zu grausam gegen den Genius aller Touristik gewesen. Zum erstenmal im Leben befanden wir uns in der Nähe eines von großen Weltfahrern in allen Tönen der Begeisterung gefeierten Paradieses, und wir durften nicht die Sünde auf uns laden, an diesem Paradiese einfach vorbeizuhuschen. Wir beschlossen also: eine kurze Zeitspanne Verzögerung, um Hawai und Oahu wenigstens flüchtig zu sehen und aus den berauschenden Lebenswellen dieser Gestade einige Schaumperlen zu schlürfen. In den Augen des Kapitäns entzündete sich ein wahres Feuerwerk der Vorfreude. Und ich illuminierte es noch weiter, indem ich aus Georg Wegeners »Zaubermantel« vorlas, dem Werke, in dem die Beschreibungen des hawaischen Zaubers wie Perlen im Mantel eingestickt sind. Auch hier war Verheißung und dazu baldige sichere Erfüllung. Hochgeschwungene Vulkanketten in üppiger Tropennatur, Farbenkomplexe, an die keines Malers Traumphantasie heranreicht. Silbern schimmernde Bäche, die überall vom Plateaurande herniederhängen, in so dichter Fülle von solcher Vielgestaltigkeit und mehrfach von solcher Höhe, daß sie die der norwegischen Fjorde in Schatten stellen. Dazu, bei Nacht, das Spiel elektrischer Scheinwerfer, die das Grün der Büsche bis zum Smaragdglanz steigern; und eingeborene Menschenkinder, die sich blütenhaft mit der Landschaft in Einklang setzen. Sie tragen bei jeder festlichen Gelegenheit – jeder Tag wird ihnen zum Feste – bunte Blumenkränze auf den Hüten, Blütenkrausen um den Hals, lange, vielfarbige, blühende Gehänge an Brust und Rücken, ohne Unterlaß lachend, plaudernd, scherzend.
Dem Kapitän fehlte es wohl nicht an Organen zur Erfassung der göttlichen Landschaft, allein er war doch noch empfänglicher für die kulturellen Reize, die er in der Hauptstadt der Gruppe zu finden hoffte und allem Anschein nach auch wirklich fand. Honolulu ist ja nicht nur mit Vegetationswundern gesegnet, sondern mit Einrichtungen moderner Kulturzentren; seine Ziergärten sind durch elektrische Bahnen verbunden, die an einem Museum, einer Bank, an Fabriken und Zeitungsdruckereien vorbeifahren. Es gibt Theater, Varietés, Klubräume, Bars, welche die Tropennacht noch um einige Grade interessanter machen, als es die Leuchtkäfer vermögen, die da draußen zwischen den Stauden schwirren. Ralph Kreyher und Donath Flohr hatten sich zur Begutachtung dieser Erholungsstätten verbunden, und ihr seltsam bleiches, übernächtiges Aussehen bezeugte deutlich den Erfolg ihrer nächtlichen Studien. Bald aber trat der Zweck der Expedition wieder in ihre Rechte, und die »Atalanta« nahm ihre Fahrt auf, um die verdämmernden Berglinien der Sandwichgelände hinter sich zu lassen und dem ozeanischen Punkte 159—42 entgegenzueilen.
Als wir in dessen Nähe gelangten, stellte der Ausguck fest, daß dort allerdings etwas vorhanden war. Ein verlorenes, flaches Inselchen, nach Bodenfläche wohl nicht größer als Helgoland, das hinter langgestreckten Korallenriffen schlummerte. Die mit Seegewächsen durchflochtenen Riffe zeigten nur geringe Lücken, unser Schiff hielt sonach weit draußen, und wir versuchten, auf einem herabgelassenen kleinen Hilfsboot den Durchgang zu erzielen. Das Ergebnis der ersten Orientierung war trostlos. Nach dem im Sonnenbrande glühenden Schiefergestein des Südufers zu urteilen hatten wir eine Ödfläche betreten,