Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
immer tunlich, die amerikanischen »Reports« zu Hilfe genommen; dieselben enthalten einesteils die neuesten und sichersten Nachrichten über jene Regionen. Dann aber auch geschah es in gerechter Bewunderung der riesenhaften Arbeiten, welche die Regierung der Vereinigten Staaten anordnet, leitet und ausführt, sowie in dankbarer Erinnerung an die fremden Mitarbeitern so liberal gewährten Erleichterungen und Vorteile.
Bei der Wahl von Illustrationen, welche einer bedeutenden Anzahl größerer Zeichnungen entnommen werden mußten, habe ich vorzugsweise Szenerien berücksichtigt, die mehr den Charakter des betreffenden Landstrichs als das Malerische einzelner Punkte vor Augen führen; und ich kann mich nur mit größter Anerkennung darüber aussprechen, wie der talentvolle, namentlich als Tierzeichner hervorragende Herr Leutemann in Leipzig meine Ideen aufgefaßt und so getreu in verjüngtem Maßstab wiedergegeben hat.
Potsdam, im Mai 1860
Balduin Möllhausen
Erstes Kapitel
Der große Colorado des Westens; Charakter des Flusses, seines Tals und der von ihm durchschnittenen Länderstrecken
Unter den zahlreichen Expeditionen, welche die Regierung der Vereinigten Staaten in den letzten Jahren ausrüstete, um die unermeßlichen Länderstrecken zwischen dem Missouri und den Küsten der Südsee erforschen zu lassen, verdient gewiß besondere Erwähnung die im Spätsommer 1857 ausgesandte, der die Aufgabe gestellt wurde, ein genaueres Bild und bestimmtere Nachrichten über den Rio Colorado, der in den Meerbusen von Kalifornien mündet, zu verschaffen.
Schon zur Zeit der ersten Kolonisierung der westlichen Küstenländer Amerikas durch die Spanier widmeten die frommen und energischen Missionare ihre Aufmerksamkeit dem Fluß, der unbekannten Regionen entströmte und der lange für ein Kalifornien vom Festland trennender Meeresarm gehalten wurde; eine Meinung, die Pater Kino erst im Jahre 1700 vollkommen widerlegte.
Den Beschreibungen jener Zeit, die zuweilen ans Märchenhafte grenzten, begann man mehr Glauben beizumessen, als spätere Forscher, die den Gila und den unteren Colorado bereisten, diese teilweise bestätigten und die von den Pelzjägern über den oberen Fluß eingezogenen, freilich unverbürgten Nachrichten sich als übereinstimmend mit denen der Missionare auswiesen. Die Trapper, die von dort zurückkehrten, sprachen nämlich von meilentiefen, unzugänglichen Schluchten, was unzweifelhaft die Stellen gewesen sein müssen, die von den Spaniern mit dem Namen »Cajones profundisimos« belegt wurden und von denen es unter anderem heißt, daß dort der Spiegel des Flusses so tief läge, daß man von den Ufern abwärts schauend das Wasser nicht zu unterscheiden vermöge. Man kannte freilich die geographische Lage der Mündung des Colorado sowie auch einiger Punkte, wo Expeditionen denselben überschritten hatten; ebenso waren die Quellen des Grand-River und des Green River, welche unter dem 38. Grad nördlicher Breite sich vereinigend den Colorado bilden, teilweise astronomisch bestimmt worden; man wußte auch, daß der Colorado das Hochland zwischen dem Wasatch-Gebirge und den Rocky Mountains durchschneidet und die Wasser dieses ungeheuren Landstrichs aufnimmt; doch war man gänzlich im unklaren über den Fluß selbst von der Vereinigung der beiden Hauptarme bis hinunter zum 35. Grad n. Br., der Stelle, wo Captain Whipple im Jahre 1854 denselben überschritt.
Im Vergleich nun mit den Anstrengungen, die es die in den folgenden Blättern beschriebene Expedition kostete, und im Vergleich mit den Entbehrungen und Gefahren, welchen sie viele Monate hindurch unterworfen war, sind die gewonnenen Resultate nur sehr gering zu nennen; doch liegt wenigstens die sichere Bestätigung der obenerwähnten Nachrichten vor, indem man weiß, daß vom Zusammenfluß von Grand River und Green River bis hinunter zur Mündung des Rio Virgin (36° n. Br.) der Colorado eine unzugängliche Felsenwüste durchströmt. Möglich ist es, daß auf der Westseite des Flusses erfolgreichere Forschungen hätten angestellt werden können, doch die offenen Feindseligkeiten der Mormonen und der ihnen verbündeten Indianer verhinderten unsere Expedition, nachdem das Ende der Schiffbarkeit mittels eines kleinen Dampfbootes erreicht war, anders als auf die Gefahr eines gänzlichen Untergangs hin das linke Ufer zu verlassen; während es doch gerade Mormonen gewesen waren, die bis kurz vor Ausbruch des schnell beendigten Krieges am meisten auf Erforschung des Colorado, als einer Emigrantenstraße nach dem großen Salzsee oder zurück nach dem Staat Sonora, bestanden hatten. Die Schiffbarkeit des Colorado reicht also, selbst bei dem günstigsten Wasserstand, nicht über die Mündung des Rio Virgin hinaus — eine Strecke, die von der Spitze des Golfs von Kalifornien bis zu diesem Punkt wenig über 500 engl. Meilen beträgt. Die zur dortigen Schiffahrt bestimmten Dampfboote müssen überdies von einer ganz besonderen Konstruktion sein, um überhaupt verwendet werden zu können, indem bei niedrigem Wasserstand zahlreiche Sandbänke das Fahrwasser bis auf wenige Zoll verstopfen, in nassen Jahreszeiten dagegen so unglaublich große Wassermassen durch die Felsentore schäumen, daß es unmöglich erscheinen muß, selbst mittels Dampfkraft ein Fahrzeug stromaufwärts zu schaffen.
Wenn auch auf der ganzen als schiffbar bezeichneten Strecke der eigentliche Charakter des Flusses und seines Gebietes keine wesentlichen Veränderungen erleidet, so bietet sich dem Reisenden doch eine fortwährende Abwechslung der Szenerie. Bald sind es dürre Wüsten und Kiesebenen, die bis an die Ufer reichen, bald schmale, wenig fruchtbare Täler, die sich zu beiden Seiten hinziehen. Über diese hinweg erblickt man phantastisch ausgezackte Gebirgszüge, die sich vielfach dem Fluß nähern, denselben in enge Schluchten einzwängen und ihn an ihren abschüssigen Porphyr- oder Sandsteinwänden abprallen lassen, während in den schäumenden Wellen sich die wunderlichsten Formen von Schlössern und Obelisken spiegeln, welche die Natur aus festem sowie aus nachgiebigem Gestein auf den Höhen ausmeißelte. Überall vermißt man indessen die Baumvegetation. Hin und wieder ragen zwar einzelne Cottonwood-Bäume, an ihren malerischen Formen weithin erkennbar, über die schmalen Streifen der Weidengebüsche empor; dornenreiche Mesquitebäume drängen sich zu grün schimmernden, aber undurchdringlichen Gruppen zusammen, wie auch auf nahrungslosem Kies und in dürren Felsritzen riesenhafte Kakteen ihre Wurzeln schlagen, doch fehlt dem Stromgebiet des Colorado das, was den Menschen anlockt und liebreich zum Niederlassen einlädt; es fehlt ihm die Schönheit einer lebenden Natur, die sich in üppiger Vegetation kundgibt und die durch groteske Formationen der mächtigen, aber starren Gebirgsmassen nicht ersetzt werden kann.
Die Täler, von denen selbst die größten nur geringen Umfang haben, bieten, abgesehen vom Holzmangel, weder den Flächenraum noch die Fruchtbarkeit des Bodens, welche die weiße Rasse bei der Gründung von Kolonien verlangt. Zahlreiche Stämme der Eingeborenen, die durch den Verkehr mit den Europäern noch nicht verdorben oder geschwächt sind, entnehmen allerdings dort ihren Unterhalt der Zeugungskraft des Bodens, doch reichen bekanntlich die Wünsche eines ganzen Indianerstammes lange nicht so weit als die Habgier eines einzigen der Kolonisation voraneilenden Landspekulanten. Es könnte daher von dieser Seite wenigstens die nächste Zukunft den Eingeborenen am Colorado vor den Eingriffen der sogenannten Zivilisation gesichert bleiben und die gewagte Behauptung des Majors der Vereinigten Staaten Emory, daß »die Zivilisation entweder umkehren oder die wilden Indianer ausgerottet werden müßten«,Report of William H. Emory, Major 1. cavalry, on the United States and Mexican Boundary survey, vol. I., pag. 64. After studying the character and habits of that class of Indians, called wild Indians, and bearing in mind the mild and humane government extended over them by the missionaries of the church of Rome, without producing any results, I have come to the deliberate conclusion, that civilisation must consent to halt when in view of the Indian camp, or the wild Indians must be exterminated. fürs erste vielleicht noch nicht an den dortigen Stämmen versucht werden. Der Rio Virgin, der, im Norden entspringend, da in den Colorado mündet, wo die Schiffbarkeit dieses Stroms beginnt, hat seine Quellen in den Wasatch-Gebirgen in der Nähe eines Passes, durch den eine alte spanische Straße in das Große Becken (Great Basin oder Utah territory) führt; es würde sich also eine vergleichsweise bequeme Verbindung zwischen dem Utah-Territorium und dem Staat Sonora herstellen lassen, indem Karawanen, die das Mormonengebiet verlassen und der Richtung des Rio Virgin folgen, den Colorado da erreichen könnten, von wo aus ihnen auf diesem Fluß selbst ein gefahrloser Weg gegen Süden offenstehen würde. Weit entfernt davon, meine Ansicht der meiner Reisegefährten voranstellen zu wollen, wage ich zu behaupten, daß diese Benutzung als Heerstraße der einzige Vorteil ist, der dem Colorado und seiner Lage abgewonnen werden kann.
Wenn man nun eine kurze