Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen

Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas - Balduin  Mollhausen


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Fluß auf der Ostseite verläßt, so gelangt man tüchtig aufsteigend bald bis zu einer Höhe von 5000 FußAlle in diesem Werk vorkommenden Höhenangaben sind nach barometrischen Messungen bestimmt worden. über den Meeresspiegel. In dieser Höhe gelingt es noch zuweilen, Schluchten zu entdecken, die, dem Reisenden zugänglich, hinab an den Strom führen. Es ist dann immer ein langer und äußerst beschwerlicher Weg, doch findet man dort Gelegenheit, mächtige Felswände zu bewundern, welche sich bis zu 3000 Fuß hoch senkrecht über dem etwa 1000 Fuß hoch gelegenen Spiegel des Colorado erheben, der wild tobend über losgerissene Felsblöcke dahinstürzt. Zurück auf das Hochland führt anfangs die Hauptschlucht und später jede der wie ein Geäder einmündenden Nebenschluchten, die nicht durch herabgerolltes Gestein verstopft ist.

      Bei fortgesetzter Reise gegen Nordosten gelangt man endlich in den Winkel, der vom Colorado und dem aus Südosten kommenden Colorado Chiquito gebildet wird, und zugleich auf eine Höhe von 9000 Fuß über dem Meeresspiegel und etwa 7500 Fuß über dem Spiegel des Colorado. Dort nun beginnt das Hochland, das sich wie eine weite, ununterbrochene Fläche nach allen Richtungen hin ausdehnt und dessen Horizont selten von nebligen Bergkuppen, häufiger aber von spaltenähnlichen Einschnitten in der Ebene selbst unterbrochen wird. — Eine unbeschreiblich beängstigende Einsamkeit herrscht dort oben; verkrüppelte Zedern wechseln durch die Luftspiegelung scheinbar in der Ferne ihre Gestalt oder ragen, abgestorben und ihres dunkelgrünen Schmuckes beraubt, ähnlich verwitterten, riesenhaften Geweihen vorweltlicher Hirsche, empor; sengende Hitze erwärmt die felsige Fläche, dörrt die im einsamen Winkel keimenden Halme und reift die stacheligen Früchte saftreicher Kakteen. Eisiger Sturm, von heftigem Donner begleitet, wirbelt zu anderen Zeiten dichte Schneemassen über die Hochebene, Untergang drohend den dorthin verirrten Menschen und Tieren.

      Wenn man nun in der Absicht, den Großen oder den Kleinen Colorado wiederzufinden, seine Schritte gegen Norden lenkt, dahin, wo Spalten im Boden mächtige Türme und Mauern bilden, zugleich aber auch den Lauf großer Gewässer verraten, so gelangt man bald in ein Labyrinth von Schluchten, die durch ihre Tiefe um so mehr überraschen, als sie aus der Ferne kaum an einer geringen Senkung des Bodens zu erkennen sind. Einer solchen Schlucht nachzufolgen, gelingt nur teilweise, indem Abgründe von 50 bis 500 Fuß Tiefe den Weg in der Schlucht selbst bald abschneiden; und auf einer vorstehenden horizontalen Felsenlage wie auf dem äußersten Rand eines Dachs an grauenvollen Abgründen hinreitend, gelangt man auch nur dahin, wo selbst der sichere Huf des Maultiers keinen Halt mehr findet und der Weg zurück eingeschlagen werden muß; ein Weg, der über der furchtbaren Tiefe frei in der Luft zu schweben scheint; wo man sich gern die Augen beschattet, um die Felsmassen nicht zu erblicken, die sich scheinbar träge aneinander vorbeischieben; wo die unter den Füßen sich lösenden Steine nicht rollen, sondern unhörbar weite Räume durchfliegen, tief unten auf felsigem Boden zerspringen und der auf diese Weise erzeugte, durch die Entfernung aber gedämpfte Schall unheimlich in den Spalten und Klüften verhallt. Was mit Hilfe von Tieren nicht gelingt, das versucht der Mensch noch mit eigenen Kräften. Lange Stricke auf dem gefährlichen Pfad benutzend, gelangte unsere Expedition allerdings weiter, doch auch nur so weit, um die Unmöglichkeit einzusehen, den Höhenunterschied zwischen der Hochebene und dem Spiegel des Colorado, der über 7000 Fuß beträgt, ganz zu überwinden. Es blieb also nur noch übrig, zu versuchen, gerade dort die Höhe zu gewinnen, um einen Blick in diese abgeschlossene Welt zu werfen. Was man nun von dort oben erblickt, ist unbeschreiblich und überraschend. Wie ein Chaos verschwimmen ineinander tiefe Schluchten; Tausende von Fuß hoch liegen übereinander die Formationen verschiedener Epochen, deutlich erkennbar an den grellen Farbkontrasten; senkrecht stehen die Wände, als ob die geringste Erschütterung sie hinabzustürzen vermöchte; schwindelnd bebt man bei dem erhabenen Anblick und gewinnt eine schwache Ahnung von der Unendlichkeit bei dem Gedanken, daß der fallende Tropfen die Schlünde bildete, die dem Beobachter von allen Seiten entgegenstarren.

      Gegen 3000 Fuß tief waren die äußersten Schluchten, bis zu welchen unsere Expedition gelangte; trockener roter Sandstein bildete dort den Boden. Wenige Meilen weiter, noch 4000 Fuß tiefer, floß der Colorado, doch mehr als menschliche Kräfte wären nötig gewesen, dahin zu gelangen, von wo ein Blick hinab auf den Fluß hätte gewonnen werden können. Wir sahen den Colorado nicht wieder.

      So steht dort der Mensch nahe vor seinem Ziel, das ihm dennoch unerreichbar ist; gegenüber einer furchtbar erhabenen Natur fühlt er seine Ohnmacht; er beneidet die Weihe, die furchtlos über den Abgründen schwebt, er folgt ihr im Geist und schafft sich mit ahnungsvollem Grauen ein Bild von dem Felsental des Colorado des Westens, das vielleicht noch für kommende Jahrhunderte dem Menschen ein Geheimnis bleiben wird.

      Mehrfach versuchten wir weiter östlich und nördlich den Fluß, dessen Uferbänke wir vom Fuß der San-Franzisko-Berge aus zu unterscheiden vermochten, noch einmal wieder zu erblicken, doch undurchdringlich fanden wir überall die Felsenwüste. Selbst die freundlichen Moqui-Indianer schienen durch besonderen Widerwillen abgehalten zu werden, einen Pfad hinunter nach dem Colorado zu suchen oder zu zeigen.

      Der gänzliche Mangel an Lebensmitteln sowie die täglich lichter werdenden Reihen unserer ermatteten und halbverhungerten Maultiere zwangen uns endlich, von allen ferneren Versuchen abzusehen. Wir schieden mit Bedauern von diesem interessanten Feld und sahen also nichts von den Naturszenen, die ein Fluß aufweisen muß, der auf einer Strecke von etwa 300 engl. Meilen nahe an 3000 Fuß zu fallen hat.

      Dies nun ist eine kurze Beschreibung des Rio Colorado und seines Gebietes, zu dessen Erforschung unsere Expedition ausgezogen war. Ich stelle dieselbe voran, um allen denjenigen, die mich im Geist Tag für Tag auf meiner langwierigen und mühevollen Reise durch die Urwildnisse des Fernen Westens begleiten wollen, eine jedesmalige Orientierung zu erleichtern.

      Zweites Kapitel

      Reise nach New York — Untergang des Dampfbootes »Central-Amerika« — Abreise von New York — Havanna — Panama — Das Dampfboot »Panama« — Ankunft in San Franzisko — Aufenthalt daselbst — Aufbruch der Expedition

      Bei der großen Zunahme des Verkehrs zwischen den beiden Kontinenten, bei der auf überraschende Weise wachsenden Zahl der den Atlantischen Ozean von Osten nach Westen und zurück durchfurchenden Dampfboote, bei der sich noch immer steigernden Schnelligkeit und Bequemlichkeit, mit der Touristen wie Emigranten von einer Hemisphäre nach der anderen versetzt werden, ist es dem Reisenden möglich, besonders in günstigen Jahreszeiten, ohne erheblichen Zeitverlust an einem bestimmten Tag von Europa aus in New York und anderen Hafenstädten Nordamerikas zu landen. Um also gegen den 2. September New York zu erreichen, verließ ich Berlin am 12. August, und da die Hamburger Seedampfer von der englischen Regierung zu Truppenbeförderungen nach Ostindien gemietet waren, so änderte ich meinen ursprünglichen Reiseplan und schiffte mich infolgedessen am 18. August in Liverpool auf dem Postdampfschiff »Asia« ein.

      Obgleich meine Abreise von New York nach San Franzisko auf den 21. September festgesetzt war, so blieb es doch für mich von Wichtigkeit, noch vor dem 5. September in New York anwesend zu sein, indem an diesem Tage Lieutenant Ives, mein neuer Kommandeur, sich nach Kalifornien einzuschiffen beabsichtigte, während die letzten Mitglieder unserer Expedition, unter diesen ich selbst, vierzehn Tage später mit den meteorologischen und astronomischen Instrumenten nachfolgen sollten. — Dies war ungefähr alles die Expedition Betreffende, was mir außer der von derselben einzuschlagenden geographischen Richtung bekannt war, als ich am 1. September in New York landete. Näheres teilte mir Lieutenant Ives gleich bei unserer ersten Zusammenkunft mit.

      Ein kleines eisernes Flußdampfboot, eigens zur Beschiffung des Colorado in Philadelphia gebaut, war auseinandergenommen und stückweise schon früher nach Kalifornien befördert worden. Lt. Ives eilte daher voraus, um in San Franzisko die zur Ausrüstung unserer Expedition nötigen Einkäufe zu veranlassen, diese zugleich mit unserem Dampfboot auf einem Gouvernementsschoner verladen zu lassen und demnächst selbst mit einigen Assistenten in dem kleinen Fahrzeug um das Cap Lucas herum den Golf von Kalifornien hinauf an die Mündung des Colorado zu segeln, um dann von dort aus die Forschungen und Vermessungen zu beginnen. Auf welchen verschiedenen Wegen unsere geteilte Gesellschaft am Colorado zusammentreffen sollte, konnte erst in Kalifornien näher bestimmt werden, indem es ungewiß war, von welchem Militärposten dieses Staates wir eine für unsere Zwecke hinreichende Anzahl von Maultieren würden beziehen


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