Die Nilbraut. Georg Ebers

Die Nilbraut - Georg  Ebers


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diese Rose hatte Orion als Knospe gebrochen und schmählich zertreten! Sie hatte wohl das Gleiche für ihn empfunden wie sie. Und jetzt? Ob sie nichts mehr für ihn fühlte als Haß, oder ob ihr Herz, wie das ihre, bei allem Groll, bei aller Verachtung sich doch nicht ganz frei machen konnte von dem Zauber, mit dem er es einmal umstrickt?

      Aber was waren das für schwächliche Gefühle? Seine Feindin wollte und mußte sie sein!

      Und nun schaute sie nachdenklich auf das müßige und haltlose Leben zurück, das sie nun schon seit Jahren führte. Die Rede des Arztes hatte das Rechte getroffen, ja sie war eher zu milde als zu streng gewesen. Ja, sie wollte ihre Kraft nützlich zu verwenden beginnen; aber wie, in welcher Weise, hier und unter diesen Menschen? Wie verklärt der arme Philippus drein geschaut hatte, da sie ihm die Hand geboten, wie gewaltig seine Rede dahingerauscht war!

      »Wie falsch,« dachte sie, »ist doch das Wort, der Leib sei der Spiegel der Seele. Träfe es zu, so müßte Philippus wohl aussehen wie Orion, Orion wie Philippus.« Aber konnte denn des ersteren Herz ganz verderbt sein? Es war ja nicht möglich, und alles, was in ihr war, sträubte sich, es zu glauben. Ihn mußte sie lieben oder hassen, es blieb kein Mittelweg übrig, aber noch rangen und stritten beide Empfindungen in unerträglicher Weise miteinander.

      Der Arzt wünschte ihr ein Bruder zu sein, und bei dem Gedanken daran mußte sie lächeln. Ruhig und zufrieden hätte sie vielleicht mit ihm, ihrer Betta und seinem alten, gelehrten Freunde und Hausgenossen, von dem er ihr oft erzählt hatte, zusammen hausen, seinen Studien folgen, ihm in seinem Berufe helfen und mit ihm viele wissenswerte Dinge besprechen können. Solch ein Leben, sagte sie sich, würde dem in der Nähe der Frau Neforis tausendmal vorzuziehen sein.

      Einen Freund hatte sie sicher in ihm gefunden, und daß sie ihn als solchen gern anerkennen mochte, darin lag doch schon die erste Erfüllung seiner Verheißung; denn es zeigte, daß ihr Herz noch immer bereit war, sich einem andern freundlich zu nähern.

      Zwischen all diese Erwägungen trat immerfort die Besorgnis um den bedrohten Hiram, und dabei fiel es ihr auf die Seele, daß wenn es zwischen ihr und Orion zum Aeußersten kam, es auch aus war mit ihrem Aufenthalt in der Statthalterei. Wie oft hatte sie nichts wärmer ersehnt, als sie verlassen zu dürfen, aber heute bangte ihr davor; denn die Trennung von dem Oheim bedeutete zugleich die von seinem Sohne. Sie haßte ihn, aber ihn ganz aus den Augen zu verlieren, das war dennoch schwer zu ertragen.

      Philipp zu folgen, um ihm wie eine Schwester nahe zu bleiben: es ging ja nicht an, und es kam ihr vor wie etwas Undenkbares, wunderlich Verkehrtes.

      Unter all diesen Erwägungen lauschte sie auf den Atem der Kranken und behandelte sie nach der Vorschrift des Arztes, dessen Wiederkehr sie ersehnte; doch statt seiner trat die Nonne an das Bett, legte der Kranken die Hand auf die Stirn, fühlte ihr den Puls und flüsterte ihr, ohne Paulas zu achten, freundlich zu: »Recht so, Kind, nur schlafen, immer hübsch schlafen! Wo sie die Ruhe nur her hat; wenn’s doch so bliebe! Der Kopf ist kühler geworden; das nennt Philippus gewiß kaum mehr Fieber! Gott sei gedankt! Die schlimmste Gefahr ist vorüber.«

      »O, wie das mich freut!« rief das Mädchen, und in diesen Worten lag so viel Aufrichtigkeit und Wärme, daß die Nonne ihr zunickte und ihr von nun ab die Kranke beruhigt und gern überließ.

      Lange hatte Paula sich nicht so glücklich gefühlt. Es kam ihr auch vor, als sei ihre Anwesenheit von guter Wirkung für die Kranke, als sei Mandane schon durch ihre kurze Pflege an die Schwelle eines neuen Lebens gelangt. Paula, die sich noch vor kurzem für ein vom Schicksal verfolgtes Wesen gehalten, atmete auf in dem Gedanken, daß sie auch Glück bringen könne. Heiter und mit wahrer Zärtlichkeit sah sie Mandane in das mehr als hübsche Gesicht, schob sie die Binde, welche sich etwas verschoben, sorgsam über ihre verstümmelten Ohren, hauchte sie einen leisen Kuß auf ihre langen, seidenen Wimpern.

      Der verständigen Nonne begann die Damascenerin mehr und mehr zu gefallen, und als die Stunde des Gebets für sie wiederkehrte, schloß sie Paula, die Waise im fremden Hause, die durch Gottes unerforschlichen Ratschluß außerhalb ihres selig machenden Glaubens geborene Griechin, mit darin ein.

      Endlich kehrte Philippus zurück, freute sich des heiteren Aussehens seiner neuen Freundin und bestätigte, daß Mandane unter ihrer Hand die erste, schwerste Gefahr bestanden und alle Anwartschaft habe, langsam, aber hoffentlich ganz zu genesen.

      Nachdem Paula den Umschlag erneuert hatte, wobei er ihr geflissentlich freie Hand ließ, sagte er heiter: »Wie schnell Du Deine Sache gelernt hast! Da schläft das Mädchen schon wieder; die Schwester wacht, und wir können unserer Patientin augenblicklich nicht dienen; denn Schlummer ist für sie die allerbeste Kost. Bei uns beiden, wenigstens bei mir, steht es anders. Auf die große Mahlzeit haben wir noch zwei Stunden zu warten, mein Frühstück steht da drüben noch unberührt, und mit dem Deinen ist es wohl ähnlich gegangen; so sei denn mein Gast. Sie schicken immer so viel, daß man sechs Schiffszieher damit sättigen könnte.«

      Dieser Vorschlag war Paula genehm; denn der Hunger hatte sich schon längst bei ihr gemeldet. Die Nonne ward beauftragt, schnell noch einige Teller zu holen, an Pokalen fehlte es ohnehin nicht, und so saßen die neuen Freunde denn bald speisend einander gegenüber, jeder an seinem Tischchen.

      Er zerschnitt die Ente und die gebratenen Wachteln, legte ihr den Salat und die dampfenden Artischocken vor, welche die Nonne auf Wunsch des Koches, dem der Arzt sein einziges Knäblein gerettet, mit heraufgebracht hatte, wies auf die kleinen Pastetchen, die Früchte und Kuchen, welche sonst noch da waren, spielte den Mundschenk, und während sie sich’s wacker schmecken ließen, verwickelten sie sich in ein lebhaftes Gespräch.

      Paula erkundigte sich heut zum erstenmal nach der Jugendzeit des Philippus, und er begann mit einer Darstellung seines jetzigen Lebens, das er mit dem alten wunderlichen Isisdiener und Forscher Horus Apollo teilte, schilderte seine angestrengte Thätigkeit bei Tage und sein stilles Studium bei Nacht, und wußte das alles so ergötzlich auszuschmücken, daß sie oft hell auflachen mußte. Aber bald wurde er wehmütig und teilte ihr mit, wie früh er Vater und Mutter verloren und ganz auf sich und ein winziges ererbtes Vermögen gestellt, ohne Verwandte — denn sein Vater war ein aus Athen nach Alexandria berufener Grammatiker gewesen — der Notwendigkeit gegenüber gestanden habe, sich den Weg durchs Leben zu bahnen, das sich ihm wie ein verwachsenes Papyrus- und Schilfrohrdickicht entgegengestellt habe. Jede Stunde seines Daseins sei ausgefüllt mit Arbeit gewesen, und einem garstigen, aufrichtigen Goliath wie ihm werde es niemals leicht, fördernde Gönner zu finden. Auf den hohen Schulen Alexandrias, Athens und Cäsareas habe er durch Unterrichterteilen und die Bereitung von Medikamenten aus selbstgesuchten Pflanzen, das Dasein mit Wasser statt Wein, mit Brot und Früchten statt mit Wachteln und Pastetchen gefristet und dennoch manchen guten Freund gefunden, aber eine Freundin zu gewinnen, das sei schwer mit einem Gesicht wie dem seinen.

      »So wäre ich also die erste?« fragte Paula, welche tiefe Achtung vor dem Manne empfand, der sich mit eigener Kraft zu der bevorzugten Stellung heraufgerungen hatte, die er längst nicht nur in Memphis, sondern unter allen ägyptischen Heilkünstlern einnahm.

      Er nickte bejahend und mit einem so glückseligen Lächeln, daß es ihr war, als fiele ihr ein Sonnenstrahl gerade in die Seele.

      Er bemerkte es sogleich, hob den Becher, trank ihr zu und rief mit glühenden Wangen: »Was anderen früh zu teil wird, hab’ ich später erworben, aber dafür ist es auch eine Freundin ohnegleichen geworden.«

      »Hoffentlich zeigt sie sich wenigstens nicht ganz so schlimm, wie Du sie vorhin geschildert. Wenn unserem Bündnis nur nicht bald ein jähes Ende bevorsteht!«

      »Oho!« rief der Arzt. »Jeder Blutstropfen in diesen Adern...«

      »Du würdest bereit sein, ihn für mich zu verspritzen,« unterbrach ihn Paula mit einer pathetischen Geste, die sie dem ersten Tragödienspieler aus dem Theater zu Damaskus abgesehen hatte; »aber sei unbesorgt: um Tod und Leben wird sich’s nicht handeln, höchstens vertreiben sie mich aus diesem Hause und Memphis.«

      »Dich?« fuhr Philippus erschrocken auf. »Wer dürfte das wagen?«

      »Diejenigen, denen ich so wunderbar fremd blieb; Du hast’s ja vorhin treffend geschildert. Und ist ihnen der Wille


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