Die Nilbraut. Georg Ebers
zu hören?«
»Ich müßte eigentlich schon längst jenseits der Stromes sein; heute also nicht, aber hoffentlich morgen.« Dabei reichte der Araber ihr und dem Arzt die Hand und entfernte sich schnell.
Paula blieb gedankenvoll stehen; dann kam ihr in den Sinn, daß sich der verfolgte Hiram am andern Ufer des Flusses im Bereich der arabischen Macht befinde und daß der Kaufherr vielleicht für ihn eintreten könne, wenn sie ihm alles, was sie wußte, mitteilen würde. Ein großes Vertrauen zu dem Alten, dessen gütiger, teilnehmender Blick ihr noch immer vor Augen schwebte, erfüllte sie, und ohne des Arztes weiter zu achten, eilte sie auf die Thür des ersten Krankenzimmers zu. Neben derselben hing ein Kruzifix, und die Nonne hatte sich davor auf die Kniee geworfen, um für den ungläubigen Kranken zu beten und den guten Hirten anzuflehen, sich auch des Schafes, welches nicht zu seiner Herde gehörte, zu erbarmen.
Paula wagte es nicht, die Betende zu unterbrechen, welche vor dem schmalen Ausgange kniete, und so vergingen mehrere Minuten, bis der Arzt ihre große Unruhe bemerkte, den Saal verließ, die Schulter der Nonne berührte und ihr leise und mit herzlich freundlicher Bitte zurief:
»Einen Augenblick, liebe Schwester! Dein frommes Gebet wird immer gehört, aber diese Jungfrau hat Eile.«
Die Nonne erhob sich sogleich, trat zurück und sah Paula mit einem unwilligen Blicke nach, als sie schnell hinaus und die Treppe hinunter eilte.
Vor der in den Hof führenden Pforte suchte ihr Auge den Araber, aber vergeblich. Dann fragte sie einen Sklaven und erfuhr, daß des Kaufherrn Roß lange vor der Pforte gewartet habe, daß er aber eben durch das Thor gesprengt und wohl schon auf der Schiffbrücke sei, welche Memphis mit der Insel Roda und diese mit dem Fort Babylon und dem neu entstehenden Fostat verband.
Elftes Kapitel.
Bekümmert und aufgebracht über sich selbst stieg Paula wieder die Treppe hinan. War es die Hitze des Tages, die sie erschlaffte und sie der Geistesgegenwart beraubte, die ihr zu Gebote stand. Sie begriff jetzt selbst nicht, warum sie die Gelegenheit, bei Haschim für den treuen Diener einzutreten, nicht sogleich wahrgenommen. Vielleicht hätte der Kaufherr sich Hirams annehmen können.
Der Sklave an der Pforte hatte ihr gesagt, daß man seiner noch nicht habhaft geworden sei; die Zeit, für ihn einzutreten, war also noch nicht gekommen; aber sie wollte es thun, wollte den Groll der Verwandten auf sich nehmen und, mußte es sein, alles verraten, was sie in der Nacht gesehen, um den treuen Menschen zu retten. Das war ihre Pflicht; doch bevor sie es that, bevor sie Orion so tief herabsetzte, wollte sie ihn warnen. Der Gedanke, ihn solcher ruchlosen That zeihen zu müssen, schmerzte sie wie die Notwendigkeit, sich selbst ein Leid anzuthun. Sie haßte ihn, aber sie hätte lieber das schönste Kunstwerk zerschlagen, als ihn gebrandmarkt, ihn, dessen Bild noch immer prächtig und herzgewinnend ihre Seele beherrschte.
Statt Maria beim Frühstück aufzusuchen oder sich wie sonst dem ermatteten Oheim beim Brettspiel als Partnerin anzubieten, begab sie sich wieder in das Krankenzimmer.
Frau Neforis oder Orion zu begegnen wäre ihr jetzt peinlich, ja widerwärtig gewesen. So müde und niedergedrückt hatte sie sich lange nicht gefühlt. Vielleicht bot ihr ein Gespräch mit dem Arzte einige Erfrischung. Nach den mannigfaltigen Erregungen der letzten Stunden verlangte sie nach etwas, was es auch sei, das sie aufzumuntern und sie auf neue Gedanken zu bringen verhieß.
In dem ersten Krankenzimmer fragte die Nonne sie kühl nach ihrem Begehr, und wer ihr gestattet, an der Pflege teilzunehmen. Da wandte sich der Arzt, welcher eben den Verband auf dem Kopf des Masdakiten neu angefeuchtet, der Klosterfrau zu und bedeutete sie bestimmt, daß er die Jungfrau zur Gehilfin zu haben wünsche, und zwar bei der Behandlung beider Kranken.
Darauf ging er Paula in den Saal voran und rief ihr mit gedämpfter Stimme zu:
»Fürs erste wäre alles in Ordnung. Setzen wir uns hier ein wenig!«
Da nahm sie auf dem Diwan, er auf einem Sessel, der ihr gegenüber stand, Platz, und Philippus hub an: »Du hast vorhin den schönen Orion gesucht, jetzt aber mußt Du...«
»Was?« fragte sie ernst. »Und daß Du es wissest: der Sohn dieses Hauses steht mir nicht näher als seine Mutter. Mit Deinem ›der schöne Orion‹ sollte etwas gesagt sein, was ich nicht wieder hören möchte. Ich muß ihn übrigens auch jetzt noch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«
»Was schafft mir dann die Freude, Dich hier wieder zu sehen? Ehrlich gestanden, hatt’ ich nicht auf Deine Rückkehr gehofft.«
»Und warum nicht?«
»Erlaß mir die Antwort. Die Menschen hören nicht gern unliebsame Dinge. Hält unsereins jemand für nicht völlig gesund...«
»Wenn das auf mich gehen soll,« versetzte das Mädchen, »kann ich Dir sagen: das Einzige, was mir an mir noch gefällt, ist gerade meine Gesundheit. Sprich Dich nur aus. Sag meinetwegen das Schlimmste. Ich brauch’ heut etwas, das mich aus der Erschlaffung herausreißt, selbst wenn es mich aufbringt.«
»Gut denn,« entgegnete Philipp, »doch ich begebe mich da in ein gefährliches Wasser. — Um die Gesundheit — was die Leute so nennen — kann jeder Fisch Dich beneiden, aber die höhere Gesundheit, die der Seele, mit der kannst Du, fürcht’ ich, nicht prahlen.«
»Das fängt bedenklich an,« erwiderte das Mädchen. »Aus Deinem Vorwurf scheint hervorzugehen, daß ich Dir oder irgend einem andern unrecht gethan habe.«
»Hättest Du’s doch!« rief der Arzt. »Nichts, gar nichts ist uns von Deiner Seite begegnet. Ich bin, der ich bin, denkst Du von Dir selbst, und was sind Dir die anderen?«
»Es fragt sich, was Du unter diesen ›anderen‹ verstehst.«
»Nicht weniger als alle, die Dich hier im Hause, in dieser Stadt, auf dieser Welt gegenwärtig umgeben. Sie sind Luft für Dich und weniger als das; denn die Luft ist ein Körper, dessen Kraft Segel füllt und Schiffe gegen den Strom treibt, dessen wechselnde Natur auf das Wohl oder Uebelbefinden des Körpers einwirkt...«
»Meine Welt ist hier drinnen,« versetzte Paula und legte die Hand auf das Herz.
»Ganz recht. Die ganze Kreatur hätte auch Platz da; denn was man gemeinhin ein Menschenherz nennt, wie viel kann es umfassen! Je mehr man ihm in sich zu schließen zumutet, desto williger nimmt es alles auf. Gefährlich ist’s, das Schloß daran rosten zu lassen; denn sobald das geschehen ist, und man will es öffnen, hilft kein Ziehen und Zerren. Und dann... aber ich will Dich nicht verletzen... Du hast Dich gewöhnt, immer nur rückwärts zu schauen...«
»Was liegt denn Erfreuliches vor mir? Dein Tadel ist hart, und dabei wenig gerecht. Woher weißt Du überhaupt, wohin ich schaue?«
»Weil ich Dir mit den Blicken des Freundes gefolgt bin. Wahrlich, Paula, Du hast verlernt, um Dich her und vorwärts zu sehen. Was hinter Dir liegt, was Dir verloren ging, das ist Deine Welt. Ich habe Dir einmal auf einer bröckeligen Papyrusrolle meines alten Pflegevaters Horus Apollo einen heidnischen Dämon gezeigt, der vorwärts schreitet, während ihm der Kopf so auf dem Halse sitzt, daß das ganze Gesicht und die Augen rückwärts schauen.«
»Ich erinnere mich wohl.«
»Nun, solch einem Dämon gleichst Du schon lange. Alles fließt, sagt Heraklit, und Du bist gezwungen, mit dem großen Strom vorwärts zu schwimmen, oder ändern wir das Bild, Du mußt auf der Landstraße des Lebens vorwärts, dem allgemeinen Ziele entgegenschreiten; doch Dein Auge blickt dabei nach hinten, wo es sich an einem schönen, reichen Vaterhaus, vieler Liebe und Zärtlichkeit, großen und freundlichen Gestalten, einem glücklichen, aber leider vergangenen Dasein weidet. Dabei schreitest Du weiter, und was muß nun erfolgen?«
»Daß ich stolpere, denkst Du, und falle...«
Paula hatten die Vorwürfe des Arztes um so schärfer getroffen, je weniger sie sich verhehlen konnte, daß sie viel Wahres enthielten. Sie war gekommen, um sich aufmuntern zu lassen, aber nun trübten ihr diese Anklagen selbst das Gefühl der Gesundheit. Warum ließ sie sich von diesem keineswegs betagten Manne ins Gebet nehmen wie eine Schülerin? Ging das so fort, so sollte