Die Nilbraut. Georg Ebers

Die Nilbraut - Georg  Ebers


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dem ist sie so gut...«

      Da hielt Katharina dem Kinde den Mund zu, doch als Paula sie mit schnellerem Atem bedeutet hatte, daß sie sehr ernste Dinge mit Orion zu besprechen habe, wandte ihr Katharina mit einer schnellen, trotzigen Bewegung den Rücken und ging schmollend auf die Treppe zu, während Maria sich an dem Geländer derselben heruntergleiten ließ. Noch vor wenigen Tagen wäre das kaum sechzehnjährige Bachstelzchen ihr gern auf dem nämlichen Wege gefolgt.

      Paula klopfte indessen an das erste Krankenzimmer und betrat es so leise, wie die pflegende Nonne aus dem Sankt Katharinenkloster es für sie geöffnet.

      Orion, den sie suchte, war hier gewesen, hatte sich aber vor kurzem wieder entfernt.

      In dem ersten Gemach lag der verwundete Karawanenführer, in dem zweiten die Irrsinnige. In einem an die erste Stube grenzenden Saale, der für hohe Gäste bestimmt und darum mit fürstlicher Pracht ausgestattet war, saßen zwei Männer in tiefem Gespräch: der arabische Kaufherr und der Arzt Philippus, ein kaum mehr als dreißig Jahre alter, sehr großer, starkknochiger junger Mann, dessen Kleidung aus sauberen, aber groben Stoffen bestand und jeglichen Schmuckes entbehrte. Er hatte ein kluges bleiches Gesicht, aus dem zwei glänzend schwarze Augen wohlwollend und doch scharf und lebhaft hervorleuchteten. Seine starken Backenknochen standen viel zu weit hervor, der untere Teil seines Antlitzes war klein, häßlich, wie zusammengedrückt, während seine hohe und breite Stirn das Ganze zu einem Denkerkopf krönte, wie eine herrliche Kuppel ein wenig schönes, winziges Bauwerk.

      Dieser jeder Anmut bare Mann, der dennoch bei der höchst kraftvollen Eigentümlichkeit seiner Erscheinung schwerlich, und wäre es auch in einem Kreise von bedeutenden Menschen gewesen, übersehen werden konnte, hatte sich eben lebhaft mit dem Araber unterhalten, der während ihrer zweitägigen Bekanntschaft großes und voll erwidertes Wohlgefallen an ihm gefunden hatte. Zuletzt war Orion der Gegenstand ihres Gespräches gewesen, und der Heilkünstler, ein rastloser Arbeiter, dem niemand gefiel, der müßig als Genußmensch dahinlebte, hatte ihn bei aller Anerkennung seiner glänzenden Begabung und wohl verwandten Schulzeit weit härter beurteilt als der alte Herr. Dem Arzte war jede menschliche Existenz heilig, und alles schien ihm wert der Vernichtung, was den Leib oder die Seele eines Menschen zu schädigen drohte. Ihm war bekannt, was Orion über die unglückliche Mandane gebracht, wie leichtfertig er mit den Herzen anderer Frauen gespielt hatte, und das machte ihn in seinen Augen zu einem schädlichen, strafwürdigen Mitglied der Gesellschaft. Für ihn war das Leben eine Verpflichtung, und mit Arbeit, gleichviel welcher, wenn sie nur dem Ganzen zu gute kam, löste man sie ein; aber die jungen Herren von Orions Art erkannten sie nicht nur nicht an, sondern nützten das Ganze und seine Teile aus zu niedrigen, selbstsüchtigen Zwecken. Für den alten Muslim dagegen war das Leben ein Traum, dessen schönsten Teil, die Jugendzeit, jeder mit offenen Sinnen genießen und dabei nur besorgt bleiben sollte, beim Erwachen, das mit dem Tode begann, hoffen zu dürfen, Einlaß in das Paradies zu finden. Wie wenig vermöge der Mensch gegen die eiserne Gewalt des über ihn Verhängten! Auch durch ernste Arbeit könne dies nicht abgewandt werden, es gelte nur, ihm gegenüber die rechte Stellung einzunehmen und ihm mit Würde zu begegnen. Orions Geschick habe sein Lebensschiff zu leicht belastet; bei schönem Wetter jage es dahin, wohin der Wind es treibe. Er selbst sei besorgt gewesen, es gut auszurüsten, und wenn das Schicksal es einmal schwer, recht schwer befrachte und an Klippen schleudere, dann erst werde sich zeigen, wer und was er sei; er, Haschim, glaube gewiß, daß sich dann seine Sinnesart trefflich bewähren werde. Beim Schiffbruch zeige sich, was der Mann wert sei.

      Hier fiel ihm der Arzt ins Wort, um zu beweisen, daß nicht das Schicksal der Muslimen, sondern der Mensch selbst das Lebensschiff lenke, doch Paula schaute jetzt in den Saal und unterbrach ihn.

      Der Kaufherr verneigte sich ehrerbietig, Philippus achtungsvoll, doch befangener, als man es bei der Sicherheit seines Wesens hätte erwarten sollen. Er war seit Jahren ein täglicher Gast in der Statthalterei, und nachdem er Paula anfänglich geflissentlich übersehen, zog er sie, seitdem Frau Neforis ihr kühl begegnete, hervor, wo es nur anging. Die Gespräche mit ihm, deren derber, schneidiger Ton ihr anfänglich nicht zugesagt und sie oft in schwer erträglicher Weise in die Enge getrieben hatten, waren ihr längst lieb und zum Bedürfnis geworden. Sie hielten ihren Geist wach in einem Kreise, welcher sich nur mit den kleinen Ereignissen in den Familien der herabgekommenen Stadt oder dogmatischen Streitigkeiten beschäftigte; denn der Mukaukas nahm selten oder nie teil an den Gesprächen der Frauen.

      Der Arzt redete mit ihr nie über Vorgänge, sondern legte ihr seine Ansichten über die Meinungen anderer, ernste Fragen des Lebens oder Bücher dar, die sie beide kannten, und wußte sie zu Erwiderungen zu reizen, denen er mit Witz und Schärfe entgegnete. Nach und nach hatte sie sich an seine kühne Denkweise und wahrhaftige, oft rücksichtslos offene Sprache gewöhnt, und das begabte Mädchen zog nun das Gespräch mit ihm jeder andern Unterredung vor, hatte sie doch erkannt, daß in diesem Denker, diesem Gefäß alles Wissens, eine wahre Kinderseele lebte und dazu eine Selbstlosigkeit ohnegleichen. Der Gattin ihres Oheims mißfiel das meiste, was sie that, und so auch ihr vertrauter Umgang mit diesem Manne, dessen äußere Erscheinung wahrlich nichts Anziehendes für ein junges Mädchen darbot. — Aber der Arzt eines vornehmen Hauses war da, um seine Mitglieder gesund zu erhalten oder um sie zu heilen, und für diese schickte es sich nicht, mit ihm wie mit einem Gleichgestellten vertrauliche Gespräche zu führen. Philippus gegenüber warf sie Paula, deren Stolz sie oft tadelte, unziemliche Herablassung vor, am meisten aber verdroß sie, daß die Damascenerin manche halbe Stunde für sich in Anspruch nahm, welche Philippus sonst ihrem Gatten, auf den und auf dessen Befinden sie alles bezog, gewidmet haben würde.

      Der Araber hatte seine Widersacherin von gestern sogleich erkannt, und nachdem die freundlichste Verständigung schnell zwischen ihnen erfolgt war, und Paula eingestanden hatte, wie thöricht es von ihr gewesen sei, einen einzelnen wohlgesinnten Mann für die Vergehen eines ganzen Volkes verantwortlich zu machen, und Haschim entgegnet hatte, daß ein billig denkendes Herz immer das Rechte finde, führte sie das Gespräch auch auf ihren Vater, und der Arzt teilte dem Araber mit, daß sie immer noch nicht müde werden wolle, den Verschollenen zu suchen.

      »Das ist vielmehr die einzige Aufgabe meines Lebens!« rief die Jungfrau.

      »Mit Unrecht, denk’ ich,« bemerkte der Arzt; doch der Kaufherr widersprach ihm; denn es gebe Dinge, die zu kostbar wären, um sie je verloren zu geben, auch wenn die Hoffnung, sie wiederzufinden, schwank und dünn werde wie ein zerfressener Strohhalm.

      »So empfind’ auch ich!« rief Paula; »und wie kannst Du, Philipp, mir widersprechen? Hab’ ich doch aus Deinem eigenen Munde gehört, daß Du Deinen Kranken gegenüber die Hoffnung nicht aufgibst, bis ihr der Tod ein Ende bereitet! Ich halte fest an der meinen, jetzt mehr denn je, und fühle, daß es so recht ist. Meinen letzten Gedanken, meinen letzten Sesterz setz’ ich daran, den Vater zu finden, auch ohne den Oheim und seine Frau, und trotz ihres Einspruches.«

      »Aber eine Jungfrau kann bei dergleichen die Hilfe eines Mannes nur schwer entbehren,« erwiderte der Kaufherr. »Ich komme viel in der Welt herum, rede mit manchem Fremden aus fernen Landen, und willst Du mir die Ehre erweisen, so ernenne mich zu Deinem Gehilfen, gestatte mir, beim Suchen nach dem edlen Verlorenen Dein Bundesgenosse zu sein!«

      »Dank, innigen Dank!« rief Paula und faßte mit freudiger Wärme die Hand des Muslim. »Behalte meinen Verlorenen, wohin Du auch ziehst, im Gedächtnis; ich bin ein armes, verlassenes Mädchen, aber wenn Du ihn findest...«

      »So wirst Du wissen, daß es auch unter den Muslimen Männer gibt...«

      »Die gern Barmherzigkeit üben und schutzlosen Frauen freundlich helfen,« unterbrach ihn Paula.

      »Und, wenn der Höchste es fügt, mit gutem Erfolg,« versetzte der Araber. »Sobald ich eine Spur finde, sollst Du von mir hören, jetzt aber muß ich über den Strom zu dem Feldherrn Amr; ich gehe getrost; denn ich weiß meinen armen, braven Rustem in guten Händen, Freund Philipp! Schon in Fostat soll die erste Nachforschung beginnen, verlaß Dich darauf, meine Tochter!«

      »Ich thu’ es,« versetzte Paula freudig bewegt; »wann sehen wir uns wieder?«

      »Morgen, spätestens übermorgen in der Frühe.«

      Da näherte


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