Am Rio de la Plata. Karl May
blickte, sah ich keinen Menschen. Es war dunkel draußen, da der Mond erst in einer Viertelstunde aufging.
Besorgniserregend war die Sache nicht. Vielleicht war einer der vielen dienstbaren Geister des Hauses neugierig gewesen, zu sehen, was der Fremde in seiner Stube eigentlich treibe. Doch verschloß ich nunmehr das Fenster fest, so daß es von draußen nicht geöffnet werden konnte.
Bald kam der Rittmeister, um mich abzuholen. Er erwähnte das vorhin gehabte Gespräch mit keinem Worte und war so freundlich und höflich wie zuvor gegen mich. Jedenfalls war er ganz der Ansicht seines Vaters, daß ich meinen Entschluß doch noch ändern werde.
Im Salon war eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft von Damen und Herren versammelt. Die Blicke, welche sich bei meinem Eintritte auf mich richteten, sagten mir, daß von mir bereits die Rede gewesen war. Ich wurde vorgestellt und hörte eine Menge langer, hochtönender Namen und Titel, welche ich augenblicklich wieder vergaß. Der Spanier ist in dieser Beziehung fast wie ein Araber: Er liebt es, seinem Namen die Namen und einstigen Würden seiner Vorfahren beizufügen. Dem Fremden klingen diese wohllautenden Worte sehr angenehm in das Ohr; wenn man sie aber in das Deutsche übersetzt, so verschwindet die Poesie und das Imponierende. Don Gänseschmalz von Ofenruß, Donna Maria Affensprung von Hobelspan und ähnliche Namen haben nur im Spanischen Wohlklang, aber im Deutschen nicht.
Für einen oberflächlichen Beobachter konnte es leicht sein, die Gesellschaft eine glänzende zu nennen; leider aber besaß ich scharfe Augen. Mir fiel der viele Puder auf, das stumpfe Schwarz der Augenbrauen und Stirnlöckchen, welches auf die Anwendung gewisser Färbemittel schließen ließ. Ich sah die zierlichsten Füßchen mit Schuhen Nummer Null; aber an diesen Schuhen war irgend eine Naht geplatzt oder die Sohle klaffte los. Zarte Damenhände mit schwarzgeränderten Fingernägeln, rauschende Seide mit Brüchen und die Säume ausgefranst, falsche Steine in kunstvoller Fassung – und wie die Kleidung, der Putz, so war auch alles andere darauf berechnet, das Auge, das Ohr, die Sinne zu bestechen; Echtheit aber fand ich nicht.
So war es auch bei der Tafel. Mein Messer hatte einen Griff von Elfenbein, die Gabel einen von papierdünnem Silber, mit Kolophonium ausgefüllt; der Löffel war zerbrochen gewesen und zusammengelötet worden. Die Früchte erschienen in kostbar gewesenen Vasen, an denen Stücke fehlten. So war das ganze Geschirr beschaffen, aber die Speisen waren gut. Vorzüglich mundete mir der landesübliche Asado, welcher ganz vortrefflich war.
Asado ist ein Spießbraten. Das Leibgericht des Gaucho aber ist Asado con cuero, Spießbraten in der Haut. Wird ein Rind oder Pferd geschlachtet, so schneidet sich der Gaucho ein Stück des noch dampfenden Fleisches samt der Haut ab, steckt es an ein Holz und hält es über das Feuer. Nun wartet er nicht etwa, bis das Stück ganz durchbraten ist, sondern er bratet Bissen um Bissen. Dabei fährt er mit dem Fleische abwechselnd an den Mund und wieder an das Feuer und hantiert sich mit dem scharfen, langen Messer so vor der Nase her, daß einem angst und bange um dieselbe wird, denn er beißt in das Fleisch, bevor er sich den Bissen abschneidet.
Unser heutiger Asado war ohne Haut, doch war es nichts weniger als appetitlich, zu sehen, wie er verspeist wurde. Ich sah Damen, welche sehr einfach die Hände als Gabeln und die Zähne als Messer benutzten. Das fiel hier gar nicht auf. Ich erhielt vielmehr von mehreren Seiten die wohlgemeinte Aufforderung, es mir ebenso bequem zu machen und nicht wie eine Gouvernante zu essen.
Später wurde getanzt. Darauf hatte ich mich gefreut. Ich sehnte mich, allein in einer Ecke zu sitzen und zuzuschauen. Leider aber kam ich nicht dazu. Man gab mich nicht frei. Ich war und blieb der Mittelpunkt der Unterhaltung, aber einer ganz und gar gehaltlosen Konversation. Man sprach von allen Seiten auf mich ein. Ich sollte und mußte auf alle möglichen und unmöglichen Fragen Antwort erteilen. Es wurde mir zu Mute wie einem alten Uhu, welcher, an seinen Sitz gefesselt, von einer Schar Krähen und Elstern umschwärmt wird, deren er sich nicht erwehren kann. Und dabei war man überzeugt, ich sei entzückt, mit solcher Liebenswürdigkeit behandelt zu werden. Man tanzte nach den Tönen von Guitarren, deren mehrere vorhanden waren. Diese Instrumente wurden meisterhaft gespielt. Der Spanier scheint als Guitarrero geboren zu werden.
Nun hatte man sich unterhalten, gegessen, getanzt, und es blieb nur noch eins zu thun – — zu spielen. Bald saßen sie alle, Männlein und Weiblein, bei den Karten. Ich beteiligte mich nicht, was mit Kopfschütteln kritisiert wurde. Eine Zeitlang interessierte es mich, den Zuschauer zu machen; als aber der Teufel des Spieles seine Samtpfötchen nach und nach in Krallen verwandelte und ich aus schön sein sollendem Munde so manches Fluchwort hörte, da schlich ich mich heimlich fort. An einem deutschen Skate mag man sich beteiligen, an einem südamerikanischen Juego aber nicht. Es ist kein Vergnügen, die Leidenschaften zu beobachten, welche das Gesicht eines solchen Spielers oder gar so einer Spielerin verzerren. Die berühmte Tertullia war jetzt für mich zu Ende, und ich kann nicht behaupten, daß ich von ihr sehr erbaut gewesen sei.
Draußen im Vorzimmer saßen die bedienenden Peons und – spielten auch. Mein Erscheinen war für sie keine Veranlassung, sich stören zu lassen.
Ich hatte meine Stube nicht verschlossen, da es möglich war, daß die Dienerschaft während meiner Abwesenheit da noch zu thun hatte. Der Mond schien so hell zum Fenster herein, daß ich einer andern Beleuchtung nicht bedurfte. Ich überzeugte mich, daß die Fenster noch so wie vorher verschlossen waren. Unter das Bett zu schauen, das vergaß ich.
Vielleicht hätte ich es gethan, aber man hatte mir so fleißig zugetrunken, und ich war gezwungen gewesen, so viel Bescheid zu thun, daß der schwere, gefälschte Fabrikwein mich ermüdet hatte. Ich schob den Riegel vor und fiel, als ich mich gelegt hatte, sofort in einen tiefen Schlaf.
Der Aufenthalt in den Prairien hatte meine Sinne so geschärft. daß sie sich selbst während dieses tiefen Schlafes nicht ganz außer Thätigkeit befanden. Mir träumte, ich liege im Walde und werde von Indianern beschlichen. Einer derselben kam an mich heran und holte aus, um nach mir zu stechen. Ich sprang auf, um mich zu wehren, und – erwachte. Ich saß im Bette.
Noch lag der Mondschein in der Stube; nur die Thürgegend war im Dunkel. Es war mir, als ob dort sich eine menschliche Gestalt bewege.
»Wer da?« fragte ich.
Ich erhielt keine Antwort, vernahm aber ein leises Knarren. Ich sprang aus dem Bette und nach der Thüre. Sie war zu. Also hatte ich mich wahrscheinlich getäuscht. Darum legte ich mich beruhigt wieder nieder und schlief nun ohne Unterbrechung bis zum Morgen.
Als ich da aufstand und nach dem Waschen die Stube verlassen und also den Riegel zurückschieben wollte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß derselbe bereits zurückgeschoben war.
Ich wußte ganz genau, daß ich ihn am Abende vorgeschoben hatte. Ebenso genau wußte ich, daß ich ihn dann, als ich aus dem Traume erwachte und eine Gestalt zu erblicken meinte, nicht geöffnet hatte. Wie kam es, daß er jetzt offen war?
Ich durchsuchte das Zimmer, fand aber keine Spur, welche angedeutet hätte, daß sich jemand bei mir befunden habe. Von meinen Kleidern und Sachen, von dem Inhalte meiner Taschen war nichts abhanden gekommen. Auch die Waffen befanden sich im besten Zustande. Auf der Diele sah ich einen roten, seidenen Faden liegen. Er war ganz kurz abgerissen und vierfach genommen, als hätte er sich in einer Nähnadel mit starkem Oehr befunden und sei nach dem Nähen abgerissen worden.
Hatte dieses Fadenende schon gestern hier gelegen? Wahrscheinlich! Gewiß kam doch kein Dieb in meine Stube, um mir einen Faden herzulegen. Ich hatte wohl dennoch in der Nacht den Riegel zurückgeschoben, um die Thüre zu öffnen und hinauszusehen. In der Schlaftrunkenheit hatte ich dann vergessen, wieder zu schließen. Auf diese Weise war die Erklärung sehr einfach.
Mochte dem sein, wie ihm wolle, ich beruhigte mich, da mir gar nichts abhanden gekommen war, und begab mich in das Speisezimmer, wo die Familie bereits bei der Chokolade saß.
Nach Beendigung des Frühstückes entfernte sich die Dame, und die beiden Herren ergriffen die Gelegenheit, das gestrige Thema wieder zur Sprache zu bringen. Sie schienen überzeugt zu sein, daß ich mich nun eines Bessern besonnen habe, mußten aber von mir das Gegenteil erfahren. Sie ergingen sich in allen möglichen Vorstellungen und Zureden, welche aber keinen Eindruck auf mich machten. Es war mir sehr gleichgültig, wer heute oder morgen oder übers Jahr Präsident der Banda oriental sein werde, und es fiel mir gar nicht ein,