Am Rio de la Plata. Karl May
früherer Lehrling meines Mannes. Er mußte plötzlich entlassen werden, weil er die Kasse bestohlen hatte.«
»Und Sie erkennen ihn in diesem Manne wieder? Ist es nicht möglich, daß Sie sich täuschen?«
»Nein. Er ist aus San José, und ich kenne ihn seit der Zeit, als er noch Knabe war. Eine Täuschung ist da unbedingt ausgeschlossen.«
»Pah!« lachte jener, indem er auf sein Pferd stieg. »Weibergeklatsch!«
»Bitte, Sennor!« antwortete ich ihm. »Ich kann mich diesem Ihrem Urteile nicht anschließen, sondern ich glaube alles, was die Dame gesagt hat. Sie sind jener Mateo, jener Dieb, welcher sich jetzt vielleicht auf noch weit schlimmerem Wege befindet, als damals.«
»Hüten Sie sich! Sie wissen ganz genau, was ich bin!«
»Das weiß ich allerdings sehr genau. Sie sind ein Lügner, ein Schwindler!«
»Wollen Sie, daß ich mich meines Gewehres bediene!« drohte er.
»Immerhin! Aber nur nicht aus dem Hinterhalte, wie Sie vielleicht die Absicht hegen. Ich habe mich auf der Polizei erkundigt. Es giebt keinen Polizeikommissar Namens Carrera. Ich vermute, die Polizisten sind bereits hinter Ihnen her, um Sie festzunehmen. Haben Sie also die Güte, abzusteigen, um die Zusammenkunft mit diesen Herren nicht zu verzögern!«
Er warf einen sehr besorgten Blick nach rückwärts. Dort war niemand zu sehen. Das gab ihm die fast verlorene Frechheit zurück. Er sagte:
»So werde ich ihnen entgegen reiten und dann mit ihnen umkehren, um Sie und diese Frau festnehmen zu lassen. Beleidigungen, wie die gegenwärtigen, müssen schwer geahndet werden!«
Er ritt fort, zurück, über das Flüßchen hinüber, wo er hinter dem Posthause verschwand.
»Sennor, was haben Sie gethan!« sagte Monteso. »Sie haben ihn auf das tödlichste beleidigt. Die Folgen werden nicht ausbleiben, denn er ist wirklich Polizeikommissar!«
»Unsinn!« sagte ich und klärte ihn dann auf.
»Warum hat der Mann uns dann belogen?« fragte er.
»Um sich in dieser guten Weise an mich machen zu können. Mut hat er nicht, und verwegen ist er noch viel weniger. Direkt auf mein Leben hat er es nicht abgesehen. Zu einem Morde ist er zu feig. Er hat etwas anderes vor, irgend eine Teufelei, die ich aber vielleicht noch herausbekommen werde.«
»Das ist nun nicht mehr möglich. Er ist ja fort.«
»Er kommt wieder; aber er wird uns heimlich folgen, um sein Vorhaben doch noch auszuführen. Setzen Sie sich auf Ihr Pferd, und folgen Sie mir nur fünf Minuten! Ich werde Ihnen den Beweis liefern, daß es ihm gar nicht einfällt, nach Montevideo zurückzugehen.«
Ich stieg auf, und er that dasselbe. Wir ritten über den kleinen Fluß zurück bis an das Gebäude der Poststation. Als wir um die Ecke desselben blickten, sahen wir den Kerl, welcher in gestrecktem Galoppe die Richtung nach der Hauptstadt verfolgte.
»Da sehen Sie, daß er doch nach Montevideo will!« sagte Monteso.
»Er hält diese Richtung nur so lange ein, als wir ihn sehen können. Passen Sie auf!«
Ich nahm mein Fernrohr vom Riemen und richtete es. Der Reiter wurde für das bloße Auge kleiner und immer kleiner, bis er endlich verschwand. Durch das Fernrohr sah ich ihn aber dann auf dem Kamme einer Bodenwelle erscheinen und bemerkte zu meiner Genugthuung, daß er nach links eingelenkt hatte. Ich gab Monteso das Fernrohr und zeigte ihm den Mann.
»Wahrhaftig, er reitet jetzt nach Nord!« gab er zu. »Sie haben recht, Sennor.«
»Er kehrt zurück und wird in einiger Entfernung von hier wieder über das Flüßchen gehen, um uns zu folgen. Sind Sie nun überzeugt?«
»Vollständig.«
»Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß er der Dieb Mateo ist. Läßt er sich vor mir wiedersehen, so werde ich sehr kurzen Prozeß mit ihm machen. Kommen Sie!«
Wir kehrten zum Wagen zurück. Noch ehe wir denselben erreichten, begegneten uns zwei der Peons, welche klugerweise nach der Station wollten, um dort Hilfe zu holen, die Diligence transportabel zu machen. Der Mayoral war mit dem dritten Peon zurückgeblieben. Die Passagiere hatten sich in das Gras gesetzt, um das weitere zu erwarten. Nur der eine von ihnen, welcher das Pferd gekauft hatte, brauchte nicht zu bleiben. Er bat um die Erlaubnis, sich uns anschließen zu dürfen, und sie wurde ihm selbstverständlich gewährt.
Jetzt hob Monteso die Dame auf mein Pferd. Ich merkte gleich, daß sie nicht zum erstenmal in ihrem Leben einen solchen Sitz einnahm. Sie legte beide Arme um mich, und dann konnte der unterbrochene Ritt wieder beginnen.
Während der ersten Viertelstunde saß ich wie auf glühenden Kohlen. Hinter sich eine Sennora, in deren Umarmung man sich befindet, und vorn am Sattel einen neuen, aber zusammengedrückten Frühjahrshut, welchen vollständig herzustellen man versprochen hat, das ist eine Situation, an welche man sich nur langsam gewöhnt.
Meine Gefährtin saß natürlich als Dame zu Pferde, beide Füße nach derselben Seite. Das ist ein wahrer Kunstreitersitz, aber ich habe dann später sehr oft Frauen in derselben Weise über die Pampa fliegen sehen, ohne daß sie auf ihrem Sitze nur einen Zoll gerückt wären. Ich sah Frauen, welche sich nicht einmal am Reiter festhielten und doch so sicher saßen, als ob sie sich selbst im Sattel befunden hätten. Wir unterhielten uns ausgezeichnet miteinander, und als wir das Ziel erreichten, war ich ebensogut über ihren Lebenslauf unterrichtet, wie sie über den meinigen. Wer vermag es, gegen eine Dame einsilbig und verschwiegen zu bleiben, wenn sie Bildung hat, Teilnahme für einen empfindet und dabei das richtige „Plapperment“ besitzt!
San José hat einen kleinen Marktplatz, an welchem die turmlose Kirche liegt. Gegenüber derselben wohnte der Kaufmann Rixio, der Gemahl meiner Mitreiterin, welche ich bis zu ihrer Thüre brachte. Dort stieg sie ab, während ich nach dem nahen Postgebäude ritt, wo die Yerbateros bleiben wollten. Doch mußte ich der Dame versprechen, mich so bald wie möglich bei ihr einzufinden.
Kaum hatte ich mich von dem anhaftenden Staube gereinigt, so kam ein junger Herr, welcher sich mir als Rittmeister Rixio vorstellte, und den Auftrag hatte, mich zu seinen Eltern zu bringen. Ich mußte ihm sofort folgen.
Das Haus war groß und geräumig, aber nach europäischen Begriffen nur dürftig ausgestattet. Im Empfangszimmer wurde ich von den Eltern des Rittmeisters erwartet, welche mich mit ausgezeichneter Freundlichkeit willkommen hießen. Die Frau konnte ihrem Gemahle nicht genug rühmen, wie gut ihr der Ritt mit dem deutschen Poeta – sie hielt mich in der That für einen Dichter – gefallen habe. Ich wurde in die Fremdenzimmer geführt, von denen ich mir eins auswählen durfte. Dann holte man meine Sachen und sogar mein Pferd. Ich sollte eben im weitesten Sinne des Worts Gast des Hauses sein.
Der Sohn des Hauses lud mich zu einem Spaziergange in den Garten ein, doch fand ich jetzt keine Zeit dazu, denn seine Mutter brachte mir den verunglückten Hut, den ich reparieren sollte. Sie war höchst gespannt darauf, ob mir dies gelingen würde, und jubelte vor Glück, als ich ihn nach einer halben Stunde so hergestellt hatte, daß sie behauptete, er sei sogar noch schöner als vorher. Dann führte mich der Offizier in den Garten. Es gab da einige Pappeln und zwei mir fremde Bäume. Von einem im Sommer schattigen oder gar „lauschigen“ Aufenthalte war keine Rede. Diese letztere Bezeichnung ließ sich höchstens auf die Wildwein-Laube anwenden, in welcher wir uns niederließen. Der Offizier bat mich um Verzeihung, daß ich einstweilen nur auf seine Gesellschaft angewiesen sei; die Eltern seien zu sehr mit der Vorbereitung zur abendlichen Tertullia beschäftigt. Wir unterhielten uns trefflich. Der junge Mann gefiel mir. Er hatte so etwas Bedächtiges, Gründliches an sich. Ich konnte nicht umhin, ihm zu sagen:
»Sie scheinen viel nachgedacht zu haben. Das bringt Ueberzeugung und Ruhe.«
»O, wenn das ein Vorteil ist, so habe ich es nicht mir selbst zu verdanken. Ich habe einen Lehrer und Freund, dessen aufmerksamer Schüler ich bin. Sie hörten auch von ihm. Ich meine Latorre.«
»Ah, dieser! Woher wissen Sie, daß ich von ihm hörte?«
Ein schlaues, überlegenes Lächeln glitt über