Am Rio de la Plata. Karl May
ich mich freilich eingehender mit der Angelegenheit befassen. Bitte, setzen Sie sich!«
Er deutete auf einen Stuhl, auf welchem ich mich niederließ, und nahm an seinem Tische Platz. Dort legte er einige Bogen weißen Papieres vor sich hin, tauchte die Feder in die Tinte und begann:
»Zunächst muß ich mir Ihren Namen, Ihr Alter, Ihre Nationalität, den Geburtsort, den Stand, die Vermögensverhältnisse, den Grund Ihrer Anwesenheit und anderes notieren. Sie werden die Güte haben, mir meine Fragen zu beantworten.«
»Um Himmels willen!« rief ich, gleich wieder aufstehend. »Soll das ein wirkliches, ausführliches Legitimationsverhör werden?«
»Allerdings. Es ist unumgänglich nötig!«
»Ich kam nur, um Anzeige zu erstatten und Sie zu ersuchen, mir einen Beamten mitzugeben, welcher sich des Betreffenden bemächtigen soll.«
»Das ist sehr viel verlangt. Haben Sie denn ganz besondere Gründe, anzunehmen, daß der Mann Böses gegen Sie im Schilde führe?«
»Allerdings. Man hat gestern zwei Mordanfälle auf mich gemacht. Jetzt stehe ich im Begriff, nach Mercedes zu reiten. Ich befand mich bereits unterwegs; da erfuhr ich, daß ein junger Mensch mit uns will, welcher sich Carrera nennt und als Kriminalkommissar bezeichnet. Ich habe den Mann im Verdachte, sich in böser Absicht an meine Person machen zu wollen.«
»Was Sie da erzählen! Zwei Mordanfälle? Und davon wissen wir nichts! Sennor, Sie werden nicht nach Mercedes reisen. Wir müssen diesen Fall in die Hand nehmen und untersuchen. Sie werden als Zeuge hier bleiben.«
»Wie lange?«
»Das kann ich jetzt nicht wissen. Es kann einen oder auch mehrere Monate dauern.«
»Dann danke ich! So lange Zeit habe ich nicht. Mein Wunsch läuft nur darauf hinaus, von der Person befreit zu werden, welche sich einen falschen Stand beigelegt hat.«
»So müssen Sie auch in aller Form Anzeige erstatten.«
»Das thue ich ja hiermit!«
»Ja, aber der nötigen Form zu genügen, scheinen Sie eben nicht Lust zu haben. Ich muß auf jeden Fall die erwähnten Fragen aussprechen.«
»Und sie mit meinen Antworten zu Protokoll nehmen?«
»Ja. Dann werde ich Ihnen zwei Offizials mitgeben, welche den Mann arretieren und ihn mit Ihnen zu mir bringen.«
»Und dann?«
»Dann werde ich sofort die Vorarbeiten fertigen und die Sache dem Kriminalrichter übergeben.«
»Es wird also eine förmliche Kriminaluntersuchung anhängig gemacht werden?«
»Ganz selbstverständlich.«
»Und wie lange ist da meine Gegenwart notwendig?«
»Bis zum Urteilsspruch, also einige Wochen.«
»Das ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack, Sennor. Ich muß nach Mercedes. Soll ich des Kerls wegen hier bleiben, so bedaure ich, Sie belästigt zu haben, und verzichte auf alles. Empfehle mich Ihnen!«
Ich setzte meinen Hut auf und eilte nach der Thüre.
»Halt, halt!« rief er mir nach. »Sie können verzichten, wir aber nicht. Da wir nun einmal wissen, daß —«
Mehr hörte ich nicht, denn nun war ich draußen. Aber hinter mir riß er die Thüre wieder auf und fuhr fort:
»Daß zwei Mordanschläge auf Sie gemacht worden sind —«
Jetzt war ich unten an der Treppe. Er stand oben und fügte hinzu, indem er mir nachkam:
»Gemacht worden sind, so sehe ich mich gezwungen, die Sache zu untersuchen und Sie – — – «
Ich befand mich unter dem Thore und band mein Pferd los. Er hatte die unterste Stufe erreicht und schrie:
»Und Sie bis Austrags der Sache hier festzuhalten. Darum muß ich Ihnen – — – «
Ich saß im Sattel, und er erreichte das Thor. Beide Arme nach meinem Pferde ausstreckend, wetterte er:
»Muß ich Ihnen jetzt allen Ernstes befehlen, hier zu bleiben, sonst werden Sie arretiert und so lange eingesperrt, bis – —«
Weiter vernahm ich nichts, denn ich jagte fort, nach der Markthalle zu, neben welcher mein Weg aus der Altstadt hinaus führte. Es fiel mir gar nicht ein, meine schöne Zeit an einen uruguayischen Kriminalprozeß zu verschwenden. Wollte er mich wirklich dazu zwingen, so konnte er ja versuchen, mich zu arretieren. Ich hatte nichts dagegen.
Es ging zur Bai hinab und dann wieder zu der Straße hinauf, an deren Ende die Yerbateros auf mich warteten.
»Nun,« rief Monteso mir entgegen, »da sind Sie endlich! Schon glaubte ich, Sie hätten aus Versehen eine andere Richtung eingeschlagen. Haben Sie das Geld gefunden?«
»Ich habe es. Und wo befindet sich der Gefährte, welchen wir erwarten? Ich sehe ihn nicht. Er hat doch vor der Stadt zu uns stoßen wollen!«
»Er wird noch etwas weiter vorangeritten sein.
Darf ich vielleicht annehmen, daß Sie sich nicht unfreundlich zu ihm verhalten?«
»Mein Betragen wird sich ganz genau nach dem seinigen richten.«
»So bin ich beruhigt, denn er ist ein außerordentlich höflicher Mann, ein Caballero durch und durch.«
»Was sich bei einem Comisario criminal von selbst versteht! «
Vielleicht hatte ich das in einem etwas ironischen Tone gesagt, denn Monteso fragte:
»Glauben Sie es immer noch nicht, daß er es ist?«
»Ich will Ihnen den Gefallen thun, keinen Zweifel mehr hören zu lassen.«
»Schön! Sie werden sich überzeugen, daß er wirklich ein Kriminalist ist. Er hat uns so viele interessante Fälle erzählt, in denen es ihm durch großen Scharfsinn und wahrhaft bewundernswerte Gewandtheit gelungen ist, die Schuldigen zu entdecken. Er hat oft sogar sein Leben riskiert.«
Wir hatten die Stadt bald so weit hinter uns, daß wir sie nicht mehr sehen konnten. Hier und da gab es noch ein vereinzeltes Feld, welches zum Schutze gegen die Herden von mächtigen Kaktus- und Agavehecken eingeschlossen war; sonst aber befanden wir uns im offenen Lande, dessen Charakter fast durch ganz Uruguay derselbe bleibt: eine hügelige Fläche, welche von dem feinen, selten über einen Fuß hohen Camposgrase bewachsen ist, und in den Vertiefungen lichtes Buschwerk, auf welches der Name Gebüsch eigentlich nicht angewendet werden konnte. Weidende Tiere sah man überall, Pferde, seltener Schafe, zumeist aber Rinder.
Ein vor uns reitender Mann hatte sich umgeblickt und uns gesehen. Er hielt sein Pferd an, um auf uns zu warten. Als wir ihm so nahe gekommen waren, daß ich sein Gesicht deutlich erblickte, erkannte ich den jungen Menschen, dem ich gestern abend meinen Stuhl überlassen hatte.
»Da haben wir Sie ja!« redete Monteso ihn an. »Guten Tag, Sennor! Hier sehen Sie den deutschen Caballero, von dem ich Ihnen erzählt habe.«
Der Mann war in weite, blaue Hosen und eine ebensolche Jacke gekleidet. Seine Weste war weiß, ebenso die Schärpe, welche er sich um die Taille geschlungen hatte und in welcher ein Messer und eine Pistole steckte. Ein Gewehr hing an seinem Sattelknopfe. Er zog den Hut vom Kopfe, erhob sich in den Bügeln und grüßte:
»Mei-ne Em-pfeh-lung, Herr!«
Das klang gebrochen und in einem Tone, wie wenn ein Papagei die ihm eingelehrten Worte ausspricht.
»Sie sprechen meine Muttersprache?« fragte ich spanisch.
»Nein,« antwortete er in derselben Sprache. »Ich kenne nur diesen Gruß, welchen ich mir in Buenos-Ayres gemerkt habe, wo ich mit Deutschen verkehrte. Ich wollte Sie durch die Klänge Ihres Vaterlandes erfreuen. Darf ich hoffen, daß Sie meinem Anschlusse an Ihre kleine Gesellschaft Ihre Zustimmung erteilen?«
»Jeder ehrliche Mann ist mir willkommen.«
»So nehmen Sie mir eine Sorge vom Herzen. Ich danke Ihnen sehr!«
Er reichte