Am Rio de la Plata. Karl May
Er war ein Schweizer und schien sehr schweigsam zu sein. Das Geschenk aber hatte ihn redselig gemacht. Als er erfuhr, daß ich die Reise zu Pferde und in gleicher Gesellschaft machen werde, beglückwünschte er mich, daß ich so klug gewesen sei, diese Art des Fortkommens zu wählen. Er entwarf mir eine entsetzliche Schilderung der Reise in der Diligence, und ich fand diese Beschreibung später vollständig bestätigt.
Diese sogenannte Staatskutsche ist ein mehr als solid gebauter Wagen von riesigen Verhältnissen. Sie besteht aus Coupé, Cabriolet und Rotunde und bietet zehn bis zwölf Personen Platz. Sie wird gezogen von sieben gewöhnlich ausgehungerten „Rössern“, davon vier neben einander unmittelbar vor dem Wagen, vor denselben nur zwei, und vor diesen letzteren eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Ein anderer Peon sitzt auf dem hinteren Sattelpferde. Auf einem achten Tiere galoppiert ein dritter Reiter nebenher, welcher ohne Unterlaß, mit Grund oder ohne Grund, mit einer großen Hetzpeitsche auf die Pferde losschlägt, um sie anzutreiben.
Dem Vorreiter liegt es ob, dem unbeholfenen Fuhrwerke die Richtung zu geben. Der Kutscher, Mayoral genannt, thront vom oben, mit einem stereotyp verächtlichen Gesichte, aus welchem zu ersehen ist, daß es ihm höchst gleichgültig erscheint, ob die Fuhre glücklich von statten geht oder einige der Pferde totgehetzt liegen bleiben und er beim Umwerfen die gebrochenen Glieder der Passagiere aus dem Wagen auf die Pampa schüttet.
Man erlaubt den Pferden niemals, in Schritt zu gehen; auch der Trab ist selten und fällt dann schlecht und unregelmäßig aus. Meist oder vielmehr stets geht es im sausenden Galopp vorwärts, und grad an den schlechtesten und gefährlichsten Stellen wird dieser Galopp zum Rasen.
So kommt es, daß man per Diligence trotz des miserablen Weges pro Tag bis und über fünfzehn deutsche Meilen zurücklegt, eine Leistung, worüber ein deutscher Postillon den Kopf schütteln würde.
Wenn ich von einem Wege spreche, so ist das nur figürlich gemeint, denn einen Weg giebt es eben nicht. Man sieht keine Andeutung oder Spur eines solchen. Man fährt über die natürliche Fläche, wie sie eben geschaffen ist, und der Europäer traut seinen eigenen Augen nicht, wenn er sieht, daß auf einem solchen Terrain gefahren werden kann.
So geht es über Stock und Stein – auch nur figürlich gemeint, denn Stöcke oder Steine giebt es in der Pampa nicht, desto mehr aber Unebenheiten, ausgetrocknete Bäche und andere Erhöhungen und Vertiefungen, über und durch welche der Wagen wie im Fluge fortgerissen und fortgeschleudert wird, so daß die Reisenden unaufhörlich gegeneinander stoßen und ihnen Hören und Sehen vergehen möchte.
»War das Ihr Kopf, Sennor?«
»Nein, der Ihrige, Sennorita?«
»Herr, Sie treten mich ja an den Leib!«
»Nein, Sennor, Ihr Fuß stieß mir den Schenkel wund!«
»Haben Sie Ihr Leben versichert, Herr Nachbar?«
»Nein, denn wenn ich hier den Hals breche, was höchst wahrscheinlich ist, so bekommen lachende Erben den Betrag. Ich habe keine Familie.«
»Sie Glücklicher! Ich habe Frau und Kinder. Seit ich in dieser Diligence sitze, kann ich sie mir nur noch als verwitwet und verwaist denken.«
Solche und ähnliche Interjektionen, scherzhaft oder ernst gemeint, ertönen unablässig aus dem Munde der Passagiere, welche für ihr teures Geld am Rande des Todes dahingezerrt werden.
Der Kutscher schreit; der Vorreiter brüllt; der hinterste Peon wettert; der Seitenreiter flucht und haut wie verrückt auf die armen Tiere ein, welche, hungernd und entkräftet, kaum mehr vorwärts können. Die wilde Jagd geht steil bergab in den Fluß hinein, welcher hoch aufschäumt. Halb vom Wasser getragen und halb von den Pferden gerissen, gelangt der Wagen, als ob er einzelne Sprünge mache, an das andere Ufer und wird unter Heulen, Schreien und Peitschenhieben an demselben emporgezerrt. Dort hält die zerlumpte Schar. Ein Pferd ist gestürzt. Man durchschneidet den Riemen, mit dem es an den Wagen gehängt war, nimmt ihm den Sattel ab, und dann geht es weiter, weiter, weiter!
Dem Pferde hängt die Zunge aus dem weit offenen Maule. Seine Flanken schlagen, und aus den Augen bricht ein jammernder Blick. In zwei – drei Minuten ist es von Raubvögeln umgeben, welche nur auf die letzte Bewegung des zu Tode gehetzten Tieres warten, um ihm das warme Fleisch von den Knochen zu reißen.
Ueberall sieht man die gebleichten Knochen dieser armen Geschöpfe auf der Pampa liegen. Kein Mensch denkt sich etwas dabei. Pferde giebt es im Ueberflusse. Eine Stute kostet nach deutschem Gelde zwölf bis sechzehn Mark. Man schämt sich, auf Stuten zu reiten. Diese Tiere haben so wenig Wert, daß man mit ihren Knochen und ihrem Fette die Ziegelöfen heizt.
Einen Stall giebt es im ganzen Lande nicht. Die Pferde befinden sich bei Tag und Nacht, zur Winters- und Sommerszeit, in Sonnenglut und Gewitterstürmen im Freien. Sie genießen nicht die geringste Pflege. Eine Fütterung mit Hafer, Mais oder Heu giebt es nicht. Das Tier hat eben für sich selbst zu sorgen. Das einzige, was der Besitzer thut, ist, daß er ihm seinen Stempel einbrennt. Braucht er es, so wird die Herde von den Peons oder Gauchos in den Corral gehetzt und man fängt sich das betreffende Pferd mit dem Lasso heraus.
Uruguay wird von den Bewohnern desselben die Banda oriental, d.h. die östliche Seite, genannt, und der Uruguayense bezeichnet sich infolgedessen gerne als „Orientale“. Das Land stößt im Norden an Brasilien, im Westen an den Uruguayfluß, von welchem es den Namen hat, im Süden an den La Plata und im Osten an den atlantischen Ocean. Es ist durchweg welliges Hügelland, durch welches von Nordost nach Südwest, also in der Diagonale, der Rio Negro fließt, ein Fluß ungefähr von der Größe unserer Oder. Er läuft parallel einem Höhenzuge, welcher der Cuchillo grande genannt wird. Cuchillo heißt im Spanischen das Messer, und dieses Wort ist eine sehr treffende Bezeichnung für diesen schmalen, sich gleich einer Messerklinge erhebenden Gebirgszug. Die von Flüßchen und Bächen zerrissene, wellenförmige Fläche des Landes ist meist mit Gras bewachsene Pampa. Höchstens in den Furchen der genannten Wasserläufe findet man niedriges Buschwerk, welches nach Norden in Wald übergeht, ohne aber den eigentlichen Charakter eines geschlossenen Waldes anzunehmen.
Dörfer nach unserm Sinne giebt es in diesem Lande nicht, sondern nur größere Landgüter und einzelne Gehöfte. Unter diesen ersteren muß man eine Unterscheidung zwischen Estancias, das sind Viehgüter, und Haziendas, das sind Ackerbaugüter, treffen. So ein Gehöft besteht meist aus weiß getünchten Gebäuden und nimmt sich aus der Ferne recht stattlich aus, zeigt sich aber in der Nähe als ein höchst einfaches und aus mangelhaftem Materiale hergestelltes Bauwerk.
Ranchos sind kleinere Güter, in welchen die weniger wohlhabenden Leute wohnen. Die mit Stroh oder Schilf gedeckten Mauern eines solchen bestehen meist aus festgestampftem Rasen.
Der Viehstand des Landes ist sehr bedeutend. Wenn man durch dasselbe reitet oder fährt, so kann man nach jeder halben Stunde eine große Herde von Hornvieh, Pferden oder Schafen zu sehen bekommen. Ein ausgewachsener, vollwichtiger Schlachtochse kostet kaum fünfzig Mark, eine Pferdestute, wie bereits erwähnt, höchstens sechzehn Mark. Bei diesen Preisen achtet der Besitzer das einzelne Stück gering; es ist ihm gleichgültig, ob es hungert und dürstet oder von den Peons tot gequält wird. Ein „Orientale“ würde die teilnehmende Fürsorge, welche ein armer deutscher Landmann seinem Pferde, seiner Kuh, ja seiner Ziege und sogar seinem Schweine widmet, laut verlachen.
Es war nahe an neun Uhr, als lautes Pferdegetrappel mich veranlaßte, an das Fenster zu treten. Da unten hielten die sechs Yerbateros. Der Anblick, welchen sie boten, war köstlich.
Die Reiter habe ich schon beschrieben. Sie waren heute nicht anders und besser gekleidet als gestern. Ihre Pferde paßten zu ihnen. Es waren magere, ruppige, struppige Gäule. Aber wie waren sie gesattelt und aufgezäumt! Das Lederzeug war mit Silber geschmückt. Federn und Quasten wankten auf den Köpfen und von denselben herab. Die Sattelponchos waren mit klingenden Schellen versehen, und in die Schwänze hatte man bunte Seidenbänder eingeflochten. Auch die Steigbügel waren von Silber, aber eben nur groß genug für eine Zehe. Die Reiter hatten an ihre nackten Füße Sporen geschnallt, deren Räder wohl vier Zoll im Durchmesser hatten. Wie sehr man sich dieser Sporen bediente, das bewiesen die blutrünstigen und eiternden Stellen rechts und links in den Weichen der Pferde.
So einen Aufputz liebt der Südamerikaner,