Am Rio de la Plata. Karl May

Am Rio de la Plata - Karl May


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ich jetzt nach Südamerika ging, mir einige Bücher gekauft, welche die Sprachen der hiesigen Indianerstämme behandeln. So habe ich mich über zwei Monate lang mit dem Kitschua beschäftigt. Also muß die Schrift, von welcher Sie sprachen, mich lebhaft interessieren. Wer ist denn im Besitze derselben?«

      »Eben der Kamerad, welchen ich Ihnen als den besten Sendador empfohlen habe.«

      »Er ist der Eigentümer des Dokumentes?«

      »Ja. Er hat es von einem sterbenden Mönch erhalten.«

      »Warum wurde gerade ihm das Geschenk gemacht?«

      »Weil er den Mönch als Führer begleitete. Sie waren nur zu zweien! Kein Mensch befand sich bei ihnen. Er brachte den frommen Herrn von jenseits der Anden her-

      über und sollte ihn bis nach Tucuman ins Kloster der Dominikaner geleiten. Unterwegs aber wurde der Padre, welcher sehr alt war, plötzlich so krank, daß er starb. Kurz vor seinem Tode übergab er dem Sendador die Schrift. Ich habe sie früher gesehen. Es sind zwei Zeichnungen dabei.«

      »Konnten Sie sie nicht lesen?«

      »Nein. Aber der Sendador ist ein halber Gelehrter. Er hat sie jahrelang durchstudiert. Er glaubte, seiner Sache ganz sicher zu sein, und nahm mich mit an die beiden Orte, aber er hatte sich doch nicht richtig informiert, denn wir fanden nichts.«

      »Hat er Ihnen denn nichts über den Inhalt der Schrift mitgeteilt?«

      »Alles, was er wußte.«

      »Darf ich das erfahren, was Sie sich gemerkt haben?«

      »Jener Padre war ein gelehrter Mann. Er hatte sich die Erlaubnis ausgewirkt, nach Peru zu gehen und gelehrte Schnuren aufbinden zu dürfen – —«

      »Nicht aufknüpfen? Sie meinen entziffern.«

      »Ja. Es hat da ein Volk gegeben, die Inkas genannt, welche, anstatt zu schreiben, Schnuren knüpften. Ich habe gewußt, wie diese Schnuren genannt werden, es aber wieder vergessen.«

      »Kipus?«

      »Ja, so war das Wort.«

      »Jeder Kipus besteht aus einem Schnurenbündel, das heißt aus einer Hauptschnur, an welche dünnere Nebenschnüre von verschiedener Farbe verschiedenartig angeknotet wurden. Jede Farbe und jede Art der Knoten hatte ihre eigene Bedeutung.«

      »So ist es. Grad so hat mir auch der Sendador gesagt. Solcher Kipus sollen viele vergraben und verborgen liegen. Der Padre hat nach ihnen gesucht und auch welche gefunden. Er hat sich lange, lange Jahre bemüht, ihre Bedeutung zu enträtseln, und das ist ihm endlich auch gelungen. Eine alte Indianerin, welche er von einer Krankheit geheilt hatte und die ihm deshalb wohlwollte, schenkte ihm zwei Kipus, welche sie von ihren Vorfahren überkommen hatte. Sie konnte sie nicht lesen, aber sie hatte überliefert bekommen, daß es sich um große Schätze handle. Der Padre hatte auch diese beiden enträtselt. Ueber die andern Kipus hat er ein Buch geschrieben, welches aber nicht gedruckt worden ist. Den Inhalt dieser beiden hat er geheim gehalten; er hat sie nach Tucuman bringen wollen und sie vorher übersetzt, oder, wie es wohl richtiger ist, die Knoten und Farben in Buchstaben verwandelt. Leider ist er, wie bereits erwähnt, unterwegs gestorben und hat die Uebersetzung dem Sendador vermacht.«

      »Nicht auch die Kipus?«

      »Nein. Die hat er in Peru in seiner Sammlung gelassen, wohin er zurückkehren wollte.«

      »Hm! Vielleicht ist er nur der Schätze wegen über die Anden gegangen. Und nach Tucuman hat er gewollt, zu den Dominikanern?«

      »Ja.«

      »So kommt mir Ihr Sendador verdächtig vor.«

      »Warum?«

      »Sagen Sie mir erst, was Sie über den Inhalt des Schreibens wissen.«

      »Nun, es hat zwei berühmte Inkas gegeben, welche sich durch sehr glückliche Kriege ausgezeichnet haben. Während dieser Kriege sind große Schätze versteckt worden, welche bis heute noch nicht gehoben sind. Eine Stadt hat am See gelegen. Die Bewohner derselben haben, bevor die Belagerung begann, alle ihre silbernen und goldenen Gefäße in den See gesenkt. Sie wurden besiegt und ausgerottet. Die Schätze liegen noch jetzt auf dem Grunde des Sees, und niemand, als nur der eine Kipu, weiß davon.«

      »Wie aber ist dieser Kipu erhalten worden? Er hat sich doch in der betreffenden Stadt in Verwahrung befunden?«

      »Es ist einigen gelungen, zu entfliehen. Die haben ihn mitgenommen. Sie haben sich nach einem höher im Gebirge gelegenen Orte geflüchtet; aber auch dorthin ist der Sieger ihnen gefolgt. Die Bewohner dieses letzteren Ortes haben ihre Schätze in einen alten Schacht versteckt und den Eingang desselben so vermauert, daß er von seiner Umgebung nicht zu unterscheiden gewesen ist. Da sie sich nicht freiwillig ergeben haben, sind auch sie getötet worden. Einer war nicht tot, sondern nur verwundet. Er ist des Nachts davongekrochen und entkommen. Später kehrte er zurück in das Haus des Kaziken des Ortes, wo die Kipus verborgen lägen. Das Haus lag in Trümmern, aber das Versteck war unversehrt. Der Mann nahm die beiden Kipus mit sich. Er fand keine Gelegenheit, sie zu benutzen; vielleicht konnte er sie nicht einmal lesen, denn der Sendador sagte mir, daß nicht alle Inkas die Knoten haben lesen können. Der Mann vererbte die Kipus weiter, bis sie an die Frau kamen, welche sie dem Padre gab.«

      »Sennor, wenn das kein Roman ist, so giebt es überhaupt keinen Roman.«

      »Sie glauben mir nicht?«

      »Ihnen glaube ich gern; aber das, was man Ihnen gesagt hat, möchte ich bezweifeln.«

      »Der Sendador belügt mich nicht!«

      »Mag sein. Vielleicht hat er sich selbst getäuscht. Es kommen in dieser Geschichte einige bedeutende Unwahrscheinlichkeiten vor. Und dann habe ich den Sendador im Verdachte der Unterschlagung. «

      »Meinen alten, ehrlichen Freund in einem solchen Verdachte! Wäre Ihnen dieser Mann so bekannt, wie mir, so würden Sie sich hüten, ein solches Wort auszusprechen.«

      »Und dennoch muß ich Sie damit betrüben, daß ich Ihnen mitteile, dieser Verdacht habe einen sehr triftigen Grund. Hatte der Sendador den Padre schon früher gesehen, bevor er von diesem als Führer engagiert wurde?«

      »Nein. Mein Freund hat dies einigemale erwähnt.«

      »Er kannte ihn also bis dahin nicht, war auch weder ein Freund noch ein Verwandter des frommen Herrn?«

      »Weder das eine noch das andere.«

      »Hat der Sendador ihm während ihres Gebirgsüberganges vielleicht einen ganz besonderen Dienst erwiesen?«

      »Nein. Warum fragen Sie so? Wie hängt das mit den beiden Kipus zusammen?«

      »Sehr eng. Wo liegen die beiden Orte, an denen die Schätze verborgen sein sollen? In der Nähe von Tucuman?«

      »Sie sind im Gegenteile sehr entfernt von dieser Stadt.«

      »Nun, warum hat der Padre sich nach Tucuman begeben und nicht nach den erwähnten Orten? Sie geben doch zu, daß ein Uebergang über die Anden nicht nur beschwerlich, sondern auch gefährlich ist, für einen alten Herrn sogar lebensgefährlich?«

      »Das ist wahr. Für alte Leute bringt die außerordentlich dünne Luft und der dadurch verursachte Blutandrang stets eine Lebensgefahr hervor.«

      »Sie haben gesagt, der Padre sei ein alter Herr gewesen. Die Reise war also lebensgefährlich für ihn.

      Einer solchen Gefahr setzt man sich aber nur dann aus, wenn man von wichtigen Gründen dazu gedrängt wird. Er hat gewiß die Schätze heben wollen. Ein Padre aber trachtet nicht nach irdischem Besitz. Wenn er dennoch nach dem Schatze gestrebt hat, so hat er ihn jedenfalls nicht für sich, sondern für andere erlangen wollen. Geben Sie das zu?«

      »Ja, denn Ihre Gründe zwingen mich.«

      »Wer könnte es nun wohl sein, für welche er die Schätze bestimmt hat? Sollte etwa der Sendador der Erbe sein?«

      »Anfangs lag das wohl nicht in der Absicht des Mönches.«

      »Wahrscheinlich auch später nicht. Der Sendador sollte überhaupt von der ganzen Angelegenheit nichts erfahren. Erst in der Nähe


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