Am Rio de la Plata. Karl May
Sie nicht unser Gast, so würden wir Sie vielleicht ein wenig auslachen, Sennor. Sie sprechen von wohlangelegten Pflanzungen. Sie meinen Theeplantagen? Zur Erntezeit begeben sich dann die Arbeiter in diesen Garten und pflücken die Blätter ab?«
»So ungefähr habe ich es mir vorgestellt, ganz analog der Art und Weise, wie der chinesische Thee kultiviert wird.«
»Dachte es mir. Aber da befinden Sie sich in einem gewaltigen Irrtume, Sennor. Ich werde Ihnen das erklären, wenn wir bedient worden sind.«
Das Mädchen begann jetzt nämlich, den Tisch zu decken. Was machte ich für Augen, als diese barfüßigen Leute silberne Bestecke vorgelegt erhielten! Das Geschirr bestand aus feinstem Sèvres, und was die Speisen betraf, so konnte man sie im besten Restaurant eines Pariser Boulevards oder unter den Linden nicht besser haben.
Es gab außer der Suppe sechs Gänge und zuletzt feines Backwerk und die Früchte dreier Erdteile in Menge. Dabei machte Monteso den Wirt in der Weise eines Schloßherrn, welcher gewohnt ist, zu repräsentieren. Und während er mit der Eleganz einer Hofdame speiste und mir immer nur das beste zuteilte, fuhr er in seiner Erklärung fort:
»Der echte Yerbatero holt den Thee aus den Urwäldern, oft aus Gegenden, welche nie eines Menschen Fuß betrat, aus Gegenden, in denen er jeden Schritt breit den Jaguars, Pumas, Krokodilen und wilden Indianern abzukämpfen hat. Haben Sie davon noch nichts gehört?«
»O doch, aber ich habe geglaubt, daß dies nur ausnahmsweise vorkomme. Ich bin gespannt, etwas Näheres über das Leben des Yerbatero zu hören.«
»Nun, was im allgemeinen darüber gesagt werden kann, das ist sehr bald mitgeteilt. Der Yerbatero geht natürlich nicht allein in die Wildnis. Ein Unternehmer engagiert zehn, zwanzig oder auch dreißig von ihnen und sorgt für ihre Ausrüstung. Er versieht sie mit Ponchos und andern Kleidungsstücken, mit Messern, Aexten, Waffen, Branntwein, Tabak und sonstigen Bedürfnissen. Sodann muß eine hinlängliche Anzahl von Stieren zusammengebracht werden, deren Fleisch während der Zeit des Sammelns als Nahrung dient und deren Felle zum Einpacken des Thees verwendet werden. Die Gesellschaft der Yerbateros wählt oder erhält einen Anführer, dem alle während der Saison unbedingt zu gehorchen haben. Dann wird aufgebrochen. Im Urwalde angekommen, bestimmt der Anführer die Stelle, an welcher das Lager errichtet werden soll. Von da aus zerstreuen sich die Leute je zwei und zwei nach den verschiedenen Richtungen, um zu arbeiten. Man sammelt diejenigen kleinen Zweige, welche viele Blätter und junge Schößlinge besitzen, beschneidet sie und trägt sie in den Ponchos oder mittels Riemen zweimal des Tages nach der Hütte, in welcher man zusammentrifft, um das Mittags- und Abendbrot zu essen. Diese Arbeit wird je nach den Umständen wochen- und auch monatelang fortgesetzt. Sind eine hinreichende Menge von Yerbazweigen vorhanden und auch genug Ochsen geschlachtet, deren Felle als Emballage dienen, so wird in der Nähe der Hütte ein hohes Gestell errichtet, unter welchem die Erde so hart und fest wie möglich geschlagen werden muß. Auf dieses Gerüst legt man die gesammelten Zweige und brennt unter demselben ein Feuer an, welches die Zweige leicht anrösten muß. Ist das geschehen, so wird die Asche entfernt und man nimmt die Yerba vom Gerüste, um sie auf dem heißen Erdboden vollends zu dörren, damit sie die nötige Sprödigkeit erhalten, um zu Pulver zerrieben werden zu können. Dieses letztere geschieht, indem man sie mit Stöcken tüchtig klopft. Indessen sind die Ochsenfelle je in zwei Teile zerschnitten, gehörig eingeweicht und dann so zusammengenäht worden, daß Säcke oder Ballen entstehen, welche fast würfelförmige Form besitzen. In diese Ballen wird das Pulver gepackt und so fest mit hölzernen Schlägeln bearbeitet, daß der Pack, wenn er oben zugenäht worden ist, die Härte eines Steines besitzt. So ein Ballen ist nicht groß, kann aber leicht bis gegen dreihundert Pfund wiegen.«
»Ich höre, daß das Theesammeln allerdings etwas anderes ist als ich mir gedacht habe. Es gleicht dem Leben eines Fallenstellers oder eines Bienenjägers in den Vereinigten Staaten.«
»Dieser Vergleich ist sehr zutreffend, wenn auch nicht erschöpfend. Sie werden andrer Meinung sein, wenn Sie Länder und Völker durch den Augenschein kennen lernen.«
»Das ist eben mein Bestreben. Darum reise ich! Ganz besonders wollte ich die Pampas kennen lernen.«
»Den Urwald nicht?«
»Natürlich auch.«
Und sind Sie an eine bestimmte Zeit gebunden? Giebt es einen Zeitpunkt, an welchem Ihre Reise zu Ende sein muß?«
»Nein. Ich bin vollständig Herr meiner Zeit.«
»Aber, Sennor, was hält Sie denn ab, mit uns auf einige Wochen nach dem Urwalde zu kommen?«
»Eigentlich gar nichts.«
»So kommen Sie doch mit uns! Lernen Sie das Leben eines Yerbatero kennen! Haben Sie vielleicht schon einmal vom Gran Chaco gehört? Eine hochinteressante Gegend, wie Sie erfahren werden, wenn Sie sich entschließen, mit uns zu kommen. Wir treffen dort den Sendador, welchen ich Ihnen als den besten Führer empfohlen habe. Er wartet auf uns. Ich habe da etwas Besonderes zu thun.«
»Darf ich nicht erfahren, was das ist?«
»Hm!« brummte er. »Es ist eigentlich ein Geheimnis; aber Ihnen können wir es anvertrauen, vorausgesetzt, daß Sie uns nicht auslachen wollen.«
»Was denken Sie von mir, Sennor! Ich, der Neuling, welcher von den hiesigen Verhältnissen so gut wie gar nichts kennt, sollte Sie auslachen, Männer, welche mir so weit überlegen sind, wie ein Professor dem Schulknaben!«
Er strich sich geschmeichelt den Bart, warf einen fragenden Blick auf seine Kameraden, und als sie ihm beistimmend zunickten, wendete er sich an mich:
»Sie sind jahrelang bei den nördlichen Indianern gewesen und verstehen also, mit Waffen und Pferden umzugehen. Heute habe ich bemerkt, daß Sie geistesgegenwärtig sind und mehr Kenntnisse haben, als wir sechs zusammengenommen. Ich denke also, daß Sie der Mann sind, welchen wir brauchen können. Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen. Vorher aber muß ich eine Frage aussprechen, um deren aufrichtige Beantwortung ich Sie dringend ersuche.«
»Fragen Sie!«
»Gut! Ich werde fragen. Aber lachen Sie uns ja nicht aus. So sagen Sie uns einmal, was würden Sie thun, wenn Sie einen Ort wüßten, an welchem ein Schatz vergraben liegt?«
»Ich würde den rechtmäßigen Besitzer darauf aufmerksam machen.«
»Rechtmäßigen Besitzer! So! Hm! Aber wenn nun kein solcher rechtmäßiger und überhaupt kein Besitzer vorhanden wäre?«
»So würde ich den Schatz für mich heben.«
»Verstehen Sie sich denn auf Magie?«
»Unsinn! Magie giebt es gar nicht. Und Magie hat man nicht nötig, um einen Schatz zu heben. Weiß man, wo einer vergraben liegt, da mag man getrost nachgraben, zu jeder beliebigen Zeit des Tages oder der Nacht; man wird ihn sicher finden.«
»So! Hm!« brummte er nach seiner Gewohnheit. »Wenn das wahr wäre, so sollte es mich freuen.«
»Es ist wahr.«
»Nun, Sennor, Sie sind gelehrter als wir alle, und wie Sie Ihre Ueberzeugungen vorbringen, haben sie einen Klang, daß man ihnen glauben muß. Ich sehe ein, daß Sie der Mann sind, den wir brauchen. Wir wissen nämlich einen Ort, an welchem ein Schatz zu heben ist, sogar zwei solche Orte.«
»So eilen Sie hin, die Schätze schleunigst zu heben.«
»Hm! Ja, wenn das so schnell ginge! Ich bin schon dort gewesen, habe aber nichts entdeckt. Den Ort kennen wir ganz genau; aber die betreffende Stelle konnten wir nicht finden, weil wir nicht gelehrt genug waren, die Schrift zu verstehen.«
»Aha! Es handelt sich also um eine Schrift?«
»Ja, leider! Sie sind ein Gelehrter, und darum – —«
»Bitte!« unterbrach ich ihn. »Muten Sie mir nicht zu viel zu. In welcher Sprache ist die Schrift verfaßt?«
»In der Inkasprache, aber mit lateinischen Buchstaben geschrieben, im sogenannten Kitschua.«
»Das ist im höchsten Grade interessant, zumal für mich!«
»Warum