Am Rio de la Plata. Karl May
sich, und ihr Benehmen wurde gemessener.
»Nun, da Sie partout nicht wollen, zwingen können wir Sie nicht,« sagte Rixio endlich fast zornig. »Hoffentlich aber werden Sie wenigstens Ihr Wort halten und den Inhalt unsers Gespräches bis auf weiteres keinem unserer Gegner mitteilen?«
»Ich werde überhaupt zu keinem Menschen davon sprechen.«
»Wie lange gedenken Sie hier im Lande zu verweilen?«
»Ich reite quer durch dasselbe, und zwar voraussichtlich ohne jeden Aufenthalt. Sie kennen die Entfernungen besser als ich und werden also wissen, daß ich in wenigen Tagen die Grenze hinter mir haben werde.«
»Das ist gut für Sie. Ihre Aehnlichkeit kann Ihnen sehr leicht große Fatalitäten bereiten, nachdem Sie die Vorteile, welche wir Ihnen boten, zurückgewiesen haben. Darum rate ich Ihnen in Ihrem eigenen Interesse, sich nirgends zu verweilen.«
»Diesem freundlichen Rate werde ich so eilig nachkommen, daß ich denselben schon auf meinen hiesigen Aufenthalt in Anwendung bringe. Ich werde sofort aufbrechen.«
Er hatte zuletzt in fast gehässigem Tone gesprochen. Das verdroß mich natürlich. Darum wendete ich mich kurz ab nach der Thüre.
»Bitte, Sennor,« rief er mir nach. »So war es nicht gemeint. Mein Haus steht Ihnen zur Verfügung, so lange Sie es wünschen. Uebrigens war es doch bestimmt, daß mein Sohn mit Ihnen reiten werde.«
»Dann muß ich denselben bitten, sich mit dem Aufbruche zu beeilen. In einer halben Stunde liegt San José hinter mir.«
»So schnell kann ich nicht,« erklärte der Offizier. »Es hat sich herausgestellt, daß ich erst am Nachmittage fort kann.«
Das war nur Vorwand. Ich sagte, daß ich so lange nicht warten könne, und begab mich in den Stall, um mein Pferd selbst zu satteln. Dann verabschiedete ich mich von der Familie, von welcher der so herzlich aufgenommene Fremde sehr kalt entlassen wurde. Wie es gewöhnlich zu sein pflegt, war die Höhe der Trinkgelder, welche ich zu geben hatte, größer als der Wert des Genossenen.
Im Posthause fand ich die Yerbateros meiner wartend. Monteso benachrichtigte mich gleich bei meinem Eintritte:
»Sennor, Sie haben recht gehabt: Der Polizeikommissar ist nicht nach Montevideo geritten. Gestern abend lungerte er draußen auf dem Hofe herum; als er mich sah, machte er sich schleunigst von dannen. Er führte irgend etwas im Schilde.«
»Wir müssen vorsichtig sein. Wie weit reiten wir heute?«
»Nach Perdido, einer Station für die Diligence, aber mit allen möglichen Bequemlichkeiten ausgestattet.«
»Sie haben dem angeblichen Polizisten natürlich unsere Reiseroute mitgeteilt?«
»Ja.«
»Das ist nun leider nicht zu ändern.«
»O doch ist es zu ändern. Wir bleiben an einem andern Orte.«
»Hm! Dieser Vorschlag ist nicht übel, doch läßt sich auch einiges gegen denselben einwenden. Sie sagen, Perdido sei nur Station, also ein einzelnes, freistehendes Gebäude?«
»Es liegt in einer weiten Ebene. Man hat von da einen bedeutenden Fernblick.«
»So ist es besser, dort zu bleiben. Wir wissen, daß dieser Mensch kommen wird, und können also unsere Maßregeln treffen. Wir sehen ihn wohl sogar kommen. Nehmen wir aber anderswo Quartier, so haben wir keine solche Sicherheit.«
»Ich stimme Ihnen bei. Wann brechen wir auf, Sennor?«
»So bald wie möglich, am allerliebsten gleich.«
»Das kann geschehen. Wir sind fertig und haben hier gar nichts mehr zu suchen.«
Sogar die Pferde der Yerbateros standen schon gesattelt. Fünf Minuten später hatten wir die Stadt hinter uns, in welcher ich der ersten südamerikanischen Tertullia beigewohnt hatte.
Ueber die Gegend, durch welche wir kamen, läßt sich nur das bereits Gesagte wiederholen. Sie bleibt sich durch ganz Uruguay gleich. sanfte Bodenwellen mit Vertiefungen dazwischen, schmale, tief eingeschnittene Bäche oder kleine Flüsse, welche dem Rio Negro zustreben, Camposgras und wieder Camposgras – es ist die Einförmigkeit im vollsten Sinne des Wortes.
Kurz nach Mittag sahen wir ein ziemlich großes Gebäude vor uns liegen, ein Posthaus mit Schenke und Kramladen, das an einem Flüßchen lag. Weit über dieser Station draußen sahen wir einen Reiter, welcher im Galoppe nach Westen ritt und also von dem Hause kam, bei welchem wir anhalten wollten.
Dort angekommen, erkundigte ich mich nach dem Reiter. Er hatte mehrere Stunden lang vor dem Hause gesessen und war dann, als er uns kommen sah, in den Sattel gestiegen und davongeritten. Die Beschreibung, welche der Wirt lieferte, stimmte ganz genau. Es war Mateo, der frühere Kaufmannslehrling. Eine Stunde hinter dieser Station kamen wir an die Cuchilla grande, den bereits erwähnten Gebirgszug. Aber von Bergen war auch hier keine Rede. Auf unbedeutenden Bodenerhebungen standen einzelne Felsen, welche den Ueberresten einer zerfallenen Mauer glichen. Das war das Gebirge.
Als wir es durchkreuzt hatten, gab es wieder die vorige wellenförmige Ebene, deren Grasfläche zuweilen von einem ausgedehnten Distelfelde unterbrochen wurde. Die Disteln hatten mehr als Manneshöhe. Sie verbreiten sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit und nehmen den Bewohnern des Landes nach und nach die besten Weideflächen weg. Zwischen ihnen verbirgt sich allerlei Getier. Ich hörte, daß sie sogar Hirschen und Straußen zum Aufenthaltsorte dienen, konnte aber keins dieser Tiere erblicken. So ging es fort bis gegen Abend. Die Pferde der Yerbateros begannen zu ermüden. Sie mußten durch Peitsche und Sporen angetrieben werden. Mein Brauner aber hielt vortrefflich aus.
Als die Sonne im Westen verschwinden wollte, erreichten wir unser heutiges Ziel. Es lag am Rio Perdido und führte denselben Namen. Das Gebäude bestand aus Wänden von festgerammter Erde und war mit Schilf gedeckt. Eine alte Magd und zwei Peons waren zur Stelle. Wir erfuhren, daß der Besitzer in Mercedes abwesend sei und erst morgen wiederkomme.
Die Station liegt in sehr einsamer Gegend, dennoch wurden uns gute Betten und ein ebenso gutes und auch billiges Abendessen geboten.
Die Einsamkeit pflegt den Menschen wortkarg zu machen. Den beiden Peons hätte man jede Silbe abkaufen mögen. Die Magd war gesprächiger. Ich erkundigte mich, ob im Laufe des Nachmittags ein Reiter hier eingekehrt sei. Als die Peons diese Frage hörten, verließen sie die Stube. Ich sah ihren Gesichtern an, daß sie diese Frage erwartet hatten, aber von der Beantwortung derselben nichts wissen wollten. Die Magd hielt mir stand, aber mit sichtlichem Widerwillen. Sie verneinte meine Frage, doch sah ich ihr an, daß sie mich belog.
»Sennorita, wollen Sie einem Caballero, der sich so offen an Sie wendet, eine Unwahrheit sagen?« fragte ich. »Sie haben so ein gutes, ehrliches Gesicht. Ich denke nicht, daß Sie es über das Herz bringen werden, mich zu täuschen.«
Ich hatte sie trotz ihres Alters Sennorita, also Fräulein genannt. Dazu kam der zutrauliche Ton, in welchem ich sprach. Sie konnte nicht widerstehen.
»Ja, Sennor, Sie haben das Aussehen eines Caballero,« sagte sie; »aber ich bin gewarnt worden.«
»Von wem?«
»Von eben dem Reiter, nach welchem Sie sich erkundigen.«
»Was hat er gesagt?«
»Das darf ich nicht verraten.«
»So thut es mir leid, daß Sie zu einem Bösewicht mehr Vertrauen haben, als zu einem ehrlichen Menschen.«
Ihr Gesicht wurde immer verlegener.
»Mein Gott!« stieß sie hervor. »Dieser Reiter hat auch gesagt, daß er ein ehrlicher Mann sei, Sie aber ein böser Mensch.«
»Das ist Lüge.«
»Er vertraute uns sogar an, daß er ein Kriminalbeamter aus der Stadt Montevideo sei.«
»Weshalb reiste er?«
»Er wollte Ihnen voraus nach Mercedes, damit Sie dort sogleich bei Ihrer Ankunft arretiert werden könnten.«
»Hat er Ihnen gesagt, was ich begangen haben soll?«
»Ja.