Im Lande des Mahdi III. Karl May

Im Lande des Mahdi III - Karl May


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dem Mokkadem eine andere Lage, sodaß derselbe hinaufsehen konnte. Als der Gefangene den Gehenkten erblickte, war er für eine ganze Minute still, doch schienen seine Augen aus ihren Höhlen treten zu wollen. Dann schrie er im Tone des Entsetzens auf:

      »Wer ist das? Täuschen mich meine Augen? O Allah, Allah, Allah! Das ist ja – — – das ist der Muza‘bir!«

      »Ja, der Muza‘bir,« nickte der Reis Effendina. »Er dünkte sich so erhaben über uns, daß wir ihn so hoch erhoben, um uns in Demut vor ihm neigen zu können. Da wir wissen, daß du noch über ihm stehst, werden wir dir einen noch höheren Platz anweisen.«

      »Mir? Wollt ihr – mich – mich etwa – —?«

      Er brachte die Frage nur stammelnd heraus, das letzte Wort blieb ihm gar im Munde stecken.

      »Aufhängen?« ergänzte der Emir. »Ja, aufgehängt wirst du werden. Was soll sonst mit dir geschehen?«

      »Un – un – unmöglich!«

      »Wir werden das Unmögliche möglich machen müssen, denn ich habe dem Muza‘bir, deinem Freunde, versprochen, daß du, noch ehe der Morgen graut, mit ihm an demselben Baume hängen werdest.«

      »Welch ein Mord! Welch ein Verbrechen! Was hat euch der Muza‘bir gethan? Sein Tod wird gerochen werden. Ich selbst werde zum Khedive gehen, und wehe, dreifach wehe dann den Mördern! Ich werde von jetzt an weder ruhen noch rasten, bis ich euch vernichtet habe. Ihr habt eure verruchten Hände erhoben, um – —«

      »Schweig‘, du Hundesohn!« donnerte ihn da der Emir an, welcher bis jetzt in ruhigem Tone gesprochen hatte. »Wie darfst du von Verruchtheit sprechen! Du selbst bist ja der Verruchteste unter den Verruchten! Meinst du, deine verrückten Worte und Drohungen seien für mich Haschisch, der mich betrunken macht? Du weißt, daß wir alle deine Missethaten kennen, und wagst es dennoch, mir zu drohen? Wenn du von so hoch oben herab mit mir reden willst, werde ich dir gleich den geeignetsten Platz dazu anweisen. Hinauf mit ihm, hinauf, und zwar um zwei Aeste höher als der Muza‘bir! Dann mag ihn seine heilige Kadirine, mit welcher er uns droht, vom Baume schneiden. Allah ist gerecht, und auch ich sage: Wehe dem, der wehe thut!«

      Zweites Kapitel: Gerechte Vergeltung

      Am sechsten Tage nach diesem der gnadenlosen Vergeltung gewidmeten Abende wand sich unser Zug wie eine endlos erscheinende Schlange durch einen Wald, dessen Riesenbäume ein Laubdach bildeten, durch welches selbst die Sonne des Sudan nicht einen Strahl zu senden vermochte. Wir befanden uns in immerwährender Dämmerung. Diese wäre uns sehr willkommen gewesen, denn sie schützte uns vor der glühenden Hitze, welche draußen auf dem offenen, wasserlosen Gelände alles Leben vernichtete; aber sie war wenigstens ebenso gefährlich wie dieser Sonnenbrand, denn unter den dichten Blätterhallen lag ein Boden, welcher unmöglich als Erde bezeichnet werden konnte. Sumpf, bodenlos tiefer Sumpf war es, in welchen die Giganten der Baumwelt ihre Wurzeln schlugen, ohne, was mir völlig unerklärlich schien, in demselben zu versinken.

      Ich hatte in den Vereinigten Staaten den Dismal-, Alligator-, Catfish-, Green- und Gum-Swamp kennen gelernt und seit jener Zeit geglaubt, daß kein Sumpf der Erde sich mit diesen Swamps zu messen vermöge, mußte aber jetzt einsehen, daß dieselben, verglichen mit der Region des oberen Niles, welche wir jetzt durchzogen, den Namen Sumpf gar nicht verdienen.

      Der Waldboden, auf welchem wir uns bewegten, war ein mit Wassermoos und anderen Sumpfpflanzen bedeckter, dicker Brei, welcher bei jedem Schritte den Reiter und sein Tier zu verschlingen drohte. Das schwappte und schnappte, klitschte und klatschte, schob sich nach vorn und schlickerte wieder zurück; ich kam aus der Sorge, in diesen Schlamm hinabgezogen zu werden, gar nicht heraus; ich glaubte jeden Augenblick, meinen Vordermann in dem klebrigen Teige verschwinden zu sehen, und doch verschwand er nicht und ich nicht und keiner von uns allen. Wie war das zu erklären? Ich konnte wohl diese Frage aufwerfen, aber nicht die Antwort darauf finden.

      Wir alle ritten, und zwar auf den schon erwähnten Ochsen. Voran kam eine Abteilung der Borkrieger, dann ein Trupp Asaker; dann folgten Lastochsen, dann wieder Soldaten und Lasttiere, worauf die andere Hälfte Bor den Zug beschlossen. Es war ein Glück für uns, daß die Schwarzen sich mit uns verbündet hatten, denn ohne sie hätten wir niemals unser Ziel erreicht, sondern wären in diesem unendlichen Sumpfe umgekommen. Sie aber kannten denselben, als ob er ihre Heimat sei. Ihre geübten Augen unterschieden mit Leichtigkeit die Stellen, denen man sich anvertrauen konnte; nur durften dies nicht zwei zugleich wagen, und darum ritten wir im Gänsemarsche, immer einer hinter dem andern. Ich bewunderte den Scharfblick und die Umsicht dieser Leute mehr und mehr und lernte hier auch – — Ochsen achten, denn ohne ihre Tiere hätten auch die Bor nicht fortkommen können. Diese Ochsen versanken fast bei jedem Schritte bis an das halbe Bein und zeigten doch niemals Ermüdung. Sie schienen sich hier ganz in ihrem Elemente zu befinden. Keiner wich zur Rechten oder Linken. Jeder wußte, daß er dem Vorgänger genau zu folgen habe. Das geschah nicht etwa in schnurgerader Richtung, sondern der Häuptling der Bor, welcher den Zug leitete, mußte sich nach der Tragfähigkeit des Bodens richten, und so kam es, daß wir zuweilen Windungen beschrieben, durch welche die letzten im Zuge den ersten ganz nahe kamen, während die in der Mitte Reitenden sich fern von Kopf und Schwanz befanden.

      So war es nun schon drei Tage lang gegangen, und wir hatten es redlich satt. Die Stechmücken machten uns entsetzlich zu schaffen; es gab kein festes Nachtlager; das Wasser ging aus, und das, was wir einatmeten, war nicht Luft, sondern geradezu Fieber zu nennen.

      Da ertönte vorn, wo der Häuptling ritt, in höchster Tonlage ein langgezogener Schrei, welcher augenblicklich von allen Bor wiederholt wurde. Agadi, der Dolmetscher, ritt zwischen dem Emir und mir in der Mitte des Zuges. Ich fragte ihn, was dieser Schrei zu bedeuten habe, und erhielt zur Antwort, daß er das Zeichen eines freudigen Ereignisses sei. Welches Ereignis gemeint war, erkannte ich schon nach wenigen Minuten, als ich einen Sonnenstrahl durch die lichter werdenden Wipfel fallen sah und die Luft, wie Nektar in der Kehle, mir leichter und belebend in die Lunge drang. Der Boden wurde fester; er begann zwischen den riesigen Stämmen zierliche Sträucher zu tragen. Meine Vorderleute ritten zu zweien, dreien und vieren neben einander. Alles deutete an, daß der Sumpf zu Ende sei, und hinter dem Emir ertönte Selims schnarrende Stimme:

      »Hamdulillah! Der große Brei ist überwunden. Er sperrte seinen Rachen auf, uns zu verschlingen; aber wir sind über ihn hinweggegangen wie die Helden, die sich vor keinem Drachen fürchten. Nun klappt er hinter uns sein großes Maul zusammen und verschwindet vor Aerger und Scham darüber, daß es ihm nicht gelungen ist, zu fressen Selim, den tapfern Ueberwinder aller Sümpfe und Moräste des Weltenalls!«

      Der alte Maulheld konnte eben keine Gelegenheit, sich in Wichs zu werfen, vorübergehen lassen; aber Ueberwinder aller Moräste des Weltalls, das übertraf alles, was ich bisher aus seinem Munde gehört hatte.

      Der Häuptling war halten geblieben, um uns an sich herankommen zu lassen, und sagte uns durch den Mund des Dolmetschers:

      »Der Sumpf ist hinter uns, und nun beginnt guter Weg. Bald werden wir Wasser trinken und Felder sehen, welche den Gohk gehören. Gegen Abend ziehen wir in Wagunda ein.«

      Es läßt sich denken, daß uns diese Botschaft hoch erfreute. Die bisher so stillen, mißmutigen Menschen wurden lebhaft und gesprächig, doch auch die Tiere schienen zu wissen, daß das Ziel nahe sei; sie ließen ihre Stimmen hören und drängten nach vorwärts, so daß unsere bisherige Ordnung nicht mehr einzuhalten war. Nach einiger Zeit drang uns ganz plötzlich der hellste, vollste Sonnenschein entgegen. Nach der bisherigen langen Dämmerung war es, als ob uns ein förmliches Lichtmeer entgegenflute. Es war Mittag; aber wir fühlten die hier herrschende Glut nur als Wärme, welche unsere Körper wohlthuend durchdrang und alle unsere Sinne neu belebte.

      Der Urwald hörte auf. Er stieß an einen Fluß, an dessen anderem Ufer nur Schilf, untermischt mit Büschen, stand. Der Fluß war zwar breit, aber nicht tief. Sein Wasser hatte eine dunkle Farbe, und unsere Ochsen zeigten keine Lust, davon zu trinken. Er wurde jedenfalls von dem Sumpfe gespeist, durch welchen wir gekommen waren. Die Bor fanden nach kurzem Suchen eine Stelle, an welcher wir ihn durchreiten konnten. Dann ging es in der bisherigen Richtung weiter, immer nach Westen zu. Das Schilf, welches ich erwähnte, verschwand, die Büsche aber blieben. Sie bildeten Inseln in einem grünen Meere von Gras,


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