Der Ochsenkrieg. Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg - Ludwig  Ganghofer


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hob das Gesicht, sah den Amtmann an und betrachtete wieder das Blatt. »Herr, liegt da kein andrer Weidbrief nimmer für?«

      »Ich weiß von keinem.«

      Der Bauer legte das Blatt zurück. »Nachher muß da ein Irrtum sein, ich weiß nit, wo. Ist er bei uns Bauren, so geben wir schuldige Buß. Aber der Albmeister, der das Weidrecht hütet und die Schriften in Verwahr hat, ist ein redlichs Mannsbild. Ich glaub nit, daß er mit Wissen tät, was wider das Recht ist.«

      Der Amtmann schlug mit der flachen Hand auf das Dokument: »Da steht es aber doch! Auf dem Hängmoos darf kein Käser sein. Küh dürfen nicht weiden da! Bloß Ochsen.«

      Das ernste Steingesicht des Runotter bekam einen leisen Zug von Heiterkeit. »Der Herr muß sich nit aufregen. Es wird sich alles weisen. Der Weidbrief ist alt. Vor Zeiten ist auf dem Hängmoos schlechte Weid gewesen. So ein saures Gras! Drum wird man bloß Galtvieh aufgetrieben haben. Und der Ochsenhirt hat keinen Käser gebraucht. Drauf haben die Bauren den Weidboden so verbessert, daß Melkvieh hat grasen können. Und ich denk, da wird man das so ausgeredet haben —«

      »Davon weiß ich nichts. Eine andre Urkund ist nicht im Kasten. Beim Recht entscheidet nicht, was du denkst, und nicht, was ich denk. Beim Recht entscheidet Schrift und Siegel. Da liegt der Brief. Wie er’s zu Recht verlangt, so muß es gehalten sein. Der Käser auf dem Hängmoos muß weg. Die siebzehn Milchküh müssen herunter, die siebzehn Ochsen müssen hinauf.«

      Runotter, den seit achtzehn Jahren keiner hatte lachen sehen, mußte schmunzeln. »Herr, das Weidrecht geht doch ums Gras. Ist das nit ein Ding, ob das Gras von einer Kuh gefressen wird oder von einem Ochsen?«

      »Nein!« Herr Someiner geriet in Hitze. »Recht ist kein Rütlein, das man biegt. Da steht’s. Das Recht will Ochsen. Die Ochsen müssen hinauf!«

      Der Richtmann schwieg eine Weile. Dann sagte er ruhig: »Herr! Wegen siebzehn Ochsen, die statt der Küh auf dem Hängmoos fressen sollen, wird doch nit der gnädig Herr Fürst mit der Ramsauer Gnotschaft einen Krieg anheben?«

      »Krieg? Red nit so unbeschaffen! Krieg führen Herr und Herr miteinander, nicht Herr und Bauer. Da geht’s um Recht oder Unrecht, um Gehorsam oder schwere Buß.«

      Runotter stieß das Schwert, dessen Knauf seine Fäuste umklammerten, leicht auf den Boden hin. »Gut, Herr! Ich bin nit bockbeinig und will den nötigen Verstand haben —«

      Heftig unterbrach Herr Someiner: »Meinst du, den hab ich nicht?«

      »Das hab ich nit gesagt. Aber es könnt doch sein, daß der Irrtum auf Seit der Herren ist?«

      »Nein!« Der Amtmann schrie: »Bei mir ist alles geschrieben und gesiegelt. Mein Amt steht außerhalb des Irrtums. Und Recht muß Recht sein! Oder —«

      Runotter sah die schwellenden Adern über des Amtmanns Schläfen und sagte rasch: »Gut, Herr! Daß wir Fried halten — ich will, bis die Sach geklärt ist, auf dem Hängmooser Herd kein Feuer nimmer zünden lassen. Und will die Küh heruntertun. Und daß der Bauerschaft kein Schaden geschieht, drum will ich die siebzehn Küh derweil auf meinem Anger grasen lassen. Und die Ochsen tu ich hinauf. Das soll geschehen, sobald meine Leut neben der Heumahd Zeit haben.«

      »Zeit hin oder her! Der Mensch kann Geduld haben, das Recht hat Eil. Was du tun mußt nach Recht und Siegel, das wirst du tun bis morgen zur Mittagsstund! Sonst schick ich die Pfändung auf das Hängmoos, laß den Firstbalken aus dem Käser stoßen und laß die siebzehn Küh davontreiben als Pfand für Siegel und Recht.«

      »Herr«, fuhr es dem Richtmann heraus, »das wär doch Unverstand!«

      Bei diesem Wort streckte sich Herr Someiner. Seine Stimme klang höher und stieß gegen die Nase. »Redest du so mit mir? Weißt du nicht, daß ich hier steh an deines Fürsten Statt?«

      »Verzeihet, Herr, es ist mir nur so herausgerumpelt.« Der Bauer atmete schwer. »Ich trag seit achtzehn Jahr um meiner Kinder willen einen Zaum vor dem Maul. Aber diemal reißt er.«

      »Und dann kommt es, daß du redest, wie du denkst. Ja, Bauer!« Mißtrauisch und forschend musterte Herr Someiner den Richtmann. »Mir scheint, dich lern ich auch noch kennen! Doch was du geredet hast wider mich, das will ich um deiner Kinder willen vergessen. Aber Amt ist Amt. Nach Pflicht meines Amtes wird geschehen, was meines Fürsten Recht verlangt. Tu, was du willst! Morgen ums Mittagläuten ist die Pfändung auf dem Hängmoos. Fertig!« Er legte das gesiegelte Dokument in das Fach zurück und versperrte den eisenbeschlagenen Schrank.

      »Recht? Wo ist Recht?« Runotter drehte den Knauf des Schwertes zwischen den Fäusten. »Ihr saget: Amt ist Amt? Gut! Da hab ich jetzt einen Merk gekriegt. Ein Amt hab ich auch. Ich bin Richtmann der Ramsauer Gnotschaft, bin eingeschworen drauf, unser Recht zu wahren. Auf dem Hängmoos geschieht, was allweil geschehen ist. Die Ramsauer hätten nit so getan, wär nit ein Recht dabei. Und wo das Recht ist, braucht man nit Pfändung und Spießknecht fürchten. Herr! Jetzt tu ich amten und sag als Richtmann der Gnotschaft: Recht muß Recht sein, und der Hängmooser Käser soll stehen, wo er steht, und die siebzehn Milchküh bleiben auf der Alben.«

      Herr Someiner hatte die Arme verschränkt und stand gegen den versperrten Kasten gelehnt. »Nur weiter, weiter! Da weiß ich doch endlich, was du für einer bist. Noch gestern hab ich gesagt: Der Runotter ist von den Treuen und Verläßlichen einer!«

      »Das bin ich, Herr! Nit um Hofgunst. Jeder Mensch ist, wie er sein muß.«

      »Schön, Runotter! Du redest ja schon bald wie ein Bruder vom freien Geist! Ich merk, es fliegen Fledermäus im Land herum. Und heimliche Funken springen. Am Sonntag hat ein Rauschiger im Leuthaus die schweizerischen Eidgenossen leben lassen. Jetzt liegt er im Loch. Ich tu dich warnen, Runotter!«

      »Was Ihr da redet, Herr, das trifft mich nit! Ich hör nit drauf, wenn ein paar Narrenköpf von der Schweizer Freiheit tuscheln. Aber verzeihen könnt man’s —«

      »Was?« fragte der Amtmann scharf.

      »Daß ein Durstiger Sehnsucht hat nach einem Trunk. Und jetzt frag ich, Herr — mit den Ochsen vom Hängmoos — muß das wahrhaftig so sein, wie’s jetzt beredet ist?«

      »Recht muß Recht sein!«

      »Gut! Dann muß ich als Richtmann stehen beim Recht der Gnotschaft.« Runotter nahm die eiserne Schaller vom Fenstergesims und drückte sie über den Scheitel. »Deswegen bin ich kein Unverlässiger und kein Freigeistler. Mein Herrgott ist mein Herrgott, und mein Fürst ist mein Fürst.« Ein Schwanken kam in die Stimme des Bauern. »Der ist mir drum nit minder worden, weil sein Chorherr Hartneid Aschacher ein schlechtes Stück getan hat wider mein Weib und mein Leben.«

      Der Klang dieser Worte schien im eisenbeschlagenen Rippenschrank des Amtmanns etwas Menschliches aufzureißen. Er mußte seufzen. Doch er sagte streng: »Runotter, das gehört nicht vor mein Amt.«

      »Dann wird’s wohl vor ein Amt gehören, vor dem wir uns alle finden — einmal! Und solang ich noch auf der Welt steh, ist das gut, Herr Amtmann, daß der Chorherr Hartneid Aschacher im Kloster zu Chiemsee ein fürnehms Leben hat. So weit von uns.« Wie eine stählerne Klammer spannte sich die Faust des Bauern um die Scheide des Holdenschwertes. »Gottes Gruß, Gestreng Herr Amtmann!«

      Die schwergenagelten Schuhe des Bauern klappten auf der Diele, und leise klirrte an seinem Küraß die Kette des Schwertgehänges.

      Die Türe schloß sich. Und Herr Someiner sah sie mit wunderlichen Augen an, als müßte er sich besinnen, was da jetzt geschehen wäre.

      4

      Schritte weckten den Amtmann aus seiner Versonnenheit. Lampert trat aus der Kammer, vor Erregung zitternd. »Vater! Rufe diesen Mann zurück!«

      »Wen?« Herr Someiner erwachte. »Ach so?« Von der Straße hörte man den Hufschlag eines Gaules, der sich entfernte. »Da! Der reitet ja schon davon! So ein Dickschädel!«

      »Ich hol ihn noch ein. Darf ich?«

      »Nein!« Der Amtmann war ärgerlich.


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