Reise durch den Stillen Ozean. Max Buchner
nächste Morgen fand uns an der südöstlichen Ausweitung der Cooksstrasse. Vor uns lag die Palliser-Bay mit der Lootsenstation und links davon auf einem hohen Felsen stand der einsame Leuchtthurm von Penkarrow-Head. Mittags kam der Lootse an Bord, immer näher rückten die schroffen Ufer, an denen allenthalben die Brandung donnerte, und eine Lücke öffnete sich, der Eingang zu Port Nicholson, dem geräumigen Hafen von Wellington.
Von der Stadt war noch nichts zu sehen. Sie lag zur Linken versteckt hinter einer etwa 200 Meter hohen Felsenkulisse, und nicht früher als wir diese passirt hatten, kamen die äussersten Häuser ihres linken Flügels zum Vorschein.
Mitten im Hafen von Wellington liegt Somes Island, die kleine brandungumtoste Quarantäne-Insel aus einigen 60 bis 80 Meter hohen Hügeln bestehend, deren einer auf seiner Spitze vier stattliche kasernartige Gebäude trägt. Dorthin führte uns der Lootse, um auf den Besuch der Hafenbeamten zu warten. Mit unserer Typhusepidemie durften wir nicht an die Stadt gehen.
Leider trübte ein schwerer Unglücksfall den frohen Moment der Ankunft. Jan Maat begnügte sich nicht mit dem kräftigen Hurrah der Passagiere, welches das Niederrasseln des Ankers begleitete, es musste auch geschossen werden. Ohne Schiessen kein Vergnügen.
Ein alter verrosteter Böller erfreute sich schon seit mehreren Stunden der eifrigsten Reinigungsbestrebungen unseres Bootsmanns. Ich war beschäftigt, meine nicht sehr salonfähigen Reisekleider gegen eine etwas gewähltere Toilette zu vertauschen, als der erste Salutschuss ertönte und gleich darauf ein zweiter folgte. Meine Verwunderung wie es möglich sei, aus einem einzigen Geschütz innerhalb so kurzer Zeit zweimal zu feuern, war noch nicht zu Ende, als die Passagiere hereinstürzten und mich zu Hilfe riefen. Auf Deck herrschte grosse Aufregung, und Alles drängte nach einem Punkte, von welchem ich lautes Jammergeschrei vernahm. Ein pulvergeschwärztes gräulich entstelltes Gesicht, über welches Blut aus Augen, Mund und Nase rieselte, und welches ich nur dadurch als das eines hübschgewesenen jungen Mannes erkannte, dass seine Mutter verzweiflungsvoll ihn umarmt hielt, erklärte mir was geschehen war.
Ich hatte mich eben überzeugt, dass die Verletzung lange nicht so schlimm sei, und dass namentlich die Augen nur oberflächlich gelitten hatten, als ich von dem Steuermann stürmisch nach der Kajüte zurückgerufen wurde, wohin man mittlerweile den eigentlichen Verunglückten, den Bootsmann getragen hatte. Brüllend lag er auf dem Boden und krümmte sich in seinen Schmerzen, ringsum die verstörten Gesichter des Kapitäns und einiger Passagiere. Dieser Fall war bedeutender als der andere.
Ich musste einen Theil der zerschmetterten Hand amputiren, und noch im letzten Augenblick der Reise meine Instrumente hervorholen, nachdem ich sie glücklich fast unbenutzt bis ans Ziel gebracht hatte. Beide Verletzungen waren dadurch entstanden, dass der Bootsmann die zweite Kartusche, ohne auszuwischen, in das Geschütz schob, während dieses noch glimmende Reste der ersten Kartusche enthielt.
Eine kleine Dampfbarkasse bog alsbald um die nächsten Felsen und legte sich an unsere Seite. Sie enthielt den Immigration-Officer, den Regierungsarzt und den Hafenmeister sowie einen Maschinisten und einen Steurer, welcher letztere mir als der erste Maori, den ich sah, am interessantesten erschien. Doch zu ethnologischen Studien war jetzt keine Zeit. Ich stieg an der Jakobsleiter in die Barkasse hinab und stellte mich und unsere Gesundheitsverhältnisse vor. Trotz Allem, was der Lootse mir von der Strenge der bezüglichen Hafengesetze mitgetheilt hatte, hoffte ich noch, dass die Beamten uns gnädig sein und von einer längeren Quarantäne absehen möchten, da ja der Abdominaltyphus eine Krankheit ist, die in keiner grösseren Stadt fehlt, und die nicht erst durch uns in Neuseeland importirt zu werden brauchte.
Unser Schicksal wurde kurz entschieden. Die Kommission verhängte Quarantäne über uns, befahl dem Kapitän, sofort die Böte auszusetzen, um alle Passagiere, gesunde und kranke, an der Insel zu landen, und fuhr gleich wieder nach der Stadt zurück, ohne an Bord gewesen zu sein. Ich selbst wurde beauftragt, die Leitung der Quarantäne zu übernehmen.
Dies war nun ein sehr kühler Empfang, wie wir ihn nicht erwartet hatten. Und unsere Immigranten paradirten doch alle in ihrem schönsten Sonntagsstaat, und der Kapitän, der gänzlich ignorirt wurde, hatte doch alle Räume aufs Sorgfältigste rein machen lassen, viel reiner als sie jemals während der ganzen Reise gewesen. Alles vergebene Mühe. Und jetzt sollten auch noch die frischgestrichenen Böte ausgesetzt werden, an denen die Farbe noch kaum fest haftete, und an denen der Kapitän selbst mit Liebe herumgekleckst hatte. Dies war keine geringe Aufgabe bei dem eben herrschenden Unwetter. Wir hatten deren fünf an Bord, aber nur die kleine Jolle hing an Davids, die vier grossen lagen innen auf den beiden Deckhäusern.
Unter solchen Umständen konnte es nicht überraschen, dass sehr bittere Gefühle den Lenker der Euphrosyne durchzuckten, und schliesslich in einem Wuthausbruch ihre Aeusserung fanden, der hauptsächlich gegen mich als supponirten Veranlasser der Quarantäne sich richtete, der aber als etwas schon öfter Dagewesenes keinen besonderen Eindruck mehr zu machen vermochte und mich nicht abhielt, wiederholt den grimmigen Tiger an seine Pflicht zu erinnern und um Beschleunigung der lässig betriebenen Arbeit zu bitten.
Mehr als zwei Stunden verstrichen, bis die Böte zu Wasser waren, und ich hatte nun Musse, vom Achterdeck aus die neue Umgebung zu betrachten. Dunkle graue Wolken flogen eilig über den Himmel. Eine Schaar fremdartiger Möven mit fremdartigem Geschrei kämpfte gegen den Sturm und spähte gierig nach den vom Ebbestrom weggetriebenen Abfällen des Schiffes. In der nächsten Nähe vor mir lag die kleine baumlose Insel, welche auf unbestimmte Zeit meine Domäne werden sollte, mit der Immigrantenkaserne oben und steilen Felsen unten am Ufer, über die eine hölzerne Treppe vom Landungspier hinaufführte. Sie schien unbewohnt zu sein, kein Mensch war auf ihr zu erblicken. Ein immer heftiger werdender Wind peitschte die hüpfenden Wellen, pfiff durch die Takelage und warf sich zuweilen in orkanartigen Stössen auf das an den Ankerketten rüttelnde Schiff, über welchem nun die verdächtige gelbe Flagge wehte. In düsteren Umrissen begrenzten hohe Bergketten, welche bewaldet zu sein schienen, die Gegend, nach Süden ein schmales Stück Ozean offen lassend.
Die Böte leckten in allen Fugen und füllten sich, kaum zu Wasser gebracht, bis zum Rande. Die halbe Mannschaft war krank und die gesunde Hälfte missmuthig, dass sich die Ankunft in Wellington verzögerte und dass nun auch noch die Mühe des Hin- und Herruderns winkte. Der Kapitän tobte und fluchte.
Als ich endlich an die Insel fahren konnte und zum ersten mal nach vier Monaten wieder festen Boden unter den Füssen fühlte, war mir zu Muthe wie einem von schwerer Krankheit Genesenen, der seinen ersten Ausgang feiert. Es that mir leid, dass ich nochmals aufs Schiff zurück musste. Ich lernte Mister Koral, den Verwalter der Quarantänestation kennen. Der alte Herr war höchst bestürzt, so viel fremde Völker einquartiert zu bekommen, mit denen er sich nicht verständigen konnte.
Alle Passagiere an demselben Nachmittage zu landen, erwies sich bei dem herrschenden Sturm als unmöglich und wir durften froh sein, wenigstens die ledigen Männer mit Sack und Pack auf die Insel zu bringen. Die Familien und die einzelnen Frauenzimmer sowie sämmtliche Kranke hatten noch eine Nacht an Bord zu schlafen. So war unser kleiner Staat in zwei Theile getrennt. Wir hatten nur einen Koch, der natürlich auch an Bord bleiben und an Bord kochen musste. Die Passagiere auf der Insel erhielten ihr Essen deshalb nicht zur gewohnten Zeit und rächten sich dafür an dem frischen Proviant, der aus der Stadt kam und von den Lieferanten in der irrigen Meinung, dass wir bereits alle gelandet seien, statt aufs Schiff auf die Insel dirigirt worden war, so dass nun die Passagiere an Bord sich um ihr frisches Fleisch, ihr frisches Gemüse und ihr frisches Brot betrogen sahen, auf das sie sich so sehr gefreut hatten. Eine endlose Reihe von Missverständnissen entwickelte sich aus diesem Zustand der Zersplitterung bei der durch das Unwetter erschwerten Kommunikation mit der Insel. Wir waren ganz allein auf uns selbst und auf unsere lecken Böte angewiesen. Kein Mensch kam uns zu Hilfe, und wären nicht oben auf Somes Island die Baracken gewesen, wir hätten uns in einem ganz neuentdeckten, wilden Lande glauben können. Von da, wo wir lagen, sah man nicht einmal Schiffe.
Die Kommissioners paddelten zwar gegen Abend nochmal aus Wellington herbei, aber nur, um ihre unzufriedene Verwunderung auszudrücken, dass noch nicht alle Immigranten gelandet seien, und den Kapitän aufzufordern, eines der Böte einem Haufen Bettstroh nachzuschicken, welches über Bord gefallen war und vom Winde in der Richtung nach dem Hauptlande entführt, Infektionsstoff dorthin verschleppen konnte.
Das